Gemeinsame Aufmerksamkeit - Plädoyer für eine andere Leistungskultur

Gemeinsame Aufmerksamkeit - Plädoyer für eine andere Leistungskultur

Der Organisationsexperte Karl Weick betont schon seit längerem die Notwendigkeit von „mindful organisations“; die Berater Guido Becke und Sylke Mayrhuber empfehlen Unternehmen  „organisationale Achtsamkeit“ und für den Trendforscher Matthias Horx ist die „rare Ressource“ Aufmerksamkeit sogar  die „Schlüsselkompetenz der Zukunft“. Doch warum mangelt es überhaupt an einer Kompetenz,  die - so der Verhaltensforscher Michael Tomasello – eigentlich den Unterschied zwischen Mensch und Affe ausmacht?  

Vermutlich schalten wir – einzelne genauso wie Organisationen - immer häufiger auf das instinktive Notprogramm der Wachsamkeit um, weil es in seiner Reaktionsschnelligkeit wesentlich besser zu den hektischen Anforderungen der Gegenwart passt als die zeitraubenden Anforderungen gemeinsamer Aufmerksamkeit. Weil das aber der zunehmenden Komplexität unseres Lebens nicht gerecht wird, wächst gleichzeitig ein Bewusstsein für die Folgen von Hyperaktivität und Aufmerksamkeitsdefizit. Kein Wunder also dass Achtsamkeit, mindfulness oder Aufmerksamkeit immer dringlicher eingefordert werden. Sie zu entwickeln ist allerdings alles andere als einfach. Gilt es doch, unsere instinktiven Verhaltensmuster des limbischen Systems zu deaktivieren. Die sind auf Selbstbehauptung und Überleben angesichts konkreter Bedrohungen ausgerichtet, werden aber selbst zur Bedrohung, wenn sie den Stress nur verstärken, den sie eigentlich abbauen sollen. Das hört sich kompliziert an und das ist es auch. 

Denn für Führungskräfte, die Leadership und nicht nur Management praktizieren wollen, heißt das, eine auf Selbstbehauptung basierende Konkurrenzkultur um Posten, Ressourcen, Anerkennung und Einfluss zu einer Kooperationskultur auf der Basis gemeinsamer Ziele, geteilter Werte und gegenseitigen Vertrauens umzubauen. Es geht um Leistungskultur, gar keine Frage. Aber um zwei verschiedene Arten.

Um die High Perfomance Kultur eines Unternehmens zu entwickeln, scheint nichts selbstverständlicher als Leistung zu belohnen: Der Bessere gewinnt - den Job, die Prämie, die Anerkennung, die Ressourcen. Wenn derart geführt wird, bleibt - so heißt es - der Erfolg nicht aus, weder für High Performer noch für Unternehmen. Damit wird aber lediglich eine von zwei Leistungsquellen genutzt, nämlich der im limbischen System verankerte Selbsterhaltungstrieb: Entweder ich oder der andere heißt es, wenn man im Wettbewerb bestehen will oder muss. Die zweite Quelle für Leistung speist sich dagegen aus einem Verlangen nach Sinn, daraus, in Kooperation mit anderen Gemeinsamkeit gestalten zu wollen. Doch beruht nicht auch dieses Verlangen auf dem Selbsterhaltungstrieb? 

In einer lediglich auf Wettbewerb beruhenden Leistungskultur geht es tatsächlich auch in Teams nur darum, besser sein zu wollen als andere: entweder wir oder die. Das rat race eines wechselseitig sich verstärkenden „Schneller, Höher, Weiter“ ist die Folge, mit der Konsequenz, dass sich sowohl einzelne als auch Unternehmen in einem permanenten Stressmodus befinden: am Markt wird ums Überleben gekämpft und im Innenverhältnis um Jobs, Prämien, Anerkennung und Ressourcen konkurriert. In einem derartigen Umfeld ist es weder realistisch noch vorstellbar, dass Leistung sich auch aus einem anderen Verlangen als dem gewinnen zu wollen speist. Doch Motivation, Einsatzbereitschaft und Können steigen nachweislich, wenn Sinn ins Spiel kommt. Denn Geld – das erfolgreichste Selbsterhaltungsmittel überhaupt – ist ein schlechter Motivator, so Dan Pink in einem TED-Beitrag: in High Performance Teams geht es um „Autonomy, Mastery, Purpose“. Und Autonomie sollte tunlichst nicht auf den Wusch nach individueller Selbsterhaltung reduziert werden. Sie beruht vielmehr auf dem Interesse, eigene Vorstellungen von dem, was man für richtig und sinnvoll hält, mit anderen auszutauschen, um gemeinsam zu denken, zu handeln und qualitativ Hochwertiges zu schaffen - nicht um zu gewinnen, sondern um Sinn zu gestalten. Der Gewinn von Aufträgen und Kunden, kurz der Profit eines Unternehmens ist dann nicht mehr Ziel sondern schlicht Resultat einer Leistungskultur, die aufs Gelingen stärker setzt als auf Erfolg. Sie beruht nicht nur auf der animalischen Wachsamkeit für Bedrohungen und Konkurrenzen, sondern vor allem auf einer gemeinsamen Aufmerksamkeit für die Gestaltung von Beziehungen. Und nebenbei: je mehr das „Schneller, Höher, Weiter“ selbst zur Bedrohung wird, umso attraktiver und offensichtlicher werden auch die Vorteile einer Gelingenