Anstand in den Zeiten von LinkedIn
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Anstand in den Zeiten von LinkedIn

Business-Netzwerke wie LinkedIn sind für Jobsuchende eine Möglichkeit, in eine neue Anstellung zu kommen. Entsprechend erhalte ich als Personalberater regelmäßig Kontaktanfragen.


Neulich erreichte mich die Bitte um Vernetzung bei linkedin beim ersten Nachrichten-Check des Tages ohne Begleitnachricht von einem mir Unbekannten. Ich warf einen Blick auf das Profil:

Der Anfragende auf Jobsuche hatte sein Studium vor 23 Jahren abgeschlossen und übersprang in seinem Profil die folgenden gut 22 Jahre, wodurch der berufliche Teil des Lebenslaufes erst im Januar 2020 begann. „X Research and Business Y Specialist“ (die tatsächliche Bezeichnung zur Anonymisierung hier unkenntlich gemacht) ohne weitere Angaben war mir zu dürftig an Informationen und ich bestätigte die Kontaktanfrage zunächst nicht, lehnte jedoch auch nicht ab.


15 Minuten (!) später klingelte mein Telefon. Bei dem, was im Folgenden geschah, hätte ich mir gewünscht, die Ansage, „aus Trainings- und Qualitätsgründen schneiden wir Gespräche mit“, wäre ertönt und ich hätte den nun folgenden Dialog aufzeichnen können.


Anrufer (A): „Sind sie Herr Christopher Kliemt?“

CK: „Das ist richtig.“ (kein „ja“ am Telefon, denn ich habe schon einen Mobilfunkvertrag).

A: „Warum haben sie meine Kontaktanfrage nicht bestätigt?!“

CK (verwundert, aber freundlich): „In Ihrem Lebenslauf fehlt nahezu die gesamte Berufstätigkeit. Und ich entscheide selbst, ob ich eine Anfrage annehme oder ablehne.“

A (leicht pampig): „Ein Profil bei Linkedin anlegen, oder später einen Lebenslauf schicken, das sind zwei unterschiedliche Dinge!“

CK: „Nicht so ganz, denn ich brauche schon ein paar Informationen zu ihrem Werdegang. Zudem haben sie auch keine Nachricht zur Kontaktanfrage geschickt, was ich für Sie tun kann.“

A (unverkennbar pampig): „Das kann man bei Linkedin nur als Premiummitglied!“

CK: „Auch in der Basismitgliedschaft kann man bei einer Kontaktanfrage ein paar Zeilen schreiben.“

A (massiv pampig): „Da sitzt so ein Fatzke wie Sie im feinen Düsseldorf …“


Das Wort „Fatzke“ ist ein schöner Begriff, den ich mit dem alten West-Berlin und Harald Juhnke in einem Boulevard-Theaterstück verorte und leider schon sehr lange nicht mehr gehört habe. Als Jobsucher einen arglosen Personalberater so zu titulieren, hat also auch Schönes. 


Was kann man dem Kandidaten mit dem Verhalten eines scheidenden US-Präsidenten raten? Von Fatzke zu X Research and Business Y Specialist:

Zeigen Sie, welche Erfahrungen und Qualifikationen sie anzubieten haben.

Informieren Sie sich, welchen Beratungs- und oder Branchenfokus der Berater (m/w/d) hat.

Bleiben Sie freundlich, kommunizieren Sie konkret, wohin sie beruflich wollen.

Nehmen sie gutgemeinten Rat an zumindest wohlwollend zu Kenntnis. 


So sind wir leider keine LinkedIn-Kontakte geworden. Für eine Position im Telefon-Inkasso wäre er meine erste Wahl gewesen.


Barbara-Maria Walden

Verkaufsleiter Key Account Management Out-of-Home bei Jack Link's

4 Jahre

Danke für den Beitrag. Da zeigt es sich wieder, jeder ist seines eigenen Glückes Schmied. ✌🏻Wir konnten jedenfalls schmunzeln

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