Die Politisierung der Kapitalmärkte nimmt überhand
Politik hat die Kapitalmärkte schon immer beeinflusst, allerdings oft nur indirekt und eher kurzfristig. Die Geldpolitik steuerte über viele Jahrzehnte vor allem die Geldmarktzinsen und überließ die Höhe der Kapitalmarktzinsen den Kräften von Angebot und Nachfrage. Fiskal- und Ordnungspolitik setzten die Rahmenbedingungen für die Privatwirtschaft, aber über den Erfolg eines Unternehmens an den Börsen entschieden vor allem sein Geschäftsmodell, seine Bewertung und seine Gewinndynamik. Politische Veränderungen sorgten immer wieder für Unruhe an den Kapitalmärkten, die aber nie von langer Dauer war. “Politische Börsen haben kurze Beine”, lautete das Credo.
Die Geldpolitik hat bereits vor einigen Jahren den Rubikon überschritten, als sie begann, die Kapitalmarktzinsen direkt über den Kauf und Verkauf von Wertpapieren zu manipulieren. Da das Zinsniveau für die Bewertung von Unternehmen eine zentrale Rolle spielt, übte die Geldpolitik auf diese Weise oft einen stärkeren Einfluss auf die Aktienkurse aus als unternehmensspezifische Nachrichten.
Auch die Nachhaltigkeit beeinflusst zunehmend die Kapitalmarktpreise und trägt zu deren Politisierung bei. Grundsätzlich muss jeder Investor Nachhaltigkeitsindikatoren verarbeiten, um rationale Anlageentscheidungen treffen zu können. Schädlich wird es jedoch, wenn die Regulierung in Verbindung mit freiwilligen Selbstverpflichtungen die Nutzung von Nachhaltigkeitsinformationen in einem Umfang vorschreibt, der die Renditeerwartungen schmälert und weder die Additionalität noch den Impact der eigenen Anlageentscheidung zu quantifizieren versucht.
Als Russland im Februar 2022 die Ukraine überfiel, erschütterte dies die ethischen Grundlagen vieler Anleger. Rüstungskonzerne, die meist kategorisch gemieden wurden, erlebten an den Aktienmärkten ein spektakuläres Comeback. Wie kein anderer Konflikt seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs führte der Angriff Russlands zu massiven Wirtschaftssanktionen und einer Polarisierung der Welt, die der langen Phase der Globalisierung den letzten Todesstoß versetzte. Gold wurde zum großen Gewinner, da viele Zentralbanken ihre Goldreserven wieder aufstockten, die sie zuvor jahrelang abgebaut hatten. Damit etablierte sich neben der Geld- und Fiskalpolitik auch die Geopolitik als wichtiger politischer Einflussfaktor für die Kapitalmärkte.
Im Superwahljahr 2024 hat die Politisierung der Kapitalmärkte das nächste Level erreicht. Die wichtigste Entscheidung wurde in den USA getroffen, wo sich eine deutliche Mehrheit für Donald Trump aussprach und die Republikaner eine Mehrheit in beiden Kammern des US-Kongresses erreichten. Für die Kapitalmärkte war die Wahl in den USA weit mehr als nur eine Richtungsentscheidung zwischen zwei politischen Lagern. In den USA wird mit Donald Trump bald kein Politiker, sondern ein Unternehmer Präsident werden. Auch sein wichtigster Gefolgsmann Elon Musk ist Unternehmer. Beide verstehen den US-amerikanischen Staat als schlecht geführtes und schlecht finanziertes Unternehmen, das es zu sanieren gilt. Viele Mitglieder der Trump-Administration sind ebenfalls Unternehmer und können künftig selbst über die Besteuerung und Regulierung ihrer Unternehmen entscheiden. Die nächste Stufe der Politisierung der Kapitalmärkte besteht also darin, die Grenzen zwischen Politik und Kapitalmarkt zunehmend zu verwischen.
