Für wie wenig Instant Gratification verkaufen wir uns eigentlich?

Für wie wenig Instant Gratification verkaufen wir uns eigentlich?

Das Thema Faceapp ist eigentlich schon ein altes. So wie die App selbst eigentlich. Dennoch möchte ich auf einen Aspekt eingehen, der vielleicht noch zu wenig behandelt wurde.

Datenschutz

Dass die Faceapp von einer russischen Firma mit Sitz in St. Petersburg entwickelt wurde lässt uns schnell überlegen, was denn eigentlich mit unseren Daten passiert:

  • Die Fotos werden in der Cloud (Amazon AWS) verarbeitet
  • Die Server stehen in den USA
  • Aber das Unternehmen ist russisch

Hier kann man natürlich schnell Motive unterstellen, von der generellen Privacy-Debatte bis hin zur staatlichen Datensammlung von russischen Geheimdiensten. Aber weder saugt die App alle Fotos vom Device, noch sind sonstige Privacy-Brüche erkennbar (Quelle: Forbes).

Instant Gratification

Viel schlimmer finde ich persönlich den Fakt, wie leicht wir jegliche Bedenken bzgl. Privatsphäre über Bord werfen:

Schau, ich in 20 Jahren. Hehehe.

Die Risiko-Gleichung geht für mich einfach nicht auf. Für 4 Likes und ein kurzes "heh" sende ich Fotos von mir auf irgendwelche Cloud-Server? Für wie wenig Instant-Gratification sind wir eigentlich zu haben!?

Tatsache ist doch, dass innerhalb weniger Tage der nächste Hype da ist, und wir keinen Mehrwert aus dieser App gezogen haben. Da ist auch egal, ob das Foto an Dritte weitergegeben wird oder nicht. Ob der russische Staat eine Bilddatenbank von Social Media Nutzern aufbaut (ein Projekt namnes "Nautilus", das tatsächlich vor kurzem geleakt wurde).

Digitaler Hedonismus?

Ich werde dieses Verhalten ab sofort "digitalen Hedonismus" nennen. Verhalten, das – natürlich auch durch aktive Beeinflussung durch die Plattformen selbst – sich durch die Jagd nach der nächsten kurzweiligen digitalen Ablenkung (oder aber auch Drama) auszeichnet.

Der ist natürlich kein neues Phänomen. Ich selbst habe 2009 mehrmals Täglich meine Glücksnuss auf Facebook geöffnet. Und damit meine (damaligen) Daten wahrscheinlich schon sehr weit im Internet gestreut.

Ich durfte in meiner Praxis einmal die Daten eines "Wie gestresst bist du"-Tests auswerten. Durchschnittliche Dauer für die Absolvierung dieses Tests: 8 Minuten. Kein fucking Wunder dass du gestresst bist, wenn du 8 Minuten mit einem Stresstest verbringst.

Digitale Disziplin

Wo ist die Gegenbewegung? Die digitale Disziplin?

  • Auf Twitter provoziert werden, nicht antworten, die App schließen und sein Leben leben
  • Zu sagen "Ist ja lustig und alles, aber ich muss nicht wirklich wissen, wie ein Algorithmus glaubt, dass ich in 20 Jahren aussehe"
  • Ich brauche keinen externen Test um mir zu sagen, wie gestresst ich bin

Wie sehen Sie das? Sind wir zu leicht käuflich? Oder ist die digitale Disziplin nur etwas für miesepetrige Digitalisierungsverweigerer?

Mich würde Ihre Meinung interessieren!



Julia Reuter

Digitale Markenführung | Positionierung | Content Marketing für Marken | Gründerin Herzblutdigital | Autorin | Dozentin

5 Jahre

Ich bin definitiv kein Digitalisierungsgegner - der Satz jedoch: ....„die App schließen und das Leben leben“... finde ich absolut erwähnens- und beachtenswert! Und es gibt definitiv für mich zu wenig Bereitschaft bei Nutzern, wie in dem Beispiel des Artikels, solche Angebote und die Ziele der Bereitsteller genauer zu hinterfragen. ...und hier mein Bild, wie ich in 20 Jahren aussehen werde: 👵

Ritchie Pettauer

🟦 Ich zeig deinem Team, wie LinkedIn™️ läuft 🔹 Praxisorientierte 3x3-Trainings für Marketing & Sales 🔹 Lektor an der Uni Wien (Social Media) 🔹 B2B-Ads & Sales Navigator Experte 🎤 Buche mich für deine Keynote ⬇️ 🐕

5 Jahre

Yo Martin, schöner Beitrag - das ist wirklich eine interessante Frage. Die Antwort ist wohl für "sehr wenig" - darauf basieren ja auch die ganzen wirklich bösartigen Business-Modelle mit Fake-Quizzes fürs Account Hacking etc. etc.  Im speziellen Fall der Faceapp verstehe ich persönlich die Aufregung nicht so ganz. Als heavy social media user sind irgendwelche Fotos von mir auf jedem größeren Cloudserver gespeichert - von myspace bis cloudflare :) Ob da noch einer in St. Petersburg dazukommt, ist mir persönlich egal. Allein mit der Veröffenthlichung von indexierbaren Bildern auf eigenen Seiten oder LI sind die ja sowieso öffentlich.  Ich hab die Faceapp nicht verwendet, ich schau jetzt schon aus wie in 20 Jahren :) Aber generell find ich die Frage sehr relevant... nur sehe ich persönlich in einem Foto-Upload jetzt nicht das große Risiko.

Martin Haunschmid

👾 Penetrationtesting 👾 Application Security 👾 Schulungen für Entwickler:innen 👾 Lektor FH St. Pölten 👾

5 Jahre

würde mich freuen, eure Meinung dazu zu hören, Ritchie 🌀 PETTAUER, Oliver Marquardt :)

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