Eine Koalition schafft sich ab
Liebe Leserin, lieber Leser,
Distanz beruhigt ja manchmal die Gemüter. Aber im Falle der Bundesregierung halfen auch mehr als 12.000 Kilometer nicht, als zwischen Neu-Delhi, New York und Berlin in den letzten Tagen der neueste Akt der Ampel-Selbstdemontage seinen Lauf nahm. Eine politische Fremdscham-Boulevardeske gegen welche die schwarz-gelbe Wildsau-Gurkentruppen-Episode wie eine Best Practice an Regierungskommunikation wirkt. Die Verkündung der enttäuschenden Steuerprognose hat da sicherlich nicht geholfen.
Wieder mal entzündet sich viel an der FDP. Finanzminister Lindner hat als Reaktion auf den morgigen (von Scholz intern auch nur Stunden vorab kommunizierten) Industriegipfel des Kanzlers einen eigenen “Gegengipfel” geplant. Zudem lässt er wissen, dass “Finanzpolitik nicht reparieren kann, was die Wirtschaftspolitik versäumt hat”. Lindner geht derzeit auch jenseits der Koalition keiner Auseinandersetzung aus dem Weg. Das durften Trump-Berater Richard Grenell auf X und die NGO Attac erfahren. Fraktionschef Dürr war hingegen "lässiger" unterwegs (siehe Fundstück der Woche).
Bevor man sich in einer Koalition verkrachen kann, braucht es erstmal eine. Während in Brandenburg entsprechende Verhandlungen zwischen SPD und BSW anstehen, ist die Situation in Sachsen und Thüringen wesentlich komplizierter: Die SPD hat die Gespräche in Sachsen unterbrochen, weil das BSW mit der AfD gestimmt hat. In Thüringen ruht der See, weil das BSW aufgrund seiner Namensgeberin auf Maximalpositionen in der Außenpolitik besteht, obwohl die geopolitische Relevanz der Erfurter Landespolitik tendenziell eher überschaubar ist.
Die Grünen spielen in allen drei Ländern keine Rolle, aber der Partei bleibt Baden-Württemberg als eine ihrer letzten Hochburgen. Dort sieht Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir nun seine persönliche Post-Ampel-Perspektive und will Ministerpräsident Winfried Kretschmann beerben.
Den Staffelstab vom Parteifreund übernehmen, will auch Kamala Harris in den USA. Doch ihr Momentum ist in der letzten Phase des US-Wahlkampfs verflogen: Sowohl sie als auch Donald Trump stehen in den Umfragen bei jeweils ca. 48 %. Trotz dieser Pattsituation herrscht in den Lagern unterschiedliche Stimmung: Während bei den Demokraten trotz Support von Eminem, Beyonce, Bruce Springsteen und einem rappenden Barack Obama die Besorgnis wächst, strahlt das Trump-Team Zuversicht aus. Nun stehen Swing States wie Michigan, Pennsylvania und Wisconsin für beide Lager im Fokus.
Aktuelle Berichte über eine chinesische Hacker-Attacke auf die Trump-Kampagne wecken Erinnerungen an die Vorfälle um John Podesta im Wahlkampf von 2016. Damit so eine Hack-and-Leak-Attacke nicht im Vorfeld der Bundestagswahl geschieht, griff die Bundestagsverwaltung nun zu einem sogenannten Penetrationstest bei den Fraktionen. Wenig überraschend: Nicht alle Abgeordnete haben ihn bestanden.
Mit den besten Grüßen zum Wochenstart
Philipp Sälhoff
Social Media
LinkedIn-Nutzung der MdB
426 Bundestagsabgeordnete nutzen LinkedIn für die politische Kommunikation, davon waren 263 in den letzten drei Monaten aktiv. Diese Zahlen hat der Wahlbeobachter Martin Fuchs in seiner Analyse erhoben. Dabei untersucht er etwa den Followerzuwachs der MdB: Insgesamt hat sich die Followerschaft seit 2022 verdreifacht, rund 1,8 Mio. Accounts folgen den Politiker:innen. Unter den Top Drei sind Robert Habeck (424.019 Follower), Christian Lindner (317.152) und Friedrich Merz (141.518). Neben dieser quantitativen Erhebung identifiziert die Analyse auch Best Practices: Eine gute LinkedIn-Performance basiert demnach auf kurzen Sätzen, prägnanter Sprache sowie einer breiten Auswahl an Formaten.
Demokratie & Gesellschaft
LKA-Studie zu Demokratievertrauen
45 % der Menschen in Niedersachsen sind mit der Demokratie in Deutschland unzufrieden, 55 % sehen die Demokratie als Quelle “fauler Kompromisse” statt richtiger Entscheidungen. Diese Daten stammen aus einer Studie des LKA Niedersachsen, die sich insbesondere auf Sicherheit und Kriminalität fokussiert und zudem das Vertrauen in die Demokratie untersucht. Wurde gezielt nach einzelnen Institutionen gefragt, vertrauten die Befragten vor allem der Polizei (87,3 %), der Wissenschaft (81,2 %) und der Justiz (69,8 %). Weniger als die Hälfte haben dagegen Vertrauen in das politische System (45,3 %), die Bundesregierung (40,7 %) und private Fernsehsender (32,1 %). Die niedersächsische Innenministerin Behrens sieht diese Ergebnisse als einen “Handlungsauftrag” für die demokratischen Kräfte.
Politische Kommunikation
Reaktionen auf ÖRR-Reform
Die Reform des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks sorgt bereits seit einigen Wochen für Diskussionen. Nun einigten sich die Länder auf eine Strukturreform, die den Wegfall diverser Spartenkanäle bei ARD und ZDF sowie von 17 Hörfunkprogrammen vorsieht. Weiter offen bleibt jedoch die Frage nach der künftigen Höhe des Rundfunkbeitrags. Die Reaktionen darauf fielen gemischt aus: Der Zeitungsverleger-Verband begrüßt die geplanten Einschränkungen der ÖRR-Textangebote, Verdi und der Deutsche-Journalisten-Verband fordern eine verfassungsrechtliche Überprüfung des Rundfunkbeitrags, während der Intendant des Deutschlandradios die Bedeutung von öffentlich-rechtlichen Beiträgen auf Drittplattformen bzw. in den Sozialen Medien hervorhob. Die Pläne, (Online-)Ausspielungsmöglichkeiten einzuschränken, sieht auch der Intendant des ZDF als “schwierige Botschaft”.
Demokratie & Gesellschaft
Konflikte und Identitätsbildung bei Jugendlichen
Wie wird die Identität von Jugendlichen geformt, die in einer durch Migration geprägten Gesellschaft in Berlin leben? Wo fühlen sie sich bereits zugehörig und was kann noch getan werden, um ein Zugehörigkeitsgefühl zu erreichen? Diesen Fragen geht eine neue Publikation von Dialog macht Schule nach, die sich mit Konflikten und Identität in der Demokratiebildung beschäftigt und dafür Jugendliche zwischen 15 und 22 Jahren in Berlin befragt hat. Es wurden insbesondere Diskriminierungssituationen und mögliche Lösungsansätze erfragt. Dabei zeigt sich, dass die Jugendlichen grundsätzlich verschiedene Konfliktebenen identifizieren, konstruktiv mit Konflikten umgehen und durch aktive Demokratiebildung selbstbewusst und aktiv handeln können. Abschließend formuliert die Publikation Handlungsempfehlungen für Politiker:innen und Expert:innen.
Demokratie & Gesellschaft
Auszeichnung “Gute Bürgerbeteiligung” 2024
“Ausgezeichnete Bürgerbeteiligung” dürfen sich nun vier kommunale Akteure auf die Fahne schreiben: Diese wurden im Oktober vom Kompetenzzentrum Bürgerbeteiligung und dem Berlin Institut für Partizipation für ihre Partizipationsprojekte ausgezeichnet. Die Gewinnerprojekte stammen in diesem Jahr aus Köln (Nachhaltiger Mobilitätsplan), Sulz am Neckar (Klimarat), Bonn (Foren “Bonn4Future” des Vereins “Bonn im Wandel”) und Brandis (Bürger- und Jugendrat). Besonders hebt die Jury hervor, dass drei der ausgezeichneten Projekte u.a. zum Thema Klima durchgeführt werden, was die akuten Herausforderungen durch den Klimawandel verdeutlicht. Die Auszeichnung “Gute Bürgerbeteiligung” wird seit 2023 jährlich verliehen und sucht qualitativ hochwertige Beteiligungsprozesse, die als Vorbild für Partizipation fungieren können.
