Er will doch nur spielen
Dirk Nowitzki auf allen Kanälen: Seine Abschiedstournee durch die NBA, sein letzter Wurf für die Dallas Mavericks, sein erster Sommer mit Eis und Fanta, seine Pläne für die Zeit danach. Alles wird minutiös beschrieben, gezeigt, analysiert, gedeutet. Bisschen viel Bohei um einen bescheidenen Würzburger, der sich eigentlich immer nur auf den nächsten Wurf konzentriert hat. Und bisschen viel auch für eine Sportnation, die sich doch eigentlich für nicht viel mehr als für Fußball interessiert.
Basketball gilt als cool, natürlich. Aber seien wir ehrlich – nicht wegen der deutschen Nationalmannschaft, auch nicht wegen der easyCredit Bundesliga, deren Rekordmeister den putzigen Namen „Bayer Giants Leverkusen“ trägt. Diese wirklich tolle Mannschaftssportart kann es in Deutschland mit König Fußball nicht aufnehmen. Weder als aktiv noch als passiv gelebtes Spiel. Fußball ist für die Massen, Basketball für die Kenner. Hätte Dirk Nowitzki seine 30.000 Punkte nicht in der NBA gemacht, sondern in der Bundesliga, sein Karriereende wäre eine Randnotiz in den Sportteilen und Sportsendungen hierzulande gewesen.
Erst als wir bemerkt haben, dass „The Dörk“, wie ihn die Amerikaner liebevoll nennen, als bester Europäer seiner Sportart gilt – erst seitdem hat er auch hierzulande Kultstatus und wird nicht nur von den wenigen echten Basketballenthusiasten verehrt. Dirk Nowitzki wurde also über den Umweg der amerikanischen Pop-Kultur in die Hall of Fame der deutschen Sporthelden aufgenommen, in der schon Max Schmehling, Franz Beckenbauer, Boris Becker und Steffi Graf auf ihn warteten.
Seit einigen Monaten nun ist er auf allen Kanälen. Interviews, Porträts, Zusammenschnitte seiner Spiele, zuletzt auch ein dickleibiges Buch mit dem leider wohl nicht ironisch gemeinten Titel „The Great Nowitzki“. Geschrieben hat es Thomas Pletzinger, einer von den oben genannten Basketballkennern, als Autor nicht zuletzt bekannt geworden durch seine viel gelobte Nahaufnahme des Profiteams von Alba Berlin in der Saison 2010/11 (“Gentlemen, wir leben am Abgrund ”).
Pletzingers Lieblingsbuch ist „The Great Gatsby“. Bekanntermaßen gibt es in F. Scott Fitzgeralds Meisterwerk einen Ich-Erzähler, der in das Leben des großen, mysteriösen Gatsby einzieht und allmählich mit ihm eins wird. Er urteilt nicht, er beschreibt nur, der Text lebt von der indifferenten Nähe des Erzählers zu seinem Objekt.
Die Anspielung von „The Great Nowitzki“ auf „The Great Gatsby“ verweist dabei auf die größte Stärke und zugleich die größte Schwäche des Buchs. Timing, Dramaturgie und Rhythmus von Pletzingers Text werden allenthalben als große schriftstellerische Kunst gelobt. Dieses Buch sei „kluge, gedankenanregende Literatur“, meinte etwa der Deutschlandfunk. Die Kehrseite dieser literarischen Ambition: Der Autor ist selbst zum Protagonisten geworden, zum Schatten Nowitzkis. Ohne Distanz, eins zu eins. Das liest sich auf den ersten zweihundert Seiten gut, wie in einer gut gemachten Reportage. „Um das System Nowitzki zu verstehen, musste ich ein Teil davon werden“, schreibt Pletzinger in der Schlussbemerkung und verweist auf die Förderung durch die ING, jene Bank, für die Nowitzki seit Jahren Werbung macht. Sie hat auch Begegnungen jenseits des Spielfelds zwischen Autor und Sportler ermöglicht, die zu den besonderen Einblicken dieses Buches zählen. Aber irgendwann sitzt man dann doch zu oft in der Kabine mit dem stolzen Autor. Lauter berühmte Sportstars um ihn herum, natürlich immer wieder Nowitzki. „Und ich sitze daneben“, schreibt Pletzinger dann und kann es selbst kaum fassen. Er urteilt nicht, er beschreibt nur, der Text lebt von der indifferenten Nähe des Erzählers zu seinem Objekt.
Dirk Nowitzki ist ein kompletter Spieler und idealer Athlet. Ein perfekter Spieler, groß, schnell, beweglich. Er verfügt über eine herausragende Physis, zugleich besitzt er Überblick. Er trifft meistens die richtige Entscheidung. Pletzinger füllt Seite um Seite mit dem Nachweis dieser Qualitäten. Nowitzki ist aber kein perfekter Mensch, was immer das wäre. Über seine Macken bekommt man jedoch kaum etwas zu lesen. Na gut, er hat gerne Autos, fährt auch solche mit elektrischem Antrieb. Aber das ist so ziemlich das einzige Detail, das nicht so oder so ähnlich im Stadionheft der Mavericks stehen könnte. Das Buch ist eine Nahaufnahme mit Weitwinkelobjektiv. Problematische Seiten oder kritische Momente im Leben des Great Nowitzki werden mit wenigen Sätzen abgehandelt. Da schreibt kein Sportreporter, sondern ein Fan, der es über die Absperrung geschafft hat.
Das ist auch okay. Die Faszination des Autors für Dirk Nowitzki wirkt ansteckend. Er will ja nur spielen. Das Staunen über dieses Wunder an Disziplin, Konsequenz und Beständigkeit. Das meiste, was man in dem Buch über Nowitzki erfährt, konnte man freilich schon wissen. Aber eben noch nicht so schön erzählt. Aus dem Inneren der Dallas Mavericks, für die Nowitzki zwanzig Jahre lang spielte, gibt es einige schöne Anekdoten. Da hat das Buch oft mitreißende Momente. Auch ein paar persönliche Eigenheiten von Dirk, dem normal gebliebenen Superstar, lesen sich gut. Hier wird die Biographie zum Roman, und Pletzinger schafft es mit kunstvollen sprachlichen Mitteln, die Geschichte des Great Nowitzki eindrucksvoll zu erzählen: Jeden Tag, jede Woche, jede Saison, zwanzig Jahre lang den Sinn in dem sehen, was man am besten kann. Und dabei Leute um sich haben, die das mitgehen. So einfach, so schwer. Das liest man wirklich gerne, auch weil hier ein sympathischer Sportler von einem Autor beschrieben wird, der ihm offenbar auch sympathisch ist. Ein Buch zum Wohlfühlen.
Die Frage, was Nowitzki jetzt, nach seiner Ausnahmekarriere als aktiver Spieler, machen wird, kann auch Pletzinger nicht beantworten. Aber vielleicht ist das auch gar nicht so wichtig. Nowitzki wird etwas finden, das er richtig gut kann und richtig gut macht. Die Frage ist vielleicht mehr, was machen wir, ohne den großen Nowitzki?
Global Head of HR Regions
4 Jahre...hoffentlich auch in den USA erhaeltlich?
strategic clarity || innovative change || organic growth
4 Jahre„Das Buch ist eine Nahaufnahme mit Weitwinkelobjektiv." Starkes Bild, trifft es gut.