Digitale Transformation: Systemische Impulse und Werkstattberichte

Digitale Transformation: Systemische Impulse und Werkstattberichte

Teil 1: In der analogen Welt den Weg bereiten für digitale Transformation

IT-Technologien entwickeln sich bekanntlich mit Siebenmeilenstiefeln. Die Prozesse und Methoden der digitalen Transformation hinken hinterher. Die Lücke zwischen der realen Nutzung des technischen Potenzials und den theoretisch möglichen Potenzialen wird größer. Kundennutzen und Wettbewerbsposition könnten bei einer effektiven Umsetzung der digitalen Transformation viel weiter vorangetrieben werden. Das geht bereits damit los, dass vorhandene Kunden- und Mitarbeiterdaten nur unzureichend ausgewertet werden, um fundierte Entscheidungen zu treffen.

Zentrale Hypothese dieser nun startenden kleinen Artikelserie ist, dass digitale Transformation häufig ineffektiv ist, weil die Komplexität der externen Herausforderung nicht der Komplexität der unternehmensinternen Transformationsproesse entspricht.  Wir machen es uns in den Unternehmen zu einfach, indem wir mit klassischem Change- und Projektmanagement auf komplexe Herausforderungen des Unternehmensumfelds reagieren.

In meinen Beratungsprojekten zur digitalen Transformation, in Teamentwicklungen und Coachings sehe ich selbstverständlich auch die Innovatoren für agile Change Prozesse, Grassroot-Initiativen und Vielfalt, die vom Top Management gefördert und über geeignete Skalierungsmethoden koordiniert werden. Es gibt sie, die Leuchttürme der digitalen Transformation, und es scheint, dass die Kluft zwischen Leading Companies und Digital Laggards größer wird.

Was sind Stolpersteine auf dem Weg zum (digitalen) Transformationserfolg? Ich habe aufgrund eigener operativer Transformationsprozesse, meiner Beratungsfälle und unzähliger Gespräche mit Change Verantwortlichen eine sicherlich unvollständige Liste von Beobachtungen zusammengestellt:

  • Die Forderung des Management nach mehr Agilität wird nicht so hinreichend begründet, dass der „need for change“ aus der individuellen Perspektive deutlich wird
  • Für die Entwicklung einer digitalen Strategie sowie eines neuen Geschäftsmodells werden die internen Ressourcen und Daten nicht ausreichend genutzt, und der Keim für Widerstand wird bereits in diesem Schritt gelegt.
  • Kulturentwicklung zu wenig verzahnt mit der „harten“ Transformation des Business.
  • Project Management Offices teilweise schwach besetzt und mit zu wenig Managementkompetenz, teilweise unklare Positionierung zwischen Steuerungs- und Beratungsrolle.
  • Agiles Projektmanagement wird auf eigenes Unternehmen „angepasst“, ohne Ziel und Sinn der Abweichungen vom ursprünglichen Framework transparent zu diskutieren.
  • Change Management fokussiert sich häufig nur auf Führung und Zusammenarbeit, anstatt mitten in der Restrukturierung des Business verankert zu werden.
  • Training wird tw. als einzige Intervention für die Verhaltensänderung im Rahmen einer Softwareeinführung gesehen.
  • Change Kommunikation häufig nicht im Vorfeld, sondern erst bei Roll out. Adaptionsfähigkeit der Mitarbeitenden wird überschätzt, die Adaptionsdauer unterschätzt.
  • Missverhältnis zwischen erlebter Kultur und normativ erwünschter Kultur, „mindshift“ wird von den Mitarbeitenden verlangt und von den Führungspersonen nicht vorgelebt.
  • Digitale Kollaborationstools werden nicht effektiv genutzt.
  • Strategie und Geschäftsmodell werden nur im kleinen Kreis entwickelt.

 Fangen wir in der analogen Welt an. Denn es ist sinnvoll, zunächst einige Baustellen anzugehen, bevor man große Digitalisierungsprojekte startet. Wenn man Geschäftsprozesse während des Digitalisierungsprojekts anfängt zu optimieren, wird es richtig teuer, weil das Projekt aus dem Zeitrahmen läuft.

