Dogmenwechsel im Insolvenzrecht! Erhalt vor Zerschlagung
Mobilia, Immobilia, Nomina sind uns vertraute Vermögensgegenstände. In der Antike formuliert als juristische Werkzeuge um Gegenstände zu versilbern. Im deutsch-sprachigen Raum orientieren wir uns an der römischen Philosophie des Gläubiger-schutzes. Unser Insolvenzrecht befriedigt in erster Linie die Gläubiger. Aus wirtschaftsliberale Sicht ist es sinnvoll erfolglose Betriebe sterben zu lassen, damit das Kapital neuen produktiveren Unternehmen zur Verfügung steht. Wer in Konkurs gerät wird als Verlierer stigmatisiert.
Die USA hingegen legen grösseren Wert auf das Unternehmertum, den Neustart des Schuldners. In Frankreich steht das Schicksal der Unternehmen und der Arbeitnehmer im Insolvenzrecht im Vordergrund.
Die industrielle Gesellschaft ist mit den im deutschsprachigen Raum geltenden Prioritäten gut zurechtgekommen. In der Dienstleistungswirtschaft genügen die Definitionen aus dem römischen Recht aber nicht mehr. Die dominierenden Vermögens-gegenstände sind Know-how, Goodwill und Kundenbeziehungen. Diese sind oft mit bestimmten Personen verknüpft. Es steht deshalb im Interesse der Gläubigers, dass der Schuldner weiterarbeitet und die Vermögensgüter dadurch wieder werthaltig werden.
Die EU Kommission will mit dem neuen Richtlinien Vorschlag für ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren eine EU-weite Harmonisierung herbeiführen. Sanierungsmassnahmen sollen die Insolvenz nicht weiter voraussetzen. Vielmehr soll die Insolvenz vermieden werden. In den Vordergrund rückt das Überleben der Unternehmung, die Erhaltung der Arbeitsplätze.
- Bei der Gefahr einer Insolvenz soll ein Vollstreckungsschutz ermöglichen, dass eine leistungs- oder finanzwirtschaftliche Restrukturierung unter günstigeren Bedingungen vorgenommen werden kann.
- Mit einem aussergerichtlichen Restrukturierungsplan wird die Passivseite der Bilanz neu gestaltet. Dabei kann in die Rechte einer Gläubigerminderheit eingegriffen werden.
- Gläubiger sind angehalten genauer hinzuschauen. In gefährdeten Unternehmen muss ein Frühwarnsystem etabliert werden.
- Der überschuldete Unternehmer erhält eine zweite Chance.
Banker, Restrukturierungsberater und Interim Manager haben an der ReTurn Jahrestagung 2017 in Krems sind die möglichen Auswirkungen der Umsetzung der EU Direktive in Österreich und Deutschland mit Prof. Ch. Paulus diskutiert.
Die Initiative der EU ist mit Blick auf die Förderung des Unternehmergeistes zu begrüssen. Der Mittelstand erhält Zugang zu einfacheren und kostengünstigeren Sanierungsinstrumenten. Unsere Denkstrukturen werden aber herausgefordert, Geschäftsführer und Restrukturierungsmanager müssen etablierte Strukturen überdenken: Was bedeutet 'Frühwarnsystem'? Verändert sich das Verhalten der Banken? Gibt es Missbrauchsmöglichkeiten? Verändern sich die Beziehungen zu den Geschäfts-partnern? Gibt es neue Verpflichtungen für Geschäftsführer? Ergeben sich Konflikte mit dem Grundsatz ‚Pacta sunt servanda‘?