Die Verwässerung und Umfunktionierung des Golden Circle / WHY-HOW-WHAT
Viele von Euch kennen bestimmt den berühmten "Golden Circle", manchmal auch bekannt als das "WHY - HOW - WHAT" Prinzip, geprägt von Simon Sinek. Es vergeht mittlerweile kaum ein Tag, wo man ihm nicht irgendwie im Berufsalltag begegnet oder man z.B. in den Sozialen Medien die Ergebnisse von diversen Golden Circle Workshops sieht.
Angefangen hat der Hype gefühlt vor 3-4 Jahren, als der bereits in 2009 entstandene (sieht in der Tat schon ein bisschen angestaubt aus) TEDx Talk von Simon Sinek zum Thema zunehmend virale Verbreitung fand:
Das Konzept ist klasse, die Idee wunderbar. Es macht hochgradig Sinn, sich über das WHY einer Unternehmung Gedanken zu machen. Es macht genau so viel Sinn, sich über das eigene WHY Gedanken zu machen. Was ist es, das mich jeden Morgen aufstehen und mit Begeisterung meiner Arbeit nachgehen lässt (wenn man denn das Glück hat, in seiner Arbeit seine Erfüllung gefunden zu haben)?
Die Kaskade des WHY - HOW - WHAT wird in Sineks Konzept in einen logischen Zusammenhang mit den Grundsätzen der Biologie der menschlichen Entscheidungsfindung gebracht und zeigt auf, wie diese Botschaften unterschiedliche Ankerpunkte in unserem Gehirn finden, mit unterschiedlichen Zielen: das WHY im limbischen System (Gefühle) und das WHAT im Neocortex (Multisensorik und Motorik).
Wie gesagt, seit ein paar Jahren trifft man die Idee des "Start with WHY" immer häufiger umgesetzt im Arbeitsleben an. Mir fallen - gerade in letzter Zeit - jedoch vor allem 2 Dinge auf, die ich problematisch finde und zu denen ich mir Verbesserung/Änderung wünsche.
- Golden Circles mit fragwürdigem Output (ersetze "fragwürdig" je nach Fall mit "nicht dem Konzept entsprechend", "oberflächlich", "am eigentlichen Ziel vorbei", "schlecht").
- Die Anwendung der Kaskade "WHY - HOW - WHAT" in komplett anderem Zusammenhang als obskures Storytelling Format für die Darlegung von Projektideen ("warum wollen wir Projektidee xy machen", "wie wollen wir das umsetzen", "was machen wir eigentlich genau").
Kurz gesagt, die "tl;dr-isierung" des Konzepts Golden Circle. Und das ist aus meiner Sicht definitiv problematisch.
1) Der "nett gemeinte" * Golden Circle (im grob ursprünglichen Kontext)
Dies sind Golden Circles mit WHY Statements, die einfach nicht den ursprünglichen Zweck des Konzepts treffen. In diesen verwässerten Ausprägungen beschreibt das WHY Statement in der Regel nicht den verbindenden und emotionalen Kern des Unternehmens oder des Teams ("nested WHY"), sondern
- entweder ein Wunschbild für die Zukunft (und das ist ausdrücklich nicht die Idee des WHY nach Sinek - "WHY is about who we are – not who we want to become in the future"),
- oder (und das kommt häufig vor) es beschreibt überhaupt gar kein WHY, sondern man findet in solchen WHY Statements eher Inhalte, die ein WHAT beschreiben,
- oder die Formulierung zielt vor allem darauf ab, eine krampfig zusammengetragene Daseinsberechtigung in den Raum zu stellen, die aber nichts mit dem emotionalen Kern zu tun hat, auf das Prinzip des WHY eigentlich abzielt.
In solchen Fällen ist das WHY Statement dann nicht darauf ausgerichtet, was wir bei anderen Menschen (v.a. unseren Kunden, unseren Nutzern, etc.) auslösen wollen, wobei wir ihnen helfen wollen, zu was wir sie befähigen wollen, etc., sondern es richtet sich vor allem nach innen (z.B. "wir tun XY um positiv unser Geschäft anzutreiben...", "uns gibt es, weil nur wir sicherstellen können, dass Prozessschritt XY eine hohe Qualität hat", etc.).