US-Wahl
Ukraine & Russland
Parteien & Parlamente
Ministerien & Behörden
Demokratie & Gesellschaft
Lobbyismus, Politikberatung & Interessenvertretung
Empfohlen von LinkedIn
Personalien
Künstliche Intelligenz
Social Media
Der pollytix-Wahltrend zur Sonntagsfrage, Vorwochenvergleich in gefärbten Zahlen. Die Angaben berechnen sich aus dem gewichteten Mittel aller Sonntagsfragen der letzten 20 Tage. Den kompletten Wahltrend und alle Einzelumfragen finden Sie hier, mehr zur Methodologie hier.
Die Achse der Autokraten
von Anne Applebaum
Der BRICS-Gipfel vergangene Woche im russischen Kasan hat einmal mehr gezeigt, dass Russland trotz des Angriffskriegs gegen die Ukraine und zunehmender innerpolitischer Repression international nicht isoliert ist. Dies liegt auch an einer neuen internationalen Allianz der Autokraten, die sich in den vergangenen Jahren herausgebildet hat und die in Anne Applebaums Buch beschrieben wird. Die renommierte Journalistin und aktuelle Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels belegt darin mit vielen Beispielen, wie autokratische Staaten – u. a. China, Iran, Venezuela, Weißrussland, Syrien oder Myanmar – trotz ideologischer Differenzen auf verschiedenen Ebenen zusammenarbeiten, Ressourcen, Technologien und diplomatische Unterstützung tauschen, um sich gegenseitig Sicherheit und Straffreiheit zu verschaffen. Applebaum spricht aber auch die aggressiven Taktiken gegenüber den Demokratien sowie die Illusionen an, denen sich die westliche Politik viel zu lange hingegeben habe: die vergeblichen Versuche, Wandel durch Handel zu erreichen, oder die Naivität bzw. Ignoranz gegenüber Korruption, Desinformation und Kleptokratie in den Autokratien. Nun helfe nur noch, eine wirkungsvolle Gegenachse zu bilden.
Weitere Buchempfehlungen finden Sie auf www.politbooks.de.
Slay oder doch eher cringe? - @fdpbt
Junge Menschen erreicht man heute bekanntermaßen über TikTok. Das weiß auch FDP-Fraktionschef Christian Dürr und versuchte sich per entsprechendem Video an einer Ansprache der Gen Z. Ob dies gelungen ist, darf jede:r selbst entscheiden.
JOB DER WOCHE
Lufthansa Group: Manager:in Labour & Social Policy (m/w/d)Deine Chance, wichtige Themen der Arbeits- und Sozialpolitik im Luftverkehr voranzutreiben! Die Lufthansa Group sucht Dich als Manager:in Labour & Social Policy (m/w/d) am Standort Berlin, um strategische Handlungsempfehlungen für politisch-regulatorische Themen zu entwickeln. Du bringst politisches Geschick und gute Verhandlungskompetenz mit? Dann bewirb Dich jetzt bis zum 19. November 2024!
Weitere politjobs:
War der richtige Job noch nicht dabei? Mehr Jobs aus dem Politikbetrieb finden Sie auf politjobs.com und in unserem wöchentlichen politjobs Newsletter.
Sie suchen selbst Verstärkung?
Schreiben Sie uns unter info@politjobs.com für unverbindliche Preisinformationen.
Der Job soll Sie finden und nicht umgekehrt? Tragen Sie sich direkt kostenlos in unseren Talent Pool ein! Dann melden wir uns, wenn wir einen passenden Job für Sie haben.
EVENT DER WOCHE
5. November bis 7. November 2024 | 9:00 - 18:00 Uhr Tagesspiegel Haus, Askanischer Platz 3, 10963 Berlin
STAKEHOLDER DER WOCHE
Die Deutsch-Indische Handelskammer bietet als binationale Auslandshandelskammer Geschäftslösungen für Unternehmen an, die Geschäfte mit Deutschland bzw. Indien planen, und will so die deutsch-indischen Wirtschaftsbeziehungen pflegen und erweitern. Sie wurde 1956 gegründet und hat rund 4.000 deutsche und indische Mitglieder, womit sie als größte der deutschen Auslandshandelskammern gilt. Sitz der Kammer ist Mumbai, geleitet wird sie von Präsident Anupam Chaturvedi und Geschäftsführer Stefan Halusa.
Redaktion: Philipp Sälhoff (V. i. S. d. P.), Maike Dörnfeld, Ronja Pohl, Benjamin Triebe
polisphere GmbH | Chausseestr. 5 | 10115 Berlin | berlin@polisphere.eu