Ein Ausflug in die chinesische Schrift
Nachdem wir uns in den letzten Monaten auf dieser Seite des Newsletters mit Themen wie der Vereinheitlichung der Sprache durch die karolingische Minuskel beschäftigt haben und auch betrachteten, was passiert, wenn Länder keinen derartigen Normungsprozess durchlaufen, wenden wir unseren Blick heute fern in Richtung Osten.
Genauer gesagt nach China. Denn für uns als Europäer gibt es wenig, was derartig repräsentativ für ferne Kulturen und so konträr zu der unseren erscheint wie die chinesische Sprache und ihre Schrift. Ein Teilgrund hierfür könnte wohl auch in der Schrift zu finden sein. Denn anders als im lateinischen Alphabet, bei dem man, wie Sie in diesem Moment, die einzelnen Buchstaben, denen bestimmte Laute zugeordnet sind, aneinander reiht und daraus Worte und Sätze bildet, geben chinesische Schriftzeichen keinerlei Aufschluss darüber, wie ein Wort ausgesprochen wird. Vergleichbar wäre dies mit den bei uns genutzten Sonderzeichen. Dass das Zeichen »%« Prozent gesprochen wird, lässt sich nicht aus dem Zeichen selbst ableiten, sondern muss in der Schule gelernt werden. Da macht es auch nichts, dass es im Finnischen »Prosenttia« und im Irischen »Faoin gcéad« heißt.
Eines vorweg: »Das Chinesisch« gibt es eigentlich nicht. Zwar gibt es eine Form von Hochchinesisch, wie es in den Schulen gelehrt und auch im chinesischen Fernsehen gesprochen wird, allerdings werden im tatsächlichen Sprachgebrauch praktisch immer Dialekte gesprochen, die stark vom Ursprung abweichen. Die geläufigsten sind Kantonesisch, was vornehmlich im Süden, also unter anderem in Hongkong gesprochen wird und Mandarin, wie es vor allem im Norden, also beispielsweise in Peking gesprochen wird (und nebenbei bemerkt mit 1,1 Milliarden Muttersprachlern die sprecherreichste Sprache weltweit ist). Dies führt dazu, dass sich Menschen aus verschiedenen Teilen des Landes häufig gar nicht oder nur sehr schwer verbal verständigen können.
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Insgesamt gibt es über 80.000 Schriftzeichen, wovon aber auch in chinesischen Schulen nur 3.500 gelehrt werden. Sobald man etwa 2.000 beherrscht, lassen sich bereits chinesische Zeitungen und die meisten Bücher lesen. Sieht man sich die Herkunft der Schriftzeichen an, stellt man fest, dass diese auf Piktogrammen basieren, die über die dreitausend Jahre ihrer Existenz immer weiter vereinfacht wurden. Allerdings lässt sich die Bedeutung in manchen Fällen noch erahnen, wie beim Zeichen für Baum bzw. Holz: 木 (mù). Mit etwas Fantasie lässt sich ein Baum mit einer Krone erahnen. Dieses vereinfachte Piktogramm lässt sich nun beliebig ausbauen. So ist zum Beispiel das Zeichen für Wald: 林 (lín) praktisch nur eine Verdopplung von Baum, sozusagen mehrere Bäume. Möchte man einen speziellen Teil des Baumes benennen, wie die Wurzel: 本 (běn), so wird der unterste Teil einfach mit einem Strich hervorgehoben. Dies gibt natürlich nur einen sehr groben Einblick in die ursprüngliche Entstehungsgeschichte der chinesischen Schrift und ist bei Weitem nicht in jedem Fall so simpel.
Die drei Schriftzeichen, die Sie im Kopf dieses Artikels sehen, bedeuten alle einfach Biáng-Nudeln. Links in der gängigen Regelschrift, mittig in der ursprünglichen Ming Schrift und rechts in »vereinfachter« Form. Wie es von einer Nudel zu diesem Monstrum an Schriftzeichen kam, darüber dürfen Sie gerne spekulieren. Tatsächlich weiß es niemand so sicher.
Seit 1958 existiert neben den traditionellen Schriftzeichen auch Pinyin: Eine auf dem Hochchinesischen basierende Lautschrift. Diese soll die Kommunikation zwischen den einzelnen Bezirken und Dialekten vereinfachen bzw. erst ermöglichen und außerdem im digitalen Bereich eine vereinfachte Worteingabe ermöglichen. Tatsächlich sind durch diese Art der Vereinheitlichung bereits viele chinesische Dialekte in bestimmten Regionen ausgestorben, die vorher anderswo praktisch nicht verstanden werden konnten. Wenn Sie also das nächste Mal mit viele Fragezeichen versehen in einem bayerischen Dorf unterwegs sind, denken Sie an unseren Beitrag: Sie sind auf dieser Welt nicht allein.