Man kann WHY Statements von fragwürdiger Qualität und Aussagekraft schon häufig daran erkennen, dass ihnen die übliche und nötige Struktur fehlt ("um zu [Mission Statement]...", "to [mission statement]..."). Das führt dann dazu, dass der Fokus des WHY Statements nicht nach außen gerichtet ist (auf unsere Kunden, auf unsere Nutzer), sondern nach Innen (z.B. "wir wollen Produkte und Services bauen um Impact auf unser Business zu haben").
Damit sowas nicht passiert, ist folgendes wichtig zu beachten:
- Genügend wichtige Mitglieder mit möglichst heterogenem funktionalen Background und unbedingt viele mit langer Zugehörtigkeit in der Organisation zusammen bekommen (mindestens 10, laut Sineks Vorgabe bis zu 30).
- Bevor auch nur ein einziges WHY Statement formuliert wird, unbedingt den konzeptionellen Rahmen erläutern. Das kann zum Start in der Tat das TED Talk Video sein. Und dann sollte man auch nochmal selber, z.B. am Flip Chart die essentiellen Gedanken hinter jeder Ebene (WHY, HOW, WHAT) erläutern. Es gibt erstklassiges (und kostenloses) Material hierzu von Simon Sinek.
- Die Quelle aller guten WHY Statements (und natürlich der daran anknüpfenden HOW Statements und nachrangig der WHATs) sind Geschichten. Geschichten von Mitgliedern der Organisation, die die besonderen Momente in der Geschichte des Unternehmens erzählen und vor allem der Momente, die diese Menschen als besonders prägend empfunden haben. Geschichten, welche den gemeinsamen Zweck ausdrücken. Sinek formuliert es treffend: "Put into words what an organization's culture is about when working at its natural best."
- Die Gruppen in welche die Mitglieder eines Golden Circle Workshops eingeteilt werden brauchen erfahrungsgemäß ein enges Monitoring und Guidance. Zu schnell passiert es, dass einzelne Teilnehmer abdriften und es zu Ergebnissen à la "warum muss es uns geben?" kommt. Daher solche Workshops nur mit ausreichend Trainer-/Coach-Personal durchführen!
- Gute und zielgerichtete Moderation und vor allem Dokumentation der Zwischenergebnisse aus den einzelnen Gruppenarbeiten. Dies ist von essentieller Bedeutung, da alle zusammengetragenen Inhalte und Ergebnisse der Gruppenarbeiten wie oben erwähnt, grundsätzlich in Frage kommen, bei der Definition des WHY, aber auch des HOW Verwendung zu finden. Ein WHY wird nicht nach ein bisschen individuellem Brainstorming "in den blauen Dunst hinein" formuliert, sondern aus den zusammengetragenen Geschichten der Mitglieder der Organisation generiert.
2) Der "verwurstete" Golden Circle (im nicht ursprünglichen Kontext)
Den Golden Circle umzufunktionieren in ein Projekt Advocacy Storytelling Format finde ich vor allem deshalb problematisch, weil Leute, die sich noch nicht wirklich mit der Materie "Golden Circle" beschäftigt haben, oft einen vollkommen einen falschen Eindruck bekommen. Ihnen begegnet dann an anderer Stelle das Konzept im ursprünglichen Sinn (oder annähernd in diesem) und dann denken sie "ah, kenne ich ja schon"; und sie könnten gar nicht entfernter vom ursprünglichen Gedanken des Golden Circle sein. So etwas fördert einfach noch weiter die Verwässerung und Defokussierung des ursprünglichen Sinns.
Auch hier findet man im "WHY" häufig Inhalte, die eher ein WHAT sind, ("wir wollen XY besser machen", etc.). Im "HOW" stehen in solchen Fällen in der heutigen Zeit gerne Allgemeinplätze wie "im agilen Arbeitsmodus" oder "durch Aufsetzen eines Programms", etc.
