Erst der Mensch, dann das Business, dann die IT: Ausschnitte vom epilot Tech Pioneers Round Table
Bei vielen kontroversen Diskussionen waren sich die Teilnehmer in einem Punkt einig: In den letzten 15 Jahren wurde Digitalisierung in der Energiebranche viel diskutiert, aber zu wenig ist passiert. „Wir sind als ganze Branche IT-seitig im Hintertreffen“, so Frank Krickel, Inhaber der Krickel Executive Consulting und ehemaliger CIO der EnBW.
So seien heute die meisten Energieversorger nicht in der Lage, Themen wie Energiedienstleistungsvertrieb oder Door-to-door Abrechnung digital abzubilden. Und eine Branche, die eigentlich sehr gut kooperieren könne, scheitere daran, digital Partnerschaften zu managen.
Liegt es an mangelnder Technologie der Software-Hersteller? Oder doch eher an zu wenig Innovationskraft der Energieversorger? Gegenseitige Schuldzuweisungen haben die Branche jedenfalls bisher nicht weitergebracht. Es gilt, den Blick nach vorne zu richten und aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Folgende Erkenntnisse haben sich bei unserem Round Table herauskristallisiert:
1. Mindset ist der Schlüssel zum Erfolg.
Als zentrale Ursache der verschlafenen Digitalisierung wurde die Trägheit von Energieversorgern diskutiert. Durch ein komfortables Dauerschuldverhältnis im Strom- und Gasgeschäft sei Innovation zum Überleben bisher nicht notwendig gewesen. In so einem Umfeld ließe sich Change Management nur schwer umsetzen. Die Gefahr drohe, dass junge, dynamische Unternehmen an Energieversorgern vorbeiziehen und sich die Chancen, die das Lösungsgeschäft im Rahmen der Energiewende bietet, zu eigen machen.
Ein Kulturwandel zu mehr Fehlertoleranz, Entscheidungsfreude und ‚Trial & Error‘ sei dringend notwendig, um die Innovationskraft der Branche zu stärken. „Lieber unperfekt starten, als perfekt abwarten“, bringt es Kai Vogel, Vorstand der INTENSE AG, auf den Punkt. Dafür brauche es mehr Radikalität, Business Pläne auch einzuhalten. Projekte, die zu festgelegten Meilensteinen Ziele nicht erfüllen, sollten nicht bis zum ‚Point of no return‘ irrational weiterlaufen, nur um Fehler in der Führungsebene nicht einzugestehen und Personalentscheidungen aufzuschieben. „Als Gründer ist mein Mindset ganz klar: Fail fast. Bevor ein Experiment startet, muss klar definiert werden, wann es gescheitert ist und dann auch konsequent die Reißleine gezogen werden“, so Frederik Pfisterer, Gründer und Managing Director von Solarize und Gründer des FinTech-Unicorns Mambu.
Beim Thema Mindset kommt auch das Mindset gegenüber Software ins Spiel: Denn dieses müsse sich laut Danilo Topalovic, SVP Sales Platform Engineering & Operations von E.ON Energie Deutschland, dringend ändern: „Der Fehler liegt meiner Meinung nach nicht bei den Software-Herstellern, sondern bei den Energieversorgern: Denn es besteht ein unglaubliches Bestreben nach Customizing. Wird eine Software eingeführt, wird sie zunächst in kostspieligen und langwierigen Projekten auf jegliche Anforderung des EVU angepasst.“ Dadurch würde die eigene Agilität verbaut, denn jede Änderung bringe weitere Kosten mit sich. Die Lösung für die IT-Herausforderungen sei eigentlich durch die lose Kopplung von standardisierten Systemen bereits gegeben, dies sei in der Energiebranche nur noch nicht verstanden worden.
2. Die Innovation muss aus dem Business, nicht aus der IT kommen.
In der Diskussion unter den Tech-Experten wurde deutlich weniger über Technologie gesprochen, als vielleicht erwartet: Das Gespräch kam immer wieder auf die Business-Seite zurück. Denn ohne Geschäftsidee würden technologische Innovationen ins Leere führen. „Was viele immer noch nicht verstehen: Es gibt keine IT-Projekte - es gibt nur Change-Projekte, die in IT-Produkten münden“, so Danilo Topalovic.
