Dummheit
Wohl kaum jemals zuvor wurde so heftig über die «Dummen» gestritten wie seit dem Corona-Ausbruch. Dabei sind die meisten überzeugt, selber intelligent zu sein. Dumm sind immer die anderen. Die Psychiaterin Heidi Kastner, 59, hat jetzt ein Buch über Dummheit geschrieben. Ihr Fazit: «Dumme Menschen haben schon mehr Schaden angerichtet als Waffen.»
Frau Kastner, wer über Dummheit schreibt, muss sich zwangsläufig für nicht dumm halten. Zählen Sie sich zu dieser Gruppe der Auserwählten?
Natürlich bin ich nicht dagegen gefeit, in alltäglichen Belangen ab und zu dumme Dinge zu tun.
Zum Beispiel?
Neulich bin ich zu schnell gefahren und musste eine Busse zahlen.
Dumm ist nicht eine Frage des IQ, es geht nicht um rechnen können oder Fremdsprachen beherrschen, erklären Sie in Ihrem neuen Buch. Ist «dumm» eine Einstellung?
Es ist die Tendenz, Fakten zu ignorieren. Und im Sinne des kurzfristigen, unmittelbaren und scheinbaren Vorteils langfristige negative Folgen für sich und andere zu ignorieren. Dumme Menschen verstehen sich nicht als Teil eines Gefüges, für sie kommen immer nur die eigenen Belange an erster Stelle.
Ist Donald Trump dumm?
Nein, er ist das, was der Wirtschaftshistoriker Carlo Maria Cipolla einen Banditen oder einen Verbrecher nennen würde. Trump hat die Situation stringent analysiert und daraus die Schlussfolgerung gezogen, dass er mit einer gewissen Taktik höchstwahrscheinlich erfolgreich sein wird. Diese Taktik hat er dann effizient angewandt.
Und damit eine grosse Schar von Anhängern gewinnen können.
Intelligenz muss nicht zwingend mit Moral verbunden sein. Trump hat wohl auch zum Schaden anderer konsequent im Sinne des eigenen Vorteils gehandelt.
Wer ist Ihrer Meinung nach die dümmste Person der Weltgeschichte?
Da ist die Auswahl so gross, dass mir die Antwort schwerfällt. Aber Hitler wäre ein guter Kandidat. Immerhin hat er Millionen Menschen vernichtet, einen weltweiten Krieg angezettelt und im Ergebnis für andere und auch für sich selbst maximalen Schaden angerichtet.
Was ist das Rezept gegen Dummheit? Man sagt ja, dass dagegen kein Kraut gewachsen ist.
Man muss Dummheit als Fakt anerkennen. Und sie immer einkalkulieren.
Gute Bildung ist offenbar kein Rezept. Es sind nicht alles ungebildete Simpel, die zum Beispiel bei den religiösen Fundamentalisten des IS mitmachen.
Das zentrale Merkmal von dummen Leuten ist, dass sie ausschliesslich die eigene Position priorisieren und alles andere ignorieren. Das sieht man auch in dieser ganzen Corona-Pandemie, wo die Leute sagen: «Ich bleibe ganz bei mir.»
Wie meinen Sie das?
Da ist ständig von Eigenverantwortung die Rede. Was, bitte, heisst denn das?
«Die Corona-Pandemie ist unglaublich ergiebig für das Thema Dummheit.»
Sagen Sie es uns.
Es heisst: Ich schaue nur für mich selbst und nicht für die anderen. Das kann nur funktionieren, wenn ich als Eremit irgendwo völlig isoliert in einer Höhle lebe. Dann – von mir aus – bin ich für mich verantwortlich und für keinen anderen. Aber sobald ich in einen grösseren sozialen Kontext eingebettet bin, ist dieses Unwort der Eigenverantwortung einfach ein völliger Blödsinn. Die Corona-Pandemie ist unglaublich ergiebig für das Thema Dummheit.
Inwiefern?
Da reisen Leute in exotische Länder in die Ferien und lassen sich Impfungen verabreichen, die durchaus mit Nebenwirkungen behaftet sind. Da denkt dann keiner daran, dass zum Beispiel die gängige Hepatitis-B-Impfung vor ihrer breit ausgerollten Anwendung an einem Bruchteil der Zahl von Personen getestet wurde, an denen aktuell die Covid-Impfungen überprüft wurden. Kein Mensch, der jetzt herumweint und gegen die Covid-Impfung wettert, hat sich kundig gemacht, auf welchen wissenschaftlichen Grundlagen die übrigen Impfungen beruhen, die er längst bekommen hat.
Der Corona-Impfgegner ist also dumm?
Zu diesem Schluss muss man kommen.
