Digitalisierung ist das falsche Wort…
Mit dem Wort „Digitalisierung“ oder besser digitale Transformation finden sich viele technische Themen auf einen einzigen Begriff reduziert. Sei es Big Data, Industrie 4.0, Internet of Things, Industrialisierung der Verwaltung oder auch Automatisierung von Prozessen etc.
Und doch beschreiben diese technischen Themen, welche in den letzten Jahren in der Digitalisierung gipfelten nicht die eigentlichen Herausforderungen.
Das Problem ist, dass diese technischen Themen allesamt bereits durch eine ganze Vielzahl von Anbietern gelöst sind. Immerhin bieten diese ja seit geraumer Zeit eine Unmenge von technischen Lösungen an.
Als Techniker fällt es mir leicht, diese Lösungen als solche anzuerkennen und mit der richtigen Integration versehen und ist es mir auch völlig klar, dass diese Produkte viele Probleme der Digitalisierung lösen werden.
Doch leider lösen diese eben nur die technischen Herausforderungen. Die Digitalisierung ist aber viel mehr als nur die Technik.
Das Verständnis fehlt
Es fällt leicht, Digitalisierung auf die Technik zu reduzieren. Immerhin findet man hier schnelle Antworten, die einem vermeintlich den Weg in die Digitalisierung bereiten. Doch bergen diese vermeintlichen Antworten eine große Gefahr.
Die Lösungen lenken schlicht weg von den eigentlichen Fragestellungen ab, die vor dem Einbringen einer solchen Lösung beantwortet sein müssen.
Vor kurzem hatte ich die Möglichkeit, mit einer Gruppe von Führungskräften und Fachexperten über das Thema Digitalisierung zu diskutieren. Es handelte sich bei der Gruppe um einen bunten Mix aus Technikern, Personalreferenten, IT-Kräften, Verwaltung, Service und Vertrieb.
Ich stellte einfach die Frage zur Diskussion, was Digitalisierung eigentlich sei. Und die Diskussion war äußerst spannend. Erst jetzt begriff ich, woran die Digitalisierung in Deutschland eigentlich hapert.
Durchweg hatten alle nur die technische Seite in Betracht gezogen. Auch die „Nicht“ Techniker. „Bestehende Prozesse in Systemen abbilden“, „Daten vernetzen“, „IT-Systeme aufbauen“ etc.
Dann stellte ich die Frage, was sich denn für jeden einzelnen in den letzten 10-15 Jahren - auch oder insbesondere privat - verändert hätte.
Ein Techniker sagte „Nichts…“. Und das zeigte auch ein Problem an. Für Techniker ist alles klar. Die Technologien, die in den 70iger, 80iger und 90iger Jahren entstanden sind (Internet, E-Mail, Mobilfunk etc.) waren schon weit früher verfügbar. Die haben sich seitdem einfach nur in der Allgemeinbevölkerung durchgesetzt.
Ein weiterer IT-Fachexperte sagte, dass man heute mit seinen Daten deutlich weniger sensibel umgeht, wenn man Facebook, Amazon, Google etc. nutzt. Die Grenzen der eigenen Selbstdarstellung sind weiter nach hinten gerückt.
Und da war die Frage nach dem „Warum das so ist?“ nicht weit. Eine richtige Antwort blieb darauf leider aus. Was mir zeigte, dass es in der Allgemeinheit, gar nicht in Frage steht, was zu solch umfassenden Änderungen in der Gesellschaft führt. „Es ist halt einfach so…“
Dass es einen massiven Kulturwandel braucht, solche Veränderungen zu forcieren war kaum jemanden klar. Die Menschen haben heute das Bedürfnis, sich gegenseitig mitzuteilen wer sie sind, und was sie so machen. Fragen die man hat müssen sofort beantwortet werden können. Sich gegenseitig dabei zu helfen wird als selbstverständlich hingenommen. Mit Amazon in China, Italien und der ganzen Welt Waren bestellen zu können, ist heute einfach Standard. Made in Germany tritt dadurch deutlich in den Hintergrund. Ist aber auch nicht schlimm, weil die Vielfalt des Angebotes siegt. Und Deutschland bleibt trotzdem Exportland.
Die Digitalisierung bekommt hier plötzlich Stichworte wie Globalisierung, Schwarm-Intelligenz, Community, Vernetzung, Kommunikation uvm. eingeordnet. Diese sind plötzlich weniger technisch und eher weicher auf eigentliche Veränderungen geprägt.
Privat kann ja jeder
Doch das ist das Privatleben. Da ist es einfach. Da geht es um die individuellen Bedürfnisse. Jeder kann selbst entscheiden wie digital/transparent er sein will. Jeder kann selbst entscheiden, ob er Google, Amazon oder wem auch immer seine persönlichen Daten anvertraut.
In der Arbeitswelt ist das gleich eine völlig andere Dimension. Stellen Sie sich vor, jeder in der Firma weiß, was und wie viel sie in ihrer Arbeit tun und kann sich damit vergleichen. Oder besser noch jeder weiß, was der andere verdient, weil es einfach ständig verfügbar ist. Ihre Führungskraft kann ihre Arbeitsergebnisse und den Aufwand dazu einsehen und sie mit Kollegen vergleichen. Das nennt sich leistungsbezogenes Reporting und wird von Betriebsräten in der Regel abgelehnt. Und das ist auch gut so. Denn völlig ohne Regeln und Schutz der Arbeitnehmer darf das nicht gemacht werden.
Herausforderung für Unternehmen
Damit sind wir bei der eigentlichen Herausforderung. Wenn ich ein digitales Unternehmen will, komme ich nicht umhin mir grundlegend Gedanken über die Arbeitswelt der Zukunft zu machen.
Diese Fragen können keine Technik und kein Techniker der Welt beantworten. Diese Fragen sind in der Regel noch nicht einmal gestellt. „Wie wollen wir denn in Zukunft arbeiten?“. Manager sagen hier sowas wie „30% mehr Umsatz bei gleichbleibender Belegschaft“, „Senkung der Durchlaufzeiten um 50%“.
Doch ist das viel zu oberflächlich. Digitalisierung bedeutet für alle in der Belegschaft ein grundlegendes Umdenken der eigenen Arbeit. Dementgegen stehen Organisationssilos, welche durch getrennte Verantwortungsbereiche gekennzeichnet sind.
Digitalisierung ist Vernetzung. Und die beginnt bei den Menschen aus allen Unternehmensbereichen. Digitalisierung braucht Vertrauen welches durch starre Silos meist nur innerhalb des eigenen Unternehmensbereiches gegeben ist. Und zwar genau so ein Vertrauen, wie ich es im privaten gegenüber Google, Amazon etc. pflege.
Übergreifendes gegenseitiges Vertrauen ist aber heute meist nur in bilateralen Abstimmungen gegeben und selten in organisierter Form möglich. Und doch ist das der Schlüssel. Vertrauen, Offenheit, Transparenz über die eigenen und fremden Arbeitsabläufe und die dabei existierenden Ineffizienzen. Dabei treten mit hoher Wahrscheinlichkeit auch Mehrfacharbeiten und Doppel-Organisationen in unterschiedlichen Organisationssilos zu Tage.
Damit offen umzugehen ist eine der größten Herausforderungen für gewachsene Organisationen. Nicht selten führen diese Themen bewusst oder auch unbewusst zu einer Blockadehaltung gegenüber den Veränderungen der Digitalisierung. Damit umzugehen und nicht mit dem Finger zu zeigen, sondern gemeinsam einen Ausweg aus der Situation zu bieten ist der Schlüssel zur erfolgreichen Digitalisierung.
Damit schafft man es gemeinsam die eigentlichen Fragen zu erarbeiten und deren Lösung in der Organisation gemeinsam zu finden. Techniker können dann in ihrer eigentlichen Rolle als passender Lösungsanbieter in Erscheinung treten und wie gehabt die Welt retten.
Das Wort Digitalisierung
Das Wort Digitalisierung lenkt also genau von diesen Fragen ab, indem man es auf etwas Technisches wie digitale Systeme reduziert. Das hindert uns daran, die eigentlichen Herausforderungen anzugehen.
Doch welches Wort wäre besser geeignet?
Mit der Schärfung des Begriffes auf digitale Transformation wurde schon die Problemstellung eher adressiert. Digitale Disruption ist eine klare Verschärfung dessen. Immerhin ist eine Disruption ein vollständiges Auseinanderreißen einer festen Struktur was die Chance bietet diese effizienter neu aufzubauen.
Doch auch diese Begriffe könnten von Nerds stammen. Und die Welt besteht nun mal nicht nur aus Nerds. Es braucht also einen Begriff, der allgemein nachvollziehbar ist und die eigentliche Fragestellung und Herausforderung in den Vordergrund stellt.
Eigentlich handelt es sich doch eher um eine „Neugestaltung von Unternehmen und Unternehmenskulturen als Folge des technologischen Wandels unserer Zeit“.
Doch das klingt nicht so smart wie Digitalisierung oder digitale Transformation, oder?
OPEN. CLOSE. CONNECT
6 JahreDigitalisierung --> ODER treffend von M. Bienke formuliert: „Neugestaltung von Unternehmen und Unternehmenskulturen als Folge des technologischen Wandels unserer Zeit“ Die Digitalisierung beinhaltet nicht nur Daten, Schnittstellen und Systeme, vielmehr ist ein Wandel in der Arbeitsweise, der internen und externen Digitalen Kommunikation und der Unternehmenskultur das Thema - beeinflusst durch die technische Entwicklung. Das Arbeitsumfeld verändert einerseits sich dahingehend, dass die eigens ausgeführten Tätigkeiten automatisiert, "digitalisiert" und durch Prüfende oder Kontrollaufgaben ersetzt werden. Anderseits führen die technischen Mitarbeiter die Entwicklung, Programmierung und Integration der Automatisierung, Robotik und "Digitalisierung" aus. Das sind die erwähnten Techniker, Engineering Berufe, die heute in ihrem Arbeitsumfeld keine oder eine geringe Auswirkung durch die Digitalisierung feststellen. Das sind nur zwei Aspekte, dessen sich die Unternehmensführung bewusst sein muss und entsprechend Einfluss in die "neue" Unternehmenskultur haben. Die Digitale Entwicklung beinhaltet ab einer gewissen Entwicklungsreife eine "Zweiklassen Belegschaft" mit entsprechenden Ausbildungen und Gehaltsklassen (Ablauf-, Produktionskontrolle vs. Entwickler und Integratoren). Ein weiterer Aspekt sind die "digitalen", zukunftsorientierten Ausbildungsmöglichkeiten, die spezifisch erarbeitet und angeboten werden müssen. Hier sind nicht nur die Unternehmungen in der Pflicht.