Einsam an der Spitze
Über den Wert von geschützten Räumen und echtem Austausch
Verantwortliche eines Familienunternehmens stehen oftmals einsam an der Spitze: Als oberste Instanz treffen wir die finalen Entscheidungen, die einen direkten Einfluss auf das Unternehmen und die Mitarbeitenden haben. Durch das Macht- und Hierarchiegefüge ist es schwierig, mit den Mitarbeitenden auf der gleichen Ebene zu interagieren.
Es ist ein wenig so, als ob eine dicke Milchglasscheibe uns vom Rest des Betriebs teilt. Wir bekommen zwar mit, was hinter der Scheibe passiert – aber wir sind eben nicht mittendrin. Auch wenn wir uns noch so gut mit unseren Kollegen und Kolleginnen verstehen: Wir sind niemals richtig Teil des Teams. Wir sind und bleiben Chefs.
Gefühl der Isolation
Und das ist erstmal gut so: Mir hilft diese Distanz, schwierige Entscheidungen zu treffen, auch, wenn das nicht immer angenehm ist. Wer schon mal ein Personalgespräch geführt oder eine Kündigung ausgesprochen hat, weiß, wovon ich rede. Am Anfang habe ich aber sehr unter meiner Einsamkeit an der Spitze gelitten. Ich bin eigentlich ein Teamplayer und brauche den Austausch.
Aus Gesprächen mit anderen Nachfolgerinnen und Unternehmern weiß ich: Vielen geht das genauso. Es gibt viele vertrauliche Themen, über die wir als Geschäftsführende nicht mit Angestellten sprechen können und wollen. Das kann zu einem Gefühl der Isolation und Einsamkeit führen. Und Einsamkeit hat nachweislich gesundheitliche Konsequenzen.
Der Freundeskreis versteht die Situation nur teilweise
Dabei hatte ich noch viel Glück: Auf dem Weg durch die Nachfolge wurde ich von loyalen Freunden, Coaches und besonders meinem Bruder begleitet. Wenn ich nach Hause kam, dann war da jemand. Das Gefühl der Einsamkeit beschränkte sich also überwiegend auf die Arbeitszeit. In meinem Freundeskreis kommt nicht jede Person aus einer Unternehmerfamilie. Und so sehr ich diese Menschen liebe: Manche meiner Herausforderungen als Geschäftsführerin eines Familienunternehmens sind für sie nur schwer nachvollziehbar – was völlig okay ist.
Die Unternehmerpeergroup
Ich baute mir mit der Zeit auch einen Freundeskreis von Unternehmer-Freunden auf, denn ich merkte: Es tut wirklich gut, einfach mal mit Gleichgesinnten zu quatschen. Mit Menschen, die dieselben Fragen und Probleme haben und vor ähnlichen Herausforderungen stehen. Während Covid trafen wir uns regelmäßig zum „digitalen Kaffee“ per Video-Call. Das hat sehr gutgetan.
Auf Dienstreisen gehe ich oft mit anderen Familienunternehmer*innen Abendessen, auf langen Autofahrten telefonieren wir ab und zu. Es ist ein bisschen so, als hätte ich mir eine kleine Unternehmerpeergroup aufgebaut. Und je größer sie wurde, desto kleiner wurde das Gefühl der Einsamkeit.
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Unternehmer-Treffen sind Gold wert!
Dieses Jahr besuchte ich das erste Mal Kongresse für Familienunternehmer*innen, darunter: die Familienunternehmertage der Weissmann Gruppe und der Familienunternehmer Kongress der WIFU-Stiftung. Solche Tagungen laufen vermutlich ähnlich ab: Es gibt ein Rahmenprogramm, abends gutes Essen, danach noch ein paar Drinks. Am nächsten Tag wieder Vorträge, Workshops und Seminare. So gut das Programm solcher Events auch ist: Der unersetzbare Wert liegt in den persönlichen Gesprächen unter Gleichgesinnten, die man am Rande bei einer Tasse Kaffee oder einem Gin Tonic führt.
Bei den Familienunternehmertagen von Weissmann saßen viele von uns bis spät in die Nacht im Innenhof des Schindler Hofs zusammen – und tauschten uns aus. Ich fühlte mich alles andere als einsam, denn ich erkannte: Auch die anderen Verantwortlichen von Familienunternehmen brauchen diesen Austausch und genießen den Moment. Obwohl allen klar ist, dass während des Kongresses das E-Mail-Fach vollläuft. Wir alle wissen: Am nächsten Tag haben viele eine lange Autofahrt vor sich und werden einiges nacharbeiten müssen. Realistisch betrachtet wäre es vernünftiger, spätestens gegen 23:00 Uhr ins Bett zu gehen. Aber vernünftig ist bekanntlich wie tot – nur früher. Also sitzen wir bis spät in die Nacht zusammen. Vielen Personen sehe ich die Entspannung förmlich an. Hier und da fällt der Satz: „Es tut gut, hier zu sein.“
Wir sind nicht allein
Solche Kongresse sind exklusiv, sie finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Hinein kommt nur, wer nachweislich aus einem Familienunternehmen stammt. Das sieht von außen vielleicht nach elitärer Abschottung aus. Doch es schafft für uns Familienunternehmer einen sicheren Raum. Einen Raum, in den wir offen über Probleme sprechen können, ohne damit das Image der Firma zu gefährden. Einen Raum, in dem wir nicht sofort ein Consulting-Angebot von einem Berater bekommen, wenn wir eine Frage stellen. Einen Raum, in dem wir auch einmal die Menschen hinter unseren unternehmerischen Rollen sein können.
Erst beim Schreiben dieses Beitrags fällt mir auf, dass meine Einsamkeit verschwunden ist. Ich bin Teil der Geschäftsführung Familienbetrieb – und wir sind nicht allein. Ich habe einen wundervollen Freundeskreis, mit dem ich meine Freizeit teilen darf. Ich habe tolle Unternehmer-Freunde, mit denen ich mich immer wieder austauschen kann. Und ich weiß: Es gibt immer wieder große Anlaufpunkt, Events und Kongresse im Jahr, aus denen ich wieder volle Energie schöpfen kann.
Wie wichtig ist dir der Austausch mit Familienunternehmer*innen?
Kennst du das Gefühl der Einsamkeit an der Spitze? Mit wem sprichst du, wenn es um vertrauliche Unternehmer-Themen geht, um Zweifel oder Herausforderungen? Ich freue mich wie immer auf eure Impulse, Anmerkungen und Geschichten!
𝗟𝗲𝗶𝗱𝗲𝗻𝘀𝗰𝗵𝗮𝗳𝘁 𝗳ü𝗿 𝗠𝗶𝘁𝘁𝗲𝗹𝘀𝘁𝗮𝗻𝗱 & 𝗙𝗮𝗺𝗶𝗹𝗶𝗲𝗻𝘂𝗻𝘁𝗲𝗿𝗻𝗲𝗵𝗺𝗲𝗻 ➥ 𝘮𝘪𝘵 𝘌𝘹𝘦𝘤𝘶𝘵𝘪𝘷𝘦 𝘚𝘦𝘢𝘳𝘤𝘩 𝘌𝘳𝘧𝘰𝘭𝘨𝘦𝘯 𝘢𝘶𝘴 𝘦𝘪𝘯𝘦𝘳 𝘏𝘢𝘯𝘥
1 JahrJa, die 𝐋𝐮𝐟𝐭 𝐰𝐢𝐫𝐝 𝐝ü𝐧𝐧𝐞𝐫 & 𝐞𝐧𝐭𝐬𝐜𝐡𝐞𝐢𝐝𝐞𝐧 𝐛𝐫𝐚𝐮𝐜𝐡𝐭 | 𝐛𝐫𝐢𝐧𝐠𝐭 𝐇ä𝐫𝐭𝐞 mit sich. Das Entscheiden als solches, das Aussprechen wie Umsetzen. Zugleich färbt es auch auf die eigene Persönlichkeit zurück. Ich verstehe Deinen Punkt, dass sich ganz viele Unternehmensführer qua ihres Naturells so gar nicht damit wohl fühlen - 𝐧𝐮𝐫 𝐞𝐢𝐧𝐞𝐫 𝐦𝐮𝐬𝐬 𝐞𝐬 𝐭𝐮𝐧 & 𝐬𝐢𝐜𝐡 𝐝𝐞𝐧 𝐇𝐮𝐭 𝐚𝐮𝐟𝐬𝐞𝐭𝐳𝐞𝐧, 𝐦𝐢𝐭 𝐚𝐥𝐥𝐞𝐧 𝐡𝐚𝐫𝐦𝐨𝐧𝐢𝐞𝐟𝐫𝐞𝐢𝐞𝐧 𝐊𝐨𝐧𝐬𝐞𝐪𝐮𝐞𝐧𝐳𝐞𝐧. Liebe Johanna, ich finde es bemerkenswert, welche Wege Du aufzeigst, um damit umzugehen. Erdung - neben der Unternehmerpeergroup alias "Leidgenossen" - bei allen Lieben & Inspirierenden um uns ist essentiell, 𝐮𝐦 𝐬𝐢𝐜𝐡 𝐬𝐞𝐥𝐛𝐬𝐭 𝐚𝐮𝐜𝐡 𝐦𝐚𝐥 𝐰𝐢𝐞𝐝𝐞𝐫 𝐚𝐮𝐬 𝐝𝐞𝐫 𝐇𝐢𝐞𝐫𝐚𝐫𝐜𝐡𝐢𝐞 𝐳𝐮 𝐧𝐞𝐡𝐦𝐞𝐧: Tochter, Partnerin, Freundin, Mutter, Nachbarin, Partymaus sein. Die eigene Persönlichkeit sollte nie verhärten unter der Aufgabe, immer wieder hart sein zu müssen! Dies stünde in keiner Relation. Ich glaube fest daran, dass eine solche Haltung, Nahbarkeit & Mensch-Sein-Dürfen auch auf die Belegschaft ausstrahlt. 𝐌𝐢𝐥𝐜𝐡𝐠𝐥𝐚𝐬-𝐒𝐜𝐡𝐢𝐞𝐛𝐞𝐭ü𝐫 1 - 𝐄𝐥𝐟𝐞𝐧𝐛𝐞𝐢𝐧𝐭𝐮𝐫𝐦 0 😉
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1 Jahrsehr starkes Thema!
Executive & PMI Keynote Speaker
1 JahrHallo Johanna, Je weiter man nach oben klettert, desto einsamer kann man sich fühlen. Stimmt. Mein Tip an alle Jungunternehmer/ Nachfolger: sucht euch einen Mentor außerhalb der Firma. Einen väterlichen Ratgeber im Hintergrund, der mit euch Erfahrungswissen und Lebenserfahrung teilt. Da wird die Einsamkeit dramatisch (!) weniger.👍