Die Werkzeugbauer der Systemführung
Laura Wiedmann, Referentin für Sonderaufgaben im Team Produkte und Volker Dütsch Teamleiter Produkte

Die Werkzeugbauer der Systemführung

Was sind eure Aufgaben?

L. Wiedmann: Wir implementieren, beschaffen und betreuen energiewirtschaftliche Produkte. Dazu zählen unter anderem die Netzreserve, Redispatch, Blindleistung und der Versorgungswiederaufbau. Wir klären mit der Bundesnetzagentur und mit Kraftwerksbetreibern alle relevanten Fragen.

V. Dütsch: Wir sehen uns als ‚Werkzeugbauer‘ für die Systemführung. Wenn die Kollegen und Kolleginnen zum Beispiel die Netzreserve aktivieren, haben wir vorher alles geregelt: Dass es Verträge mit den Kraftwerksbetreibern gibt, dass sich alles im regulatorischen Rahmen bewegt und, dass die Kosten, die entstehen, refinanzierbar sind. Die Kollegen sollen sich ganz auf das System konzentrieren können.

Was motiviert dich dabei persönlich, Laura?

L. Wiedmann: Ich betreue vor allem die Brennstoffversorgung, insbesondere bei Steinkohlekraftwerken. Persönlich motiviert mich unser Zielbild: Wir wollen hin zu einem 100% regenerativen und nachhaltigen Stromsystem. Dabei begleiten wir den Kohleausstieg und merken zugleich, dass die Kohlelogistik und der Kraftwerkspark heute ihre eigenen Herausforderungen mit sich bringen. Das darf aber nicht zu Lasten der Systemsicherheit gehen!

Lasst mich ein Beispiel nennen: Wir hatten vergangenen Sommer lange Zeit wenig Wasser auf dem Rhein. Gegen Ende des Sommers sank der Pegel stark ab, ab ca. zwei Metern Wasserstand gibt es Einschränkungen beim Kohletransport. Um Gas in der Mangellage einzusparen, waren die Kohlekraftwerke jedoch stärker im Einsatz. Die Vorräte sind hier bei uns deshalb stark abgeschmolzen. In Abstimmung mit den Kraftwerksbetreibern wurde deswegen der Kohletransport via Schiene erhöht. Außerdem wurden zusätzliche Kohlelager eingerichtet.

Ihr habt also eine aktive Rolle, um Kraftwerke für den Redispatch-Einsatz vorzubereiten?

L. Wiedmann: Auf den ersten Blick wirkt es ungewöhnlich, dass wir uns als ÜNB mit dem Thema beschäftigen. Aber unsere gesetzliche Aufgabe der Systemsicherheit können wir nur gewährleisten, wenn auch die Versorgung der Kraftwerke gesichert ist. Das Eine ist ohne das Andere nicht möglich – also haben auch wir als Netzbetreiber ein hohes Interesse an der Betriebsbereitschaft der Kraftwerke.

V. Dütsch: Als Teil unseres Brennstoff-Absicherungskonzeptes halten wir als ÜNB deshalb immer etwas Kohle für Redispatch-Maßnahmen zurück, gerade weil wir in unserer Regelzone viel Hochfahrleistung bereitstellen, wenn Nord-Süd-Leitungen in Deutschland überlastet sind.


In den vergangenen Jahren haben wir unterschiedliche Maßnahmen ausprobiert. Die Erfahrung zeigt jedoch: Das Beste ist ein Haufen Kohle vor der Tür! Deshalb haben wir die EnBW beauftragt zusätzliche Lager einzurichten, um Kohle nur für Systemsicherheitsmaßnahmen vorzuhalten. Die Einrichtung dieser Lager treiben wir schon seit 2018 voran, durch die aktuelle Situation ist der Bedarf aber noch einmal gestiegen.

Der Sommer 2022 war also schwierig. Wie bewertet ihr rückblickend den Krisen-Winter 2022/2023 mit der Gasmangellage?

 V. Dütsch: Durch milde Temperaturen, die Kontrahierung von Leistung im Süden (z.B. aus der Schweiz) und die gute Verfügbarkeit von Kraftwerken im In- und Ausland waren die Bedingungen glücklicherweise ‚ÜNB-freundlich‘. Um Gas zu sparen, wurden per Gesetz zudem teils Kohlekraftwerke aus der Reserve zurück in den Markt geholt. Diesen Winter kam dann auch noch das berühmte Adventswasser, also Regen vor Weihnachten, der für etwas Entspannung bei den Pegeln und damit beim Kohletransport sorgte.

