WAS DIGITALE VORREITER AUSMACHT
Quelle: Digital Pulse 2017

WAS DIGITALE VORREITER AUSMACHT

Priorität auf Transparenz, der Chef als Treiber und eine Offensive in Sachen Kundenorientierung: Unternehmen haben eine digitale Strategie oft zwar bereits verabschiedet, setzen sie aber noch nicht konsequent genug um.

Als Adrian Fischer vor zehn bis fünfzehn Jahren mit Verantwortlichen aus dem Telekommunikations- und Medienbereich sprach, ging es nur um ein Thema: Digitale Transformation. „Kaum eine Branche litt schon damals so sehr unter den Folgen des Internets wie Verlage“, erläutert der Managing Director beim Personalberatungsunternehmen Russell Reynolds Associates. Medienhäuser wie Axel Springer sind heute nicht mehr mit dem Unternehmen von damals zu vergleichen. Über 70 Prozent der Gewinne aus dem ersten Quartal gehen heute auf das Konto digitaler Geschäfte. Knapp 600 Millionen Gewinn machte Axel Springer im letzten Geschäftsjahr, in dem so genannte Rubrikenangebote wie Immobilien-, Job- und Urlaubsportale um mehr als 16 Prozent gewachsen sind. Sie gehören heute genauso selbstverständlich zum Portfolio wie Bezahlangebote bei BILD, dem Hamburger Abendblatt und der WELT. Die so genannte Disruption hat die Branche längst umgekrempelt.

1. Produkte transparent und einfach machen

Derartig konsequent sind nach Ansicht von Fischer wenige Vorreiter für die digitale Transformation in Deutschland: „Unternehmen definieren zwar einen Strategierahmen im Sinne der Digital-Transformation, setzen aber bewusst nur so viel um, wie sie gerade so eben realisieren müssen, um im Wettbewerb bestehen zu können“, sagt Fischer, der auf den Digital- und Technologiebereich spezialisiert ist. „Mutige Veränderungsschritte in den Angeboten, Geschäftsmodellen oder Arbeitsabläufen und -formen realisieren zur wenige.“ Doch zeigt die aktuelle Befragung „Digital Pulse 2017“ von Russell Reynolds Associates unter über 1.500 Entscheidern weltweit, dass die meisten Branchen sich das nicht länger leisten können. Allen voran das Gesundheitswesen und Finanzdienstleistungen, für die die „Gefahr“, Opfer von disruptiven neuen Geschäftsmodellen zu werden, am stärksten ansteigt – im Health-Sektor um 16 Prozent und im Finanzsektor um elf Prozent.

„Komplexe Krankheiten können künftig mithilfe von künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen besser erkannt werden, unstrukturierte Bilder wie Texte werden analysierbar“, benennt Fischer eine wichtige Entwicklung aus dem Gesundheitsbereich. Und auch Banken werden nicht mehr umhin kommen, Produkte transparenter und einfacher zu machen. „Vertragliche Konditionen müssen verständlich sein und nicht als Fußtext über zig Seiten vermittelt werden“, meint Fischer, der in vielen Branchen noch die Verbindung zwischen der Transformationsstrategie und dem „Leben“ des Themas vermisst.

2. Den Chef machen lassen

Dafür ist in den meisten Unternehmen der CEO verantwortlich. In 40 Prozent der Unternehmen wird die Entscheidung über die digitale Vision und Strategie Top Down in der Chefetage getroffen, so Ergebnisse des Digital Pulse 2017 – manchmal vom Marketingchef (14 Prozent) oder dem Verantwortlichen für das digitale Geschäft (10 Prozent).

