Fit for digital – oder: Voraussetzungen für Flexibilität und Innovationen schaffen
Aktuelle Kundenanfragen zeigen: Um Innovationen schneller umsetzen zu können, müssen intern Veränderungsprozesse angestoßen werden. Das Problem dabei: Die bisherigen Arbeitsweisen sind oft perfekt auf das bestehende Geschäftsmodell abgestimmt. Der Ausweg: Keine Veränderungen nach Lehrbuch, sondern neue Strukturen nur da schaffen, wo diese sinnvoll ist sind, und alle Beteiligten in den Veränderungsprozess integrieren.
Wenn sich die Welt nicht ändern würde, gäbe es für viele Verlage keinen Anlass zu Veränderungen: Warum sollen aufwändige Prozessanalysen erstellt werden, wenn das bisherige Team doch so effizient, schlank und schnell zusammenarbeitet? Warum einen XML- und Content-First-Workflow einführen, wenn es der bestehende XML-Last-Workflow tut? Pointiert formuliert: Lassen wir doch die direkten und als kurz empfundenen Wege bestehen, statt Prozesstapeten anzufertigen, tätigen wir Anrufe, statt Statusmeldungen in einem Workflowtool zu pflegen und bearbeiten wir Word- und InDesign-Dokumente statt XML-Dateien nach abstrakten Strukturvorschriften zu erstellen. Die schöne alte Welt eben, voller Trampelpfade und Abkürzungen, die alle Beteiligten auch ohne Landkarte kennen und nutzen.
Doch oft zeigt die Praxis, worin die Probleme bestehen. Die traditionellen Vorgehensweisen zeichnen sich typischerweise durch drei Problembereiche aus:
- Es besteht keine oder nur eine sehr geringe Skalierbarkeit im Hinblick auf Qualität (Geschäftsmodellinnovation, neue Produktformen) und Quantität (mehr gleichartige Produkte). Folge: Nur mit mehr (manuellem) Aufwand sind Innovationen umsetzbar.
- Die Arbeitsweise ist personengebunden, weil wenig (oder gar nichts) dokumentiert vorliegt und das gesamte Wissen über Abläufe und Arbeitsweisen "nur" in den Köpfen der Mitarbeiter*innen liegt.
- Als Konsequenz fehlen Flexibilität und Geschwindigkeit für die Umsetzung innovativer Produkte oder Geschäftsmodelle.
Die Angst vor Analyse, Standardisierung, Tools und Veränderung
Um diese Situation grundlegend zu ändern, müssen Dinge tatsächlich verändert werden. Was wie eine Tautologie klingt hat in der Praxis große Auswirkungen, denn das Beharrungsvermögen ist oft sehr groß. Schon die Analyse der bestehenden Abläufe kann Ängste auslösen, weil hier das Wissen aus den Köpfen aufs Papier gebracht werden muss und damit Transparenz entsteht. "Wozu sollen wir diesen Aufwand treiben", wurde ich jüngst gefragt, "wir sind doch so effizient und brauchen nur ein paar Praxistipps, wie es besser gehen kann". Mag sein, dass diese Vorgehensweise in dem einen oder anderen Fall ausreicht, doch unsere Erfahrung zeigt: Die Anforderungen haben sich so verändert, dass nur durch grundlegende Neuerungen die Ziele erreicht werden können. Das bedeutet:
- Skalierbarkeit bedeutet, dass neue Produktformen mit vergleichsweise wenig zusätzlichen Ressourcen erstellt werden können. Beispiel: Wenn Inhalte zentral strukturiert gemanagt werden, können z. B. Newsletter zu bestimmten Themen oder zu bestimmten Kundenbedürfnissen ohne großen Mehraufwand erstellt werden. Anderes Beispiel: Wenn es einen digitalen Workflow für die Zeitschriftenproduktion gibt, können neue Titel mit gleicher Struktur schneller umgesetzt werden.
- Personengebunden sind in Verlagen natürlich sehr viele Tätigkeiten, denn "It's people business". Dennoch sollten Abläufe so weitgehend automatisiert und dokumentiert sein, dass hier sehr schnell eine Person einspringen kann.
- Flexibilität und Geschwindigkeit basieren auf den beiden ersten Punkten, aber es müssen noch weitergehende Voraussetzungen geschaffen werden, die vor allem die Organisation, aber auch das Mindset aller Beteiligten betreffen. Wie schnell kann eine Entscheidung getroffen und ein Projekt aufgesetzt werden? Wie flexibel ist der Content nutzbar, wie schnell ein Workflow neu konfigurierbar?
Die zentralen Stichworte zur Erreichung dieser Ziele lauten: Digitalisierung, Standardisierung, Automatisierung, Prozessorientierung, Contentstrukturierung. Alles Begriffe, über die wir schon viel in unserem Newsletter geschrieben haben und die seit Jahren auf der Agenda stehen. Aber ein zentraler Aspekt fehlt in dieser Auflistung - und das sind die Mitarbeiter*innen (und natürlich die Kunden*innen, für die das alles gemacht wird, die ich aber in dieser Betrachtung außen vor lassen möchte), denn wie gesagt: "It's people business".
Fazit: Mitnehmen statt einpassen, auch wenn es unbequem ist!
Einen flexiblen, agilen, digitalen und skalierenden Verlag wünschen sich viele, aber der Weg dorthin führt nicht nur über technische und organisatorische Veränderungen, sondern vor allem über die aktive Beteiligung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – auch das eine Binse, die aber oft nicht ausreichend beachtet wird. Mitnehmen statt in neue Strukturen einpassen lautet die Devise. Wie das geht? Auch dazu haben wir hier schon viel geschrieben. Die einfachste Regel lautet: Von Beginn an offen agieren und alle integrieren, fragen, involvieren. Natürlich kann es Widerstände geben z. B. gegen das Thema Standardisierung von Inhaltsstrukturen oder gar Produktformen aus Lektorat oder Redaktion. Aber auch hier gilt: Fragen Sie danach, woher diese Widerstände kommen. Sind es Ängste, die Produktqualität zu verlieren? Oder einen Teil der Aufgaben bis hin zum Arbeitsplatz? Und hier wird es vielleicht auch für die Führungskräfte unbequem, denn es müssen alle Karten auf den Tisch; Transparenz ist eine harte Währung, wenn sie für alle Seiten gelten soll.
Dieser Artikel ist zuerst im HSP-Newsletter erschienen.