Digitalisierung: Ärzte wehren sich nicht gegen die Technik, sondern gegen die mit ihrer Einführung verbundene Neudefinition ihres Berufsbildes
Quelle: http://bit.ly/2FWiwag
Vorgeschobene und originäre Ablehnungs-Gründe
Datenschutz, Standards, Abrechnungsfähigkeit, Kompatibilität: die Liste der aus Sicht von Haus- und Fachärzten in Zusammenhang mit der Digitalisierung ungeklärten Fragen ist lang und die einzelnen Aspekte werden immer wieder aufgeführt, wenn es um die Rechtfertigung geht, dass der Transformation-Prozess nur langsam fortschreiten kann. Interviews, Gruppendiskussionen und Gespräche mit niedergelassenen Ärzten zeigen aber eine noch ganz andere Barriere für die Digitalisierung: die Befürchtung vieler Ärzte, dass – jenseits von Notfall- und Intensivmedizin – ihr bisheriges Diagnostik- und Therapie-Monopol aufgeweicht wird und sie ihre Tätigkeit dem Patienten-Einfluss und anderen Dritten öffnen müssen.
Die Digitalisierung erzeugt eine Competition-for-competence-Situation
Digital-Optionen – von Internet-Informationsplattformen über Online-Coaches, Apps und Devices bis hin zu Arztbewertungs-Systemen – bringen Mediziner bereits heute in eine Competition-for-competence-Situation und führen dazu, dass sich das Arzt- / Praxis-Patienten-Verhältnis im Sinne einer Neudefinition des Arztbildes langsam, aber unaufhaltsam verändert. Drei Entwicklungslinien sind hierbei relevant:
(1) Der Verlust der Daten-Hoheit
Hatten Ärzte bislang den alleinigen Zugang zu allen Daten der Diagnostik und des Monitorings, erheben und besitzen Patienten, unterstützt durch digitale Lösungen, nun zunehmend „Konkurrenz-Daten“, die sie selbst generieren. Mediziner stehen somit vor der Aufgabe, ihre eigenen Messwerte mit denen der Patienten in Einklang zu bringen, gleichzeitig ihre Therapieansätze zu vermitteln und ergänzend auf Patientenbindung und -gewinnung zu achten. Gegenwärtig besteht – vor allem aus Rat- und Hilflosigkeit – die Tendenz, den Patientenangaben einfach die Objektivität abzusprechen, doch mittelfristig ist das nicht mehr ohne Nachteile für die eigene Praxis möglich.
(2) Der Verlust der Diagnostik- und Therapie-Hoheit
Bei Einschätzungen von diagnostischen Ergebnissen und der Auswahl von Therapie-Verfahren wandeln sich Internet-Foren und -Ratgeber zu Kompetenz-Konkurrenten. Bislang hatten Haus- und Fachärzte die medizinische Versorgung ihrer Patienten als unangefochtene Entscheider in der Hand. Nun müssen sie umdenken, denn Patienten schalten vom ihrem bisherigen Akzeptanz- in einen Anforderungs-Modus, gestützt durch die vielfältigen Informationen aus den Digital-Quellen.
Hinzu kommt, dass ein besonderer Vorteil der Digitalisierung die Möglichkeit ist, große Datenbestände systematisch und individuell auszuwerten. In allen Bereichen der Medizin werden derzeit Expertensysteme entwickelt, die Medizinern bei ihren Entscheidungen assistieren sollen. Viele sind bereits jetzt in der Lage, mit großer Präzision Diagnosen zu stellen und Therapien zu empfehlen. Deshalb wird es in wenigen Jahren vielleicht schon ein Kunstfehler sein, ohne eine derartige Unterstützung auszukommen.
(3) Der Verlust des Sui generis-Status
Durch die Popularisierung der Medizin verlieren die Leistungen von Arztpraxen ihren unikalen Nimbus. Praxen entwickeln sich in den Augen der Patienten zu Dienstleistungsbetrieben, die bewert- und kritisierter sind. So hat in Patienten-Zufriedenheitsbefragungen die Verwendung von Begriffen wie „Service“ und „Bedienung“ überproportional stark zugenommen, ebenso die Bedeutung nicht-medizinischer Leistungsmerkmale im Rahmen der Qualitäts-Bewertung von Arztpraxen.
Substitution des Arztes durch die Technik?
Manche Haus- und Fachärzte ahnen bereits, was auf sie zukommt und entwickeln ein düsteres Szenario der Substitution des Arztes durch die Technik. Das wird aber noch lange Theorie bleiben, einschneidende mittelfristige Veränderungen jedoch nicht.