Exzellenz ohne Wirkung: Warum Deutschlands Spitzenforschung im Transfer scheitert

Exzellenz ohne Wirkung: Warum Deutschlands Spitzenforschung im Transfer scheitert

Es klingt wie ein Triumph: Deutschland, das Land der Dichter und Denker, beheimatet zahlreiche Exzellenzcluster, die weltweit Maßstäbe in der Forschung setzen. Hier werden nicht nur intellektuelle Erfolge erzielt, sondern auch wissenschaftliche Meilensteine – von der Grundlagenforschung in der Robotik bis hin zu den Neurowissenschaften. Doch trotz dieser akademischen Spitzenleistungen bleibt eine entscheidende Frage offen: Wo sind die innovativen Startups, die aus dieser wissenschaftlichen Exzellenz hervorgehen müssten? Wo bleiben die Ausgründungen, die bahnbrechende Forschung in marktfähige Produkte verwandeln?

Diese Fragen wiegen schwer, denn die Kluft zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und deren wirtschaftlicher Umsetzung ist in Deutschland besonders groß. Während Universitäten wie München, Heidelberg oder Göttingen mit ihren Exzellenzclustern international glänzen, ist der Technologietransfer in die Wirtschaft eine ernüchternde Schwachstelle. „Wir bringen die PS nicht auf die Straße“, sagt der Hidden-Champion-Forscher Professor Hermann Simon .

Das Problem der Trennung zwischen Wissenschaft und Wirtschaft

Dieses Problem hat tiefe Wurzeln im deutschen Wissenschaftssystem. Es mangelt nicht nur an Risikobereitschaft auf Seiten der Forschenden, sondern auch an universitären Strukturen, die den Übergang vom Labor in den Markt erschweren. Besonders die strikte Trennung zwischen Wissenschaft und Wirtschaft hemmt den Innovationsfluss, wie Simon weiter ausführt. Während es in den USA längst selbstverständlich ist, dass Hochschulen wie das MIT oder Stanford als Keimzellen für Unternehmer und innovative Startups fungieren, wird diese Verbindung hierzulande oft vernachlässigt.

Dabei ist Deutschland keineswegs innovationsarm. Hinter vielen weltbekannten Produkten und Technologien stehen unsichtbare deutsche Zulieferer. Ob iPhone oder Tesla – deutsche Ingenieurskunst steckt in den unscheinbarsten Bauteilen. Doch diese „Hidden Champions“ des Mittelstands agieren meist im Hintergrund, während Startups aus den Universitäten – die sichtbaren Symbole für Innovationskraft – vergleichsweise selten auf den Plan treten.

Fehlendes unternehmerisches Know-how an Universitäten

Ein Hauptgrund dafür ist das fehlende unternehmerische Know-how an den Universitäten. Viele Naturwissenschaftler, Ingenieure und Life-Science-Experten besitzen zwar technologisches Wissen, aber ihnen fehlen die Fähigkeiten, ihre Forschungsergebnisse in marktfähige Produkte zu überführen. In anderen Ländern erhalten Studierende eine duale Ausbildung, die sowohl wissenschaftliche als auch unternehmerische Kompetenzen vermittelt. In Deutschland hingegen bleibt dieser Ansatz selten.

Transferprobleme und mögliche Lösungen

Professor Uwe Cantner von der Expertenkommission für Forschung und Innovation erklärt, dass die Transferprobleme seit langem bekannt sind. Dennoch sieht er auch Fortschritte, die politisch gefördert werden, etwa durch Programme wie den Forschungscampus, die "Innovative Hochschule" und das Entrepreneurship-Training (YES-Programm). Ob diese Maßnahmen jedoch ausreichen, sei noch unklar. Cantner stellt klar, dass es falsch sei, die Schuld einseitig bei den Hochschulen, der Academia oder den Forschenden zu suchen. Auch die Wirtschaft müsse stärker auf die Wissenschaft zugehen. Besonders kleine und mittelständische Unternehmen hätten häufig Schwierigkeiten im Umgang mit der Forschung.

Um den Technologietransfer zu verbessern, fordert Cantner eine Professionalisierung der Schnittstellen zwischen Academia und Wirtschaft. Hierzu seien öffentlich-private Partnerschaften (Public-Private-Partnerships) erforderlich, die als Orte des Austauschs und der Zusammenarbeit fungieren könnten. Professionelle Berater könnten die Umsetzung unterstützen und teilweise aus den Erträgen finanziert werden. Zudem sollte es eine stärkere Durchlässigkeit zwischen Forschung, Wirtschaft und Transferorten geben, sodass Forschende frei zwischen diesen Bereichen wechseln können.

Besonders anwendungsnahe Institutionen wie HAWs und FHs sollten weniger auf staatliche Förderung angewiesen sein, so Cantner. In diesen Bereichen müsse sich der Transfer schnell wirtschaftlich rechnen, und die Unternehmen sollten bereit sein, dafür zu zahlen.

Kein McKinsey-Denken, sondern technologische Stärken fördern

Thomas Jenewein ein von SAP warnt jedoch davor, Business Schools nach McKinsey-Manier als Lösung für die Innovationsprobleme zu sehen. Er kritisiert den rein betriebswirtschaftlichen Ansatz vieler Unternehmen, der seiner Meinung nach zum Niedergang von Firmen wie Nike und Boeing geführt habe. „Das Problem ist die reine Business-Denke“, sagt Jenewein. „Erbsenzählen und PowerPoint-Schlachten von Menschen in Anzügen retten uns nicht. Davon gibt es viel zu viel.“

Stattdessen plädiert Jenewein dafür, Deutschlands Stärken zu nutzen – insbesondere die exzellente Expertise von Ingenieuren, Informatikern und Chemikern, die hochwertige Deep-Tech-Produkte entwickeln. „Natürlich benötigen diese Experten auch betriebswirtschaftliches Know-how, vor allem im Bereich Marketing und Vertrieb“, räumt er ein. Aber es gehe nicht darum, Business-Schulen im Stil von McKinsey zu fördern, sondern um eine stärkere Zusammenarbeit zwischen betriebswirtschaftlichen und technischen Hochschulen.

Jenewein fordert, dass mehr Kapital und Förderfonds an technischen Hochschulen zur Verfügung gestellt werden, um dort Gründerzentren mit Pflichtfächern und Experimentierräumen für Unternehmertum zu etablieren. Institutionen wie die BWL in Mannheim und das KIT oder die TUM seien bereits Leuchttürme in der engen Zusammenarbeit von Wirtschaft und Technik – dieser Ansatz müsse jedoch auf breiter Ebene an allen Hochschulen, einschließlich ehemaliger Fachhochschulen, umgesetzt werden.

Darüber hinaus schlägt er vor, Unternehmertum bereits in der Schule zu fördern. Mentorennetzwerke, in denen erfahrene Unternehmer Schülerfirmen und Hochschulprojekte betreuen, könnten ebenfalls einen wertvollen Beitrag leisten. „Wir brauchen eine positive Change Story für Deutschland“, erklärt Jenewein. „Ein Narrativ von Wachstum, Wohlstand und Freude – basierend auf Nachhaltigkeit und Stärke – das unsere Defizite nicht in den Vordergrund stellt.“

Die Notwendigkeit von Business Schools und Unternehmerbildung

Die Einführung von Business Schools an den Universitäten, die eng mit den Exzellenzclustern verbunden sind, könnte eine Brücke zwischen akademischer Forschung und unternehmerischer Praxis schlagen. Solche Einrichtungen würden Wissenschaftlern nicht nur die nötigen Werkzeuge vermitteln, sondern ihnen auch den Mut geben, ihre Forschung auf den Markt zu bringen und Risiken einzugehen. Dass die erfolgreichsten Startup-Ökosysteme in Ländern beheimatet sind, in denen Wissenschaft und Wirtschaft eng verflochten sind, ist kein Zufall.

Deutschland benötigt dringend eine unternehmerische Bildung, um das enorme Potenzial seiner Universitäten zu nutzen. Denn exzellente Forschung allein genügt nicht – sie muss auch den Weg in die Wirtschaft und das tägliche Leben der Menschen finden. Andernfalls bleibt sie ein brillantes, aber ungenutztes Potenzial.

Dinosaurier im Wissenschaftssystem

Analyst Stefan Holtel kritisiert scharf: „Andere Länder scheffeln Geld aus Innovation, während Deutschland sich selbst ausbremst. Exzellenzcluster nach deutschem Muster sind Dinosaurier des Wirtschafts- und Wissenschaftssystems. Sie werden aussterben.“

Auch Prof. Dr. Klemens Skibicki cki fordert eine engere Verknüpfung von Forschung und Wirtschaft: „Solange in Deutschland Forschung als Selbstzweck betrachtet wird, bauen andere auf unseren Erkenntnissen ihren Wohlstand auf. Es wäre richtig, Anreize zu setzen, damit alle Beteiligten von einem gemeinsamen wirtschaftlichen Erfolg profitieren.“

Prof. Dr. Anabel Ternès von Hattburg sieht ebenfalls einen kritischen Punkt im fehlenden Transfer: „Exzellente Forschung ist nur die halbe Miete. Deutschland hat das Potenzial, globale Innovationen voranzutreiben, doch ohne eine stärkere Verbindung zwischen Wissenschaft und Wirtschaft bleiben viele Ideen im Labor gefangen.“

Prof. Dr. Rupert Felder , Honorarprofessor an der Hochschule RheinMain, hebt besonders die Rolle der Fachhochschulen hervor: „In Deutschland gibt es über 200 Fachhochschulen, die eng mit regionalen Arbeitgebern vernetzt sind. Lehrende aus der Praxis schlagen die Brücke zwischen Wissenschaft und Anwendung.“ Er ruft dazu auf, dass mehr Experten aus der Praxis an die Hochschulen gehen, um Studierende zu inspirieren und Lösungen für die Herausforderungen der Zukunft zu entwickeln.

Innovative Ökosysteme als Schlüssel

Professor Julian Kawohl von der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin sieht die Schaffung innovativer Ökosysteme und die Förderung eines unternehmerischen Denkens als Schlüssel: „Deutschland muss die Lücke zwischen Spitzenforschung und marktfähigen Innovationen schließen, um das volle Potenzial seiner Exzellenzcluster auszuschöpfen.“

Prof. Dr. Peter Holm , Vizepräsident für Lehre und Digitalisierung an der Hochschule RheinMain, ergänzt, dass die strikte Trennung zwischen Forschung und unternehmerischer Praxis den Innovationsfluss hemmt. Exzellenzcluster sollten nicht nur als Zentren der Spitzenforschung, sondern auch als Motoren für Startups und wirtschaftliche Entwicklungen betrachtet werden.

Deutschland braucht dringend universitäre Strukturen, die den Übergang von der Forschung in den Markt erleichtern. Ohne diese Veränderungen und eine stärkere Verzahnung mit der Wirtschaft wird das volle Potenzial der deutschen Exzellenzcluster ungenutzt bleiben. Was nützt die beste Forschung, wenn sie den Weg in die Praxis nicht findet? Diese Frage muss sich das deutsche Wissenschaftssystem bald stellen, um im internationalen Innovationswettbewerb nicht den Anschluss zu verlieren.

Otto Schell

CEO and Founder @ Institute for Global Digital Creativity and Relevance | Digital Business Architectures

1 Monat

Hier geht es auch um die Anpassungen seitens Staat/Gesetzgebung.: Ein einfacher Ansatz wäre die Förderung von Universitäten / Forschung Profitcenter mässig zu öffnen, so dass sie mit der Öffentlichkeit (Industrie aller Art) in den Austausch gehen können und sich damit auf für einen gewissen % selber verantwortlich zeigen. Darüberhinaus sollte sich ein von Wirtschaft und Universtitäten gebildetes "Team" finden, das redundante Forschungen länderübergreifend feststellt und zum Beispiel in der KI vermeidet, um dann die Gelder anders zu verteilen. (Bsp 2024 Halle 2 - HMI: Überall ähnliche Forschung gefördert von"UNS"). Also einen einfachen Portfolio Prozess einrichten, der dann auch eine mögliche #DIGIDUSTRY1.0 - Vision verfolgt. IGDCR® - Institute for Global Digital Creativity and Relevance

Frank H. Witt

Science, Consulting & Investment; AI Applications & Development Dusseldorf & Bonn, Germany, San Ġiljan, Malta

1 Monat

Innovationen, gleich ob eine Verbesserung des bereits existierender Technologien oder der Funktionsweise von sozialen Institutionen (inkrementeller Fortschritt) oder grundlegenden Veränderungen gemeint sind, sind ein Produkt kumulativer Kultur und damit genau nicht ökonomisch oder wirtschaftlich. Es geht um das Teilen von Wissen, dass die Menschheit als Gattung so unglaublich dominant geworden ist, liegt genau daran, dass Homininen oder Trockennasenaffen mit weniger aggressiven Sozialverhalten als gewöhnliche Primaten komplexe Kommunikation und altruistisches verhalten, um auch anderen, nicht-verwandten Individuen zu helfen, entwickelt haben. Wissen über die Herstellung und den Gebrauch von Werkzeugen wurde in Gruppen und zwischen Gruppen weitergegeben. Ziel des modernen ökonomischen Denkens ist aber Monopolisierung. James Watt der am 5. Januar 1769 das englische Patent Nr. 913 „A New Invented Method of Lessening the Consumption of Steam and Fuel in Fire Engines“ anmeldete hat ja nicht die Dampfmaschine erfunden, sondern lediglich das Lex Quarta von Newtons Principia angewendet um die Effizienz durch ein Ventilsystem, das ermöglichte durch Dampfdruck den Kolben in beide Richtungen zu drücken und damit die Effizienz ...

Das Thema selbst ist sehr alt und es bleibt wichtig. Den einen Hebel zur "Verbesserung" gibt es nicht. Offene Business Ökosysteme weisen in die richtige Richtung. Noch erwähnenswert wäre eine langfristig zu fördernde Kultur für transformatives Unternehmertums, das soziale, technologische und organisatorische Aspekte gleichmassen berücksichtig.

Prof. Dr. Peter Holm

Professor at Provadis School of International Management and Technology

1 Monat

Lernen wir von #Cambridge. Innovatives Ökosystem, das Hochschulen als Schlüssel für Wirtschaftswachstum integriert. Arm nur ein Beispiel vieler erfolgreicher Unternehmungen aus dieser Region. #CambridgeSciencePark

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