Grundsätzlich ist es ok, für das Storytelling rund um neue Projektvorhaben bestimmte Strukturen mit Wiedererkennungswert zu nutzen. Vor dem genannten Hintergrund finde ich jedoch das Heranziehen von Simon Sineks "WHY - HOW - WHAT" mehr als unglücklich. So ist dieses Konzept nicht gemeint. Je mehr wir solch eine Profanisierung des Modells betreiben, desto weiter entfernen wir uns davon, mit dem Vorgehensmodell einen zutiefst in unseren emotionalen Motivationen verankerten Sinnstartpunkt zu finden. Wenn man für ein neues Projektvorhaben gerne eine knackige Begründung darlegen möchte, warum nicht einfach mit der Formulierung eines vernünftigen "Mission Statement"?
Lasst uns den wahren Kern des Golden Circle bewahren!
Meine Bitte daher: wenn einem das Golden Circle Konzept über den Weg läuft, nicht gleich denken "ah, kenne ich, verstehen ich", weil man eventuell mal den TED Talk von Simon Sinek gesehen hat. Schon mal gar nicht, Golden Circle und WHY Discovery Workshops durchführen oder anbieten, wenn man nicht zumindest die tiefergehende intellektuelle und vorgehenstechnische Vertiefung in Form der wirklich kurzweiligen und hilfreichen Bücher durchschritten ist.
Es werden zu viele solcher WHY Discovery Workshops durchgeführt, deren Output in der Regel wenig brauchbar und aussagekräftig ist und deren Teilnehmer nichts von der emotional verbindenden Kraft des Konzepts mitnehmen. Das Konzept des Golden Circle ist einfach zu wertvoll und mächtig, als dass es so verwässert werden sollte. Ein gut und tiefgründig definierter Golden Circle kann ein sehr nützlicher und vor allem authentischer Startpunkt für eine Reihe von Kultur- und Organisations-Changeprogrammen sein.
Ich empfehle dringend, bei Interesse, das Konzept für die eigene Organisation anzuwenden oder gar für sich selber (persönliches WHY), auf die wirklich sehr guten Bücher von Simon Sinek und Partnern zurückzugreifen, bzw. auch die Materialien unter simonsinek.com/find-your-why zu nutzen.
Frag immer erst WARUM: Darlegung des genauen Konzepts und aller Hintergründe, mit vielen guten Beispielen von Unternehmen mit klarem Verständnis des WHY und ihrem Nutzen daraus.
Finde Dein WARUM: Schritt-für-Schritt Anleitung für WHY Discovery Workshop Durchführung. Sowohl für Unternehmen/Gruppen als auch für das persönliche WHY. Ein Muss für jeden, der solche Workshops durchführen möchte.
Dann wird's auch was mit der WHY Discovery für das eigene Unternehmen, bzw. Euch selber. Viel Spaß dabei!
* kennt ihr den Ausspruch "nett gemeint ist der kleine Bruder von schei**? ;-)
Managing Director & Founder | CRM Expert in B2B Service
3 JahreIch habe die Bücher gelesen und bin überzeugt von der möglichen Power dahinter. Hat jemand eine Empfehlung für einen Moderator im deutschsprachigen Raum, der mit dieser Methode bereits Erfahrung hat? Vielen Dank für Hinweise!
Co-Founder | Innovating Business Through VR/AR Strategy, Serious Games & Consulting | petriqOr, CrossCollaboration & XR Collaboration Suite
5 JahreBabak Zeini
Willkommen im größten Servicetechniker-Netzwerk Deutschlands!
5 JahreToller Artikel zum Golden Circle! Wegen dem WHY muss dein Herz schlagen und du musst es FÜHLEN. Das kann ein ausgedachtes WHY nicht.
7C Consulting
5 JahreWhat ever helps ✅
SDR Team Lead @EQS Group | Creating trusted companies
5 JahreAnita Kmita Sara Hohendahl Carsten Dümichen Maximilian Krahn Constantin Goldkuhle Alex Corazzari