Nirgendwo zeigt sich die Verflechtung von Politik und Kapitalmärkten so deutlich wie bei Kryptowährungen. Viele konnten spektakuläre Kursgewinne verzeichnen, weil die neue US-Regierung eine kryptofreundlichere Regulierung in Aussicht stellt. Die Kryptoindustrie ist zum größten politischen Sponsor in den USA geworden. Während sie früher vor allem die Demokraten unterstützte, etwa in Person des inzwischen verurteilten Sam Bankman-Fried, fließt nun viel Geld an die Republikaner.
Die Kapitalmärkte werden also nicht nur zunehmend politisiert, sondern sie verschmelzen immer mehr mit der Politik. Doch die Vorstellung, dass die Führung eines Landes und die Führung eines Unternehmens eigentlich dasselbe seien, geht in die Irre. Für Unternehmen galt lange Zeit die einfache Formel, dass deren Ziel die Maximierung des Shareholder Value sein sollte. Eine Nation ist jedoch keine Aktiengesellschaft, sondern besteht aus Einwohnergruppen mit unterschiedlichen und sich oft wiedersprechenden Interessen und Präferenzen. Selbst ein Unternehmen lässt sich nicht auf seine Shareholder reduzieren, sondern sollte die Interessen der unterschiedlichen Stakeholder ernst nehmen und ausgleichen. In dieser Hinsicht ist der Nationalstaat das Vorbild für ein Unternehmen und nicht umgekehrt. Eine Nation ist keine Ansammlung von Angestellten. Sie ist eine Gesellschaft, die aus unterschiedlichen Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen, Rechten und Perspektiven besteht. Diese Widersprüche unter einen Hut zu bringen, erfordert mehr als nur unternehmerischen Scharfsinn. Nötig sind Einfühlungsvermögen, Diplomatie und ein tiefes Verständnis für soziale, kulturelle und wirtschaftliche Fragen.
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In der Geschichte der USA gab es schon einmal eine Phase, in der das Land praktisch von einem Unternehmer regiert wurde. Andrew W. Mellon war zwar „nur“ Finanzminister, prägte aber in seiner Amtszeit von 1921 bis 1932 unter drei Präsidenten die Wirtschaftspolitik der USA. Er senkte die Steuern für die Reichsten und die großen Unternehmen massiv, wovon er selbst enorm profitierte. Andrew Mellons Enkel Timothy Mellon war noch vor Elon Musk der größte Wahlkampfspender von Donald Trump (Link). Hier schließt sich der Kreis und führt zu einem beunruhigenden Fazit. Wenn die Politisierung der Kapitalmärkte weiter zunimmt und Fundamentaldaten immer weniger eine Rolle spielen, wird es zu extremen Spekulationsblasen kommen. Es bleibt daher zu hoffen, dass die zwanziger Jahre dieses Jahrhunderts ein besseres Ende nehmen werden als die zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts.
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Wir wünschen unseren Leserinnen und Lesern ein frohes Weihnachtsfest und ein gutes neues Jahr!
Der nächste Marktfokus erscheint am 10. Januar 2025
Entrepreneur | Business Developer | AI Strategist | Podcaster | Media and Press Affairs Coordinator | Political Scientist
4 TageWir stehen vor einem neuen, äußerst besorgniserregenden Phänomen. Elon Musk darf keinesfalls unterschätzt werden. Hier handelt es sich nicht nur um einen erfolgreichen Unternehmer, sondern um einen ambitionierten, erschreckend prätentiösen und politisch zielstrebigen Akteur. Seine Gefährlichkeit beruht auf der Summe seines Einflusses, der sich über verschiedene Schlüsselbereiche erstreckt – Plattformen, deren gesamtes Potenzial derzeit noch nicht vollständig sichtbar ist. Musk verfügt über die Mittel, in einer Vielzahl strategischer Sektoren eine dominierende Position zu erlangen: Künstliche Intelligenz, humanoide Robotik, Zahlungssysteme, Medienplattformen, Weltraumtechnik und Medizintechnik. Kombiniert man diesen technologischen Einfluss mit seiner engen Verbindung zu den höchsten Ebenen der US-Administration, entsteht das Bild eines Oligarchen, wie wir es in dieser Form noch nie erlebt haben. Ich kann davor nur eindringlich warnen!