Wenn Sie das sagen, vergrössern Sie den Graben, der die Gesellschaft derzeit spaltet. Da stehen sich zwei Welten gegenüber, jene der Impfbefürworter und der Impfgegner, die gar nicht mehr miteinander reden können.
Das muss man ja auch nicht.
Wie bitte?
Dialogbereitschaft ist zwar prinzipiell zu befürworten und eine gute Sache. Allerdings nur, wenn sie auf beiden Seiten vorhanden ist. Alles andere benennt man besser als das, was es ist. Nämlich eine zweckbefreite und absehbar ergebnislose Kombination zweier Monologe, und spart sich Mühe, Ärger und Zeit, mit Menschen zu diskutieren, die das Recht auf eine eigene Meinung mit dem Recht auf eigene Fakten verwechseln. Es ist blauäugig, zu glauben, man müsse den Dialog offen halten. Die Regierung muss einfach entscheiden – und zwar auf der Basis der aktuell verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse.
Kann man nicht auch jene als dumm bezeichnen, die der Wissenschaft glauben, deren Erkenntnisse jeweils so lange gültig sind, bis das Gegenteil bewiesen ist?
Nein, der Wissenschaft zu glauben, ist nicht dumm. Sie ist immer in Bewegung. Der aktuelle Stand der Forschung ist jeweils der bestmögliche Informationsstand, unterliegt aber laufend weiteren Veränderungen, weil die Wissenschaft ja immer neue Erkenntnisse gewinnt. Wissenschaft impliziert immer, dass die Dinge im Fluss sind und sich Positionen verändern.
Aber das Vertrauen in Wissenschaftler und Experten hat zum Teil gelitten. Warum?
Wahrscheinlich kann man das weiter zurückverfolgen, aber besonders evident wurde es mit der Regierung Trump und diesem unsäglichen Schlagwort der alternativen Fakten. Es gibt keine alternativen Fakten. Es gibt Fakten und blöde Positionen, die die Fakten ignorieren. Früher hat man zumindest anerkannt, dass es Leute gibt, die etwas studiert haben, sich dort gut auskennen und wissen, wovon sie reden. Die anderen hielten entweder den Mund oder glaubten, was die Experten sagen. Mittlerweile ist es salonfähig geworden, zu sagen, die Experten seien verlogen. Es gibt eine zunehmende Bereitschaft, Verschwörungstheorien anzuhängen.
Haben Sie eine Erklärung dafür?
Die zunehmende Komplexität der Welt hat diese Bereitschaft sicher verstärkt. Verschwörungstheorien sind umso attraktiver, je allumfassender sie sind und ein Welterklärungsmodell liefern. Dieses Expertenmisstrauen und das Gerede von postfaktischem Zeitalter oder alternativen Fakten schafft eine Grundstimmung, die dazu führt, dass sich Leute ihre eigene Position schnitzen auf Basis irgendwelcher abstruser Ideen und Faktenfreiheit mit Meinungsfreiheit verwechseln.
Heidi Kastner: «Es erstaunt mich immer wieder, in wie vielen Bereichen sich Menschen Wissen und Fähigkeiten zuschreiben, die sie gar nicht haben.»
Foto: Christian Huber
Jetzt klingen Sie etwas fassungslos.
Ich habe neulich ein Internetvideo gesehen, in dem einer behauptet hat, mit der Impfung würden irgendwelche extraterrestrischen Spinneneier injiziert, die uns dann von innen auffressen. Da ist wirklich Fassungslosigkeit angebracht. Abstruser geht es ja wohl kaum!
Jeder darf doch glauben, was er will.
Aber man darf dummen Leuten nicht zu viel Raum und vor allem nicht zu viel Macht geben, sonst kann es gefährlich werden. Wenn sie sich selber schaden, ist das in einer freien Gesellschaft legitim. Aber wenn sie anderen schaden, ist das ein Thema, das man nicht mehr einfach völlig cool und gelassen hinnehmen kann.
Woran denken Sie?
Um nicht immer nur über Corona zu reden: Der deutsche «Wunderheiler» und Arzt Ryke Geerd Hamer hat abstruse Ideen entwickelt und damit 1995 fast den Tod eines krebskranken Kindes verursacht, indem er dessen aussichtsreiche Behandlung mit den völlig verblendeten Eltern lange verhinderte.
Hat die Dummheit, wie Sie sie verstehen, zugenommen?