Wie starten wir die Digitalisierungs-Reise in der analogen Welt?  Schaffen Sie Transparenz und echte Mitwirkung auf Augenhöhe. Sie erreichen dadurch eine geteilte – wenn auch nicht notwendigerweise gleiche – Sichtweise auf aktuelle, operative Probleme. Leicht gesagt, in der Praxis aber bereits eine intensive Kulturentwicklung, denn gegen mehr Transparenz und Beteiligung stehen häufig die unbewussten mentalen Modelle in Organisationen, die Intransparenz aufrechterhalten (wollen). Lassen Sie uns versuchen, das Vorbewusste von der Hinterbühne auf die sichtbare Vorderbühne zu bringen. Fangen Sie im Maschinenraum der Organisation an, bei den operativen Systemen, um erste Erfolge einer verbesserten Zusammenarbeit und eines besseren Prozess-Flow zu realisieren.

Führen Sie Reflexionsprozesse in Ihren Teams ein. Genauer ausgedrückt: Motivieren Sie Ihre Teams, mit Reflexionsprozessen zu experimentieren. Ähnlich wie bei einem After Action Review bei Rettungseinsätzen kann ein Team folgende Fragen bearbeiten: Wie war die Lage zum Zeitpunkt der Entscheidung? Welche Daten und Informationen lagen wem (nicht) vor? Welche Optionen gab es zum Entscheidungszeitpunkt und wie wurden sie besprochen? Welche impliziten Vorannahmen schwebten im Raum? Welche Stakeholder wurden an welchen Punkten des Entscheidungsprozesses (nicht) einbezogen? Warum (nicht)? Welche Gefühle gingen mir (als Entscheider) durch Kopf und Bauch im Vorfeld der Entscheidung? Wie wurden Gefühle im Team thematisiert und wie wurde darauf reagiert? Welche konkreten Beispiele fallen mir auf, wie wir unserer Führungsgrundsätze in diesem Entscheidungsprozess (nicht) realisiert haben? Was haben wir konkret gelernt? Was behalten wir bei zukünftigen Entscheidungsprozessen bei, was verändern wir? Anhand dieser Frage wird ein Aktionsplan aufgestellt, der in der nächsten Team-Reflexionsrunde gemessen und reflektiert wird – Arbeiten in Lernschleifen!

Positionieren Sie diese Reflexionen als Ressource, sonst werden sie als Zeitverschwendung angesehen. Es handelt sich um Entdeckungsprozesse und gemeinsames Lernen – zum Beispiel darüber, welche sinnvollen Regelabweichungen einzelne Teams etabliert haben, um Geschäftsprozesse voranzubringen.

Solche Feedback-Schleifen sind in agilen Frameworks wie z.B. Scrum oder Design Thinking eingebaut. Aber Hand auf’s Herz: Wie effektiv laufen Ihre Scrum Retros? Finden regelmäßig zu den vorgesehenen Zeitpunkten und dem vorgesehenen zeitlichen Umfang statt? Alle Beteiligten sind bemüht, die Probleme und Prozesse wirklich zu verstehen, anstatt sich gegenseitig Vorwürfe zu machen? Klärungsprozesse finden statt, so dass allen Beteiligten klar ist, was im nächsten Sprint verbessert wird? Dashboards aller (!) unserer Projekte sind transparent? - Wunderbar! Dann weiter so!

Was das mit digitaler Transformation zu tun hat? Wir haben jetzt eine konkrete Möglichkeit besprochen, wie man „händisch“ mit Komplexität umgehen kann. Damit haben wir einen ersten Schritt in Richtung der oben genannten Ausgangshypothese gemacht, nämlich im internen Transformationsprozess die Bewältigung von systemexterner Komplexität besser zu meistern.

In den nächsten Beiträgen werden wir es mit Feedback noch mehrfach zu tun bekommen…. jede Künstliche Intelligenz funktioniert nämlich so. Und die integrierte Betrachtung von Kulturentwicklung und Business Transformation wird uns wieder begegnen, wenn wir über Systeme sprechen.

Lenz Advisory Services

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Bild: pixabay_binary_5137349_1280

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