Gasnetze für Wasserstoff nutzen

Gasnetze für Wasserstoff nutzen

Regulierung als Schlüssel für schnelle Dekarbonisierung

Sich Ziele zu setzen, ist das eine. Sie zu erreichen, etwas vollkommen anderes. Dies gilt auch in der Klimapolitik. Maßgeblich ist nicht, dass sich Deutschland die ambitionierte, aber notwendige Vorgabe der Klimaneutralität bis 2045 gesetzt hat. Entscheidend ist, ob das Land bis zu diesem Zeitpunkt, mit jedem Gesetz, jeder Verordnung, jeder Initiative alles tut, um dieses Ziel auch zu erreichen. Die deutschen Fernleitungsnetzbetreiber beschleichen bei dieser Frage von Zeit zu Zeit leise Zweifel.

Dies gilt auch und gerade für die Nutzung von Wasserstoff, der als Alternative zu Kohlenwasserstoffen schnell zu einer Dekarbonisierung der Energiewirtschaft und ihrer Kunden beitragen könnte, wenn – und das ist eine angesichts der Dringlichkeit entscheidende Voraussetzung – der legislative und regulatorische Rahmen eine pragmatische und ganzheitliche Lösung für Produktion, Transport und Verwendung über Verbrauchssektoren hinweg gestattet.

Wasserstoff: nicht nur grün, sondern auch blau

Derzeit sind wir in Deutschland von einer solchen Lösung noch weit entfernt. Produziert, transportiert und genutzt wird H2 in Deutschland überwiegend lokal, vor allem in der chemischen Industrie. Soll H2, wie von der Bunderegierung in der Nationalen Wasserstoffstrategie vorgegeben, eine echte Alternative zu den fossilen Energieträgern darstellen und im Rahmen der Energiewende zur Vereinbarkeit von Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Umweltverträglichkeit mit innovativem und intelligentem Klimaschutz beitragen, reichen die bisherigen Möglichkeiten nicht aus.

Dabei stellt die Verfügbarkeit von H2 die erste, aber nicht einzige Hürde dar. Um die Herausforderung zu verdeutlichen: Wir befinden uns derzeit inmitten eines doppelten „Fuel Switch“. Der Ausstieg aus Kernenergie und Kohle führt kurz- und mittelfristig zu einem verstärkten Einsatz des fossilen Energieträgers Erdgas. Um diesen wiederum zu ersetzen, soll Wasserstoff zum Einsatz kommen – sozusagen ein zweiter Switch, der zusätzlichen Transformationsbedarf in unserem Energiesystem auslöst.

Es wurde kein Alt-Text für dieses Bild angegeben.

Und der ist dringend notwendig. Denn bisher spielt die Musik bei den Molekülen. Rund 80 Prozent des Endenergieverbrauchs entfallen auf flüssige und gasförmige Energieträger, nur rund 20 Prozent auf Strom. Wenn Deutschland also schnell weitere CO2-Einsparungen erreichen möchte, müssen wir eine klimaneutrale Alternative finden. Nachhaltiger Wasserstoff kann eine solche Alternative sein. Jedoch werden wir das benötigte H2 nicht aus eigener Produktion decken können. Deutschland wird mit steigender Nachfrage auf H2-Importe angewiesen sein. Aus diesem Grund brauchen wir eine technologieoffene Herangehensweise bei der Produktion. Zusätzlich zu grünem wird unser Land für die Dekarbonisierung auch blauen Wasserstoff benötigen.

Bestehende Gasnetze für Wasserstoff nutzen

Neben den Herausforderungen auf Produktionsseite gilt es zudem, die Transportfrage anzugehen. Hier bietet sich eine Lösung an. Es fragt sich nur, ob sie auch genutzt werden soll. Deutschland und weite Teile Europas verfügen über ein leistungsstarkes Gasnetz und damit einzigartige Voraussetzungen für den Wasserstofftransport. Damit steht uns ein gigantischer Energiespeicher zur Verfügung, den wir als Basis der oben genannten Transformation nutzen sollten.