Dummheit hat Hochkonjunktur! Es erstaunt mich immer wieder, in wie vielen Bereichen sich Menschen Wissen und Fähigkeiten zuschreiben, die sie gar nicht haben. Wenn die Waschmaschine kaputt ist, holt man mit grösster Selbstverständlichkeit einen Fachmann. Aber bei deutlich komplexeren Themen sprudeln manche Leute nur so von Gewissheiten. Eine beliebte Spielwiese ist die Medizin, wo es heute von selbst ernannten Fachleuten nur so wimmelt. Da werden gänzlich kenntnisfreie, «gefühlte» Empfehlungen an den Mann und die Frau gebracht. Der Schriftsteller Charles Bukowski formulierte es so: «Das Problem ist, dass intelligente Menschen voller Zweifel sind, während die dummen voller Vertrauen sind.» Die Dummheit hat aufgehört, sich zu schämen.
Wie kommen Sie darauf?
Wann haben Sie das letzte Mal von irgendwem gehört: «Das weiss ich nicht»? Es gab vor einiger Zeit in Österreich eine Radiosendung, in der man Leute auf der Strasse befragt hatte. Da wurde zum Beispiel gefragt: Können Sie mir bitte sagen, wo hier der Zugang zum Internet ist? Es war verblüffend, wie viele Leute gesagt haben: «Das kann ich Ihnen schon sagen. Da gehen Sie hier entlang und vorne am Eck’ gehen Sie nach links und dann die dritte rechts.» Anstatt dass die Leute einfach gesagt hätten: «Ich weiss es nicht.» Es ist mittlerweile völlig aus der Mode gekommen, zuzugeben, dass man Dinge nicht weiss.
Was haben Sie denn für Kriterien, um Dummheit zu vermessen?
Es wäre vermessen, zu sagen, dass man Dummheit vermessen kann. Das kann man nicht. Es gibt bis heute ja auch keine gute Definition von Intelligenz. Als dumm muss man sicher jene bezeichnen, die mit gefühlten Wahrheiten oder Intuitionen daherkommen und dann sagen, die Intuition sei eine wesentliche Erkenntnisquelle.
In gewissen Lebenssituationen kann sie doch ganz nützlich sein.
Das mag sein, wenn es zum Beispiel um Dinge wie Sympathien oder Antipathien geht. Aber wenn es um die Bewertung von Fakten geht, ist die Intuition gefährlich. Wir hatten vor einiger Zeit in Österreich dieses furchtbare Unglück mit der Gletscherbahn in Kaprun. Da sind die Leute in grosser Zahl gestorben, weil sie intuitiv versucht haben, aus dem brennenden Tunnel nach oben zu flüchten. Das war falsch, weil Feuer nach oben brennt. Aber jeder von uns hätte wahrscheinlich die Intuition gehabt, nach oben wegzulaufen, dem Licht zu.
Als forensische Psychiaterin sind Sie auch als Gutachterin bei Strafprozessen im Einsatz und beschäftigen sich mit schwersten Verbrechen. Hat das Böse mit Dummheit zu tun?
Oft. Es geht immer um ein kurzfristiges Befriedigen der eigenen Bedürfnisse. Die Tragik bei vielen Verbrechen ist, dass sie im Nachhinein betrachtet völlig sinnlos und nur traurig sind. Da ist nichts Mysteriöses. Das Böse ist kein Faszinosum, sondern in der Regel einfach dumm.
Sie waren Gutachterin im Fall von Josef Fritzl, der von den Medien als «Monster von Amstetten» bezeichnet wurde. Er hielt seine eigene Tochter 24 Jahre im Keller gefangen, vergewaltigte sie regelmässig und zeugte dabei mit ihr sieben Kinder. Wie haben Sie Fritzl erlebt?
Ich kann mich nicht über ihn beklagen. Er war in den Gesprächen kooperativ, nicht unhöflich, und er hat sich bemüht, meine Fragen zu beantworten. Was zur Tat führte, war sein Bedürfnis, die absolute Herrschaft über andere zu haben und das sexuell auszuleben. Er hat gesagt, er sei zum Vergewaltiger geboren. Emotional war er ein sehr unspannender Mensch. Er hat einfach jahrelang immer dasselbe gemacht.
Von Albert Einstein stammt die viel zitierte Bemerkung, dass es nur etwas gebe, was noch unendlicher sei als das Universum: die menschliche Dummheit. Wie erkennt man, dass man es gerade mit einem Dummen zu tun hat?
Daran, dass bei diesen Menschen immer andere schuld sind. Sie sind nie dafür verantwortlich, wenn irgendwas schiefgeht. Sie stellen sich selber nicht infrage. Andere kommen auch mal auf die Idee, dass sie nicht immer die klügsten Dinge machen.
Wann ist das bei Ihnen der Fall?
Na ja, wenn ich Dinge aufschiebe, von denen ich weiss, dass ich sie gescheiter gleich erledigen sollte. Oder manchmal unbedacht und vorschnell etwas sage – und dann denke: Das hätte ich mir jetzt auch sparen können.
Mit Licht malen
3 JahreDumm ist wer dummes tut 🙃 Forrest Gump