Doch bedeutet das nicht, dass alle Bereiche im Unternehmen gleichstark mitziehen. Fertigung, der Finanz- oder der HR-Bereich etwa scheinen augenblicklich eher wenig Interesse daran zu haben, als Partner digitaler Vorhaben in den Unternehmen in Erscheinung zu treten. Jedenfalls halten weniger als 50 Prozent der Befragten diese Bereiche für Digitalisierungspartner im Unternehmen. Im Fertigungsbereich sind es sogar nur 22 Prozent. „Die Digitalisierung ist von der Strategie her klar, doch in der Linie nicht etabliert, also auch noch nicht in der DNA der Unternehmen angekommen“, so der Eindruck von Russell-Reynolds-Experte Fischer. Umso wichtiger sind Top-Down-Entscheidungen für die Umsetzung der Digitalisierung derzeit. Das zeigt auch der aktuelle „Digital Maturity & Transformation Report 2017“ der Uni St. Gallen. Demnach wiesen besonders Unternehmen einen hohen Reifegrad in der digitalen Transformation auf, die besonderen Wert auf Top-Down-Entscheidungen und Innovationen legen. Unternehmen, die hingegen den Fokus auf IT und eine Bottom-Up-Strategie legen, gelten digital als Nachzügler. Deshalb steuern inzwischen – so eine aktuelle Studie der GfK und Yougov – in Deutschland inzwischen 35 Prozent der CEOs die digitale Transformation, elf Prozent mehr als im Vorjahr.

3. Kundenorientierung lernen

Vorreiter aus den USA wie Airbnb und Uber oder auch myTaxi aus Hamburg haben gezeigt, wie wichtig es in der Digitalisierung ist, den Kundennutzen bedingungslos in den Vordergrund zu stellen. Im direkten Vergleich zu den US-Amerikanern fehlt es den Deutschen jedoch schlicht an der „Erfahrung bei nutzerzentriertem Vorgehen“, wie eine Studie der GfK und Yougov ergab. Während nur 14 Prozent der Befragten aus den USA hier eine Herausforderung erkannten, waren es in Deutschland 64 Prozent.

Doch haben Forscher und Unternehmer das Thema erkannt. Nicht zuletzt deswegen geht die Uni St. Gallen die „Customer Experience“ (zusammen mit dem Thema Prozessdigitalisierung) im neun Dimensionen umfassenden Reifemodell am stärksten in die Bewertung mit ein und bildet das Dach des grafisch als Haus aufgebauten Maturity-Modells.

Gibt es ein Kundenerlebnis auf allen Kanälen, ist die Kundenkommunikation personalisiert und basieren Marketingaktionen auf der Analyse von Kunden- und Interaktionsdaten? Das sind einige der Fragen, die ein Unternehmen im Test beantworten muss. Die Branchen ITK, Versicherungen, Tourismus sowie Medienhäuser stellten sich hier übrigens als Vorreiter heraus. Medizin & Gesundheit wiesen die geringste Reife auf. Und auch in der Studie Digital Pulse 2017 zeigte sich, dass die digitalen Strategien primär den Kunden im Fokus haben. Drei der sechs als am wichtigsten eingestuften Themen für die digitale Strategie drehten sich beispielsweise um die Implementierung von Tools für „Customer Experience und Engagement“ (77 Prozent), das Sammeln von Kundendaten (71 Prozent) und die (Weiter-) Entwicklung von Kundenanalysen (64 Prozent).

4. Erst das Produkt digitalisieren, dann nach und nach das Unternehmen

Die Herausforderung: Auch der Mitarbeiter im Unternehmen muss den Transfer zum kundenorientierten Unternehmen hinbekommen. Zu einem Mix aus „Wertschätzen des Bestehenden“ und „punktuellem oder besser zielgenauem Fördern des Neuen“ rät der Top-Personalberater Adrian Fischer. Auch wenn der Mangel von digitalen Kenntnissen auf Rang 1 der Hemmnisse auf dem Weg in die Digitalisierung steht, bedeutet das nicht, dass von heute auf morgen eine ganze Belegschaft ausgetauscht werden sollte, sondern dass „Mitnehmen“ angesagt sei. „Auch bei BMW hat die Transformation nicht in der HR- oder Finanzabteilung begonnen“, sagt Fischer – „und trotzdem ist der neue 5er oder 7er BMW mit einem modernen Entertainmentsystem bereits digital aufgeladen.“ Und der Kunde spürt die Digitalisierung schon, wenn die Peripherie im Unternehmen erst noch auf dem Weg ist.

Der Originalbeitrag erschien am 20. Juni 2017 im maihiro-Blog.



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