Wie werden die nächsten Jahre? Wird es zur neuen Normalität, dass immer Eingriffe ins Netz notwendig sind, bis der Netzausbau weiter vorangeschritten ist?

V. Dütsch: Bis Ultranet und SuedLink in Betrieb gehen, bestehen diese Probleme weiter. Der Winter mit der angespannten geopolitischen Lage hat den Fokus stark auf Versorgungs- und Systemsicherheit gelegt. Die Gasproblematik ist aber auch nicht vom Tisch. Deshalb kann unsere Vorbereitung wieder wichtig werden – z.B., wenn es wieder Probleme mit AKWs in Frankreich gibt, wir wenig PV- und Winderzeugung haben und uns auf konventionelle Kraftwerke verlassen müssen.

Hinzu kommt, dass die Netzreserve ursprünglich nur als Übergangsmodell gedacht war. Die Kraftwerke Walheim und Marbach sind jetzt aber schon seit 2014 in der Reserve. Dabei wird die Systemrelevanz immer nur in Zweijahreszyklen festgestellt, was die langfristige Planung und Haltung von Personal für die Kraftwerksbetreiber erschwert.

Einige Kraftwerksblöcke, z.B. in Marbach oder Heilbronn, sind aktuell aus technischen oder altersbedingten Gründen nicht verfügbar oder fallen aus genehmigungsrechtlichen Gründen demnächst endgültig weg. Allein mit Block 7 fehlen uns in Heilbronn bis März 2024 780 Megawatt (MW). Das zeigt: Viele Kraftwerke sind alt, was die Gefahr von Ausfällen erhöht. Das würde die Herausforderungen verstärken und die Abhängigkeit vom Ausland vergrößern.

Welche Werkzeuge wünscht sich die Systemführung zur Lösung der Probleme?

V. Dütsch:

Ideal wäre eine Kombination aus langfristiger Erhaltung bestehender Leistung in unserer Regelzone, ein zügiger Neubau sauberer und moderner Kraftwerke und ein entsprechender regulatorischer Rahmen, der das Ganze ermöglicht.

Momentan haben wir zudem viele Reserven mit unterschiedlichen gesetzlichen Verwendungszwecken. Das muss einfacher werden.

Und in Richtung Politik?

L. Wiedmann: Dass wir Lösungen umsetzen dürfen, die heute und morgen einen sicheren Systembetrieb ermöglichen. Die Anforderungen an das heutige und zukünftige Stromsystem unterscheiden sich, aber für beides brauchen wir ein offenes Ohr seitens Politik und BNetzA. Am Ende profitieren wir ja alle von einem modernen und gut gepflegten Werkzeugkasten.

V. Dütsch:
Mit Entscheidungsprozessen müssen wir zudem vorausschauender werden, um jetzt die Weichen für ein stabiles Stromsystem der 2030er zu schaffen.

Denn verzögert sich der Netzausbau, werden wir noch längere Zeit Redispatch-Bedarfe haben. Aus unserer Sicht ist klar: Wir brauchen Reservewerkzeuge, wir brauchen langfristig Personal, um die Reserven halten zu können, und wir müssen die Logistikwege für die Brennstoffversorgung der Kraftwerke weiterbetreiben. Um das zu gewährleisten, muss Deutschland für weitere zehn bis 15 Jahre Geld in die Hand nehmen.

Was muss getan werden, damit die Werkzeuge kommen?

V. Dütsch: Es braucht Anreize für Investitionen – wie zum Beispiel den Neubau-Vorschuss, den TransnetBW vorschlägt. Er setzt notwendige, lokale Anreize, sodass neue Kraftwerke dort gebaut werden, wo sie einen Beitrag zur Stabilität des Netzes leisten. Wenn durch den Markt keine Anlagen gebaut werden, müssen Anreize geschaffen werden.

Marina Schmid & Thomas Hohnholz: Vielen Dank für das Gespräch!


Sie wollen mehr zum "Neubau-Vorschuss" erfahren? Mit diesem Vorschlag geben wir Impulse für die Kraftwerksstrategie des BMWKS. Der Vorschlag setzt den Rahmen, dass noch vor 2030 klimafreundliche Kraftwerke dort entstehen, wo diese den besten Beitrag für die System-und Versorgungssicherheit liefern. Hier geht's zu unserem Impulspapier Neubau-Vorschuss (transnetbw.de).

Sie haben Fragen zum Gespräch? Dann wenden Sie sich gerne direkt an Thomas Hohnholz und Marina Schmid.

Michael Gottwald

Teamleiter Spezialinstandhaltung Anlagenbetrieb Umspannwerke bei TransnetBW GmbH

1 Jahr

Das sind wirklich spannende Einblicke 😊

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