Ein Reset-Knopf für Markenverständnis
Seit Jahrzehnten wird durch Werbung, Einkaufs- und Konsumerlebnisse unser Markenverständnis und damit unsere Einkaufsgewohnheiten geprägt. Wenn meine Frau und ich den Wochenendeinkauf erledigen, greifen wir zielsicher in die Regale. Die Entscheidungen für die Auswahl erscheinen nahezu von Geisterhand. Doch was passiert, wenn man bei den Konsumenten einfach mal den Reset-Knopf im Kopf drückt?
Wie das aussehen kann, durfte ich bei dem Besuch meiner Schwiegereltern erleben, die über die Weihnachts- und Neujahrzeit schöne Tage bei uns verbrachten. Das Besondere und für das Szenario des Reset-Knopfes wichtige: meine Schwiegereltern kommen aus Armenien und haben einfach keinen Bezug zu der Markenwelt, in der wir uns hier in Deutschland so selbstverständlich bewegen und leiten lassen.
Absolute Unbefangenheit
Wenn meine Schwiegermutter meine Frau und mich beim Einkaufen begleitete, fiel eines gleich auf: mit kritischem Blick wurden die Produkte begutachtet und mit Bedacht in den Korb gelegt. Dabei war die Sprachbarriere weniger wichtig, da die Produkte aufgrund ihrer Verpackungen schnell zuordbar sind. Vielmehr fand ich die Aufmerksamkeit für die Auswahl bemerkenswert. Natürlich kannte Sie noch nicht das Geschmackserlebnis, aber in ihr existiert auch kein Markenbild, dass durch Werbung oder andere Einflüsse kreiert wurde.
Es fand eine bewusstere und kritischere Entscheidung statt. Was zunächst wie eine Unsicherheit wirkte, machte mir eigentlich klar, wie programmiert meine Frau und ich eigentlich einkaufen. Ob Saure Gurken, Toastbrot oder die „richtige“ Nuss-Nougat-Creme – für die Auswahl spielt für uns alle oft das Branding eine wesentliche Rolle.
Das Kaugummi-Regal
Als wir an der Kasse standen und uns dort noch ein letztes Mal die bunte Produktwelt anlachte, griff meine Schwiegermutter eine kleine Dose Kaugummis von Jetgum. Die lange Betrachtung und die Frage an meine Frau und mich, ob diese gut seien, veranlassten uns zu scherzen. „JETGUM – die sind richtig gut.“ Diese Ironie verfängt nur bei uns, da wir Jetgum als Eigenmarke von Lidl als Budgetvariante wahrnehmen. Wrigley’s Kaugummi zum Beispiel hat da ein ganz anderes Standing und erzeugt bereits nur mit der Nennung eine anderes Markenbild inklusive freundlichen Menschen mit schneeweißem Lächeln. Meine Schwiegermutter lässt das absolut kalt.
Bewusstsein über unser Bewusstsein
Das Bewusstsein für Marken und die daraus resultierende Beeinflussung unserer Auswahl sind real. Es ist interessant sich vorzustellen, hier komplett neu anzufangen und Waren über ihre Markenwahrnehmung hinaus neu zu entdecken und schätzen zu lernen. Sicher ist es vielen von uns im Urlaub in anderen Ländern aufgefallen, was es bedeutet, sich komplett neu orientieren zu müssen. Aber da ist es eben Urlaub und okay, wenn etwas ungewohnt erscheint.
Viel intensiver ist die Erfahrung, wenn man im heimischen Einkaufsparadies das eigene Familienmitglied dabei beobachten kann und sich bewusst wird, was dies für einen selbst bedeutet. Dabei spielt eben nicht nur das reine Geschmackserlebnis eine Rolle, sondern auch unsere Markenbindung. Diese mal beiseiteschieben zu können, und sei es nur im für einen kurzen Moment, kann Freiheit im Kopf bedeuten. Dann lässt man auch mal den Pawlow'schen Hund von der Leine.
__________________________________________________________________________
Warum dieses Szenario und die Ausführungen zu meinen Beobachtungen? Es geht mir nicht um Werbe- oder Markenschelte. Ich liebe meine Marken, kaufe gern ein und als Marketeer pflege ich einen professionellen Zugang zu Marken.
Jedoch mit der stetigen Veränderung von Werten und Wahrnehmungswünschen von Konsumenten, bedarf es eines erweiterten Bewusstseins für mögliche Veränderungen und Kontraste. Die Erfahrungen rund um den Besuch meiner Schwiegereltern war für mich sehr interessant und ich hoffe euch damit einen Impuls für weitere Gedanken geben zu können.
Was ist eure Meinung? Kauft ihr bereits "bewusster" ein und was heißt das für euch konkret? Inwieweit baut dieses Bewusstsein auf generierte Markenbilder auf und sind diese eurer Meinung nach authentisch und nachhaltig? Ich freue mich auf eure Meinungen :)
Obst und Gemüse versuche ich möglichst regional und saisonal einzukaufen - und besonders gern auf dem Bauernmarkt am Samstagmorgen. Bei allen anderen Produkten wie Käse, Eier und Milchprodukte greife ich öfter ins Kühlregal und dann zu den bekannten Marken, weil es so schön einfach ist ... Aber ich werde beim nächsten Einkauf mal versuchen, den Reset-Knopf zu drücken. Ein Erfahrung ist es sicherlich wert.
Social Media Managerin beim Wissenschaftsfonds FWF
4 JahreDanke für den interessanten Impuls und die neue Betrachtungsweise!