Es bedürfe des Blicks durch die Augen des Kunden, um eine klare Produktvision zu entwickeln, die von der IT befähigt werden kann. Ein Paradebeispiel dafür ist die Energie Burgenland, für die der Wandel vom EVU zum GreenTech-Unternehmen mehr als eine Plattitüde sei. Sie würden nicht mehr nur Strom verkaufen, sondern vor allem Produkte und digitale Dienstleistungen. Ein Häuslebauer könne für einen monatlichen Betrag über die Energie Burgenland alles bekommen, was er braucht: PV-Anlage, Speicher, Wärmepumpe und Ladesäule für das Elektroauto. Strom würde selbst erzeugt und in einer Gemeinde aus Erzeugern und Verbrauchern vermarktet. „Wenn man das Szenario weiterdenkt, sind autarke Energiegemeinschaften im Grunde der Tod jedes Energieversorgers. Wenn wir aber hier nicht mitgehen, gibt es uns irgendwann nicht mehr. Wir möchten Energiegemeinschaften also nicht verhindern, sondern sogar aktiv unterstützen und liefern die Produkte, um sie zu ermöglichen,“ so Stefan Zierlinger, Managing Director der Energie Burgenland Green Technology GmbH und ehemaliger CIO von VERBUND.
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Dabei würden IT- und Business-Seite eng zusammengebracht: „Die IT hatte vorher wenig Verständnis vom Markt, während der Vertrieb nicht wusste, wie Anforderungen für die IT verständlich formuliert werden. Abteilungsübergreifende Teams wurden gebildet. Die IT-Mitarbeiter sind dadurch Teil des großen Ganzen geworden und sind in ihrer Motivation kaum zu bremsen. Der Erfolg spricht für sich: Wir werden erschlagen von Anfragen, insbesondere Wärmepumpen gehen aktuell durch die Decke“, berichtet Stefan Zierlinger.
3. Software allein reicht nicht aus: Der Anwendungsfall soll end-to-end mitgeliefert werden.
Um die Innovationskraft von Energieversorgern zu befördern, besteht ein klarer Wunsch: „Software-Hersteller müssen Fantasie kreieren: Sie sollten dem Markt selbst in Szenarien aufzeigen, wie man die Lösungen einsetzt“, so Dr. Stefan Herz, Bereichsleiter Prozess- & IT-Management und Geschäftsfeldentwicklung der TWS Netz. Wenn beispielsweise komplexe Szenarien wie der gebündelte Vertrieb von Photovoltaikanlagen, Speichern und Reststromtarifen zusammenkämen, sei es nicht ausreichend, die Software zu liefern, sondern es bedürfe einer Rolle des Software-Herstellers als „Inkubator von Ideen“.
4. Stabilität ist essenziell.
Bei allen Diskussionen um Innovation darf laut unseren Diskussionsteilnehmern ein wichtiger Faktor nicht vergessen werden: Stabilität. „Innovation verkauft sich besser, aber Verlässlichkeit ist ein hohes Gut. Denn wenn Prozesse wie Abrechnung oder Forderungsmanagement nicht reibungslos laufen, entstehen hohe Kosten“, so Christian Thewißen, Head of Business Unit Utility Services bei der EnBW. Mit steigender Komplexität des Produktportfolios, das Energieversorger anbieten, sei Stabilität im Vertrieb und im Fulfillment wichtiger als je zuvor.
Glenn González, CTO von SAP Deutschland, stimmt zu: „In einem Umfeld, in dem kleine, digitale Mitbewerber auf den Markt drängen, ist die Rolle von Stabilität nicht zu unterschätzen: Denn wenn es in wichtigen Prozessen hakt und man als etablierter Energieversorger keinen erstklassigen Service liefern kann, überlässt man anderen das Feld“.
An der Diskussion teilgenommen haben:
Wir freuen uns auf den nächsten Austausch beim epilot Tech Pioneers Round Table!