Schon heute ist es ohne weiteres möglich, dem Erdgas Wasserstoff beizumischen und dessen Anteil schrittweise zu erhöhen. Darüber hinaus können Netzteile für einen reinen Wasserstofftransport umgerüstet werden. Dies macht auch Sinn, denn die Erdgaskunden von heute sind die Wasserstoffkunden von morgen. Wichtig dabei ist: Erdgas- und Wasserstoffnetz bilden eine Einheit, es sind kommunizierende Röhren. Die technischen Möglichkeiten sollten dementsprechend die regulatorische Perspektive bestimmen. Es ist eine realistische Annahme, dass 80-90 % des entstehenden H2-Netzes aus bereits existierenden, umgerüsteten Erdgasfernleitungen bestehen können.

Die deutschen Fernleitungsnetzbetreiber haben im vergangenen Jahr untersucht, wie bis 2030 ein rund 1.200 Kilometer langes Wasserstoffnetz auf Basis der bestehenden Transportinfrastruktur entwickelt werden könnte, das sogenannte H2-Startnetz. Wesentliches Ziel des Vorschlags im Rahmen der Netzentwicklungsplanung 2020-2030 war es, die Bedarfsschwerpunkte in NRW und Niedersachsen mit Grüngas-Projekten zur Wasserstoff-Erzeugung in Norddeutschland zu verbinden – und dies zu vertretbaren Kosten. Dass die Bundesnetzagentur das Projekt aufgrund des bestehenden Regulierungsrahmens abgelehnt hat, verwundert nicht. Sie muss innerhalb des bestehenden Rechtsrahmens entscheiden. Das ändert aber nichts an der Sinnhaftigkeit des Projekts. Vielmehr zeigt die Nichtgenehmigung der Behörde, dass es dringend einer (politischen) Entscheidung darüber bedarf, ob die Chancen des Gasnetzes für die Nutzung von Wasserstoff als Werkzeug nachhaltiger Klimapolitik genutzt werden sollen, oder nicht. Für den Netzentwicklungsplan Gas 2022-2032 haben die Fernleitungsnetzbetreiber kürzlich zum zweiten Mal eine Marktabfrage zum Thema Wasserstoff durchgeführt. Die Marktpartner haben über 500 Wasserstoffprojekte und damit ein Vielfaches der Projekte von vor zwei Jahren gemeldet.

Die nächste Bundesregierung sollte durch eine kluge Rahmensetzung einen drohenden Flickenteppich aus kleinen Einzelprojekten und -lösungen vermeiden. Sinnvoller und effizienter als die getrennte Betrachtung wäre es, den Transport von Wasserstoff im bewährten Rahmen für Gasnetze zu regulieren. Dies würde die notwendige Rechts- und Investitionssicherheit für alle Akteure schaffen und den angestrebten Markthochlauf für Wasserstoff deutlich beschleunigen.

Anreize schaffen, Energiewende vorantreiben

Deutschland droht, die Ziele der Nationalen Wasserstoffstrategie, seine Ambitionen beim Klimaschutz zu verfehlen und im Wettbewerb ins Hintertreffen zu geraten. Dies gilt insbesondere auch mit Blick auf unsere Nachbarländer, zum Beispiel die Niederlande, die den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft auf Basis vorhandener Infrastruktur mit Nachdruck angehen.

Es wurde kein Alt-Text für dieses Bild angegeben.

Im September ist Bundestagswahl. Das Thema Klimaschutz steht – nicht erst seit der jüngsten Flutkatastrophe in Teilen von NRW, Rheinland-Pfalz und Bayern – bei allen relevanten Parteien weit oben im Programm. Die deutschen Ferngasnetzbetreiber unterstützen diese Priorisierung. Dabei gilt es, die ambitionierten Klimaziele Deutschlands und die Wettbewerbsfähigkeit seiner Industrie unter einen Hut zu bekommen. Anders formuliert: Wir müssen unser Land, wir müssen Europa dekarbonisieren, nicht deindustrialisieren.

Infrastruktur, Kompetenz und Potenzial sind vorhanden. Darauf können und sollten wir aufbauen und Deutschland mit vereinten Kräften zum Technologieführer im Bereich Wasserstoff machen. Die Fernleitungsnetzbetreiber stehen bereit – für den notwendigen Dialog als auch die künftige Transportaufgabe.

Lesenswerter Artikel, danke dass du deine Gedanken zu dem Thema mit uns teils, hoffentlich lesen das auch die richtigen Personen

Zum Anzeigen oder Hinzufügen von Kommentaren einloggen

Weitere Artikel von Dr. Thomas Gößmann

Ebenfalls angesehen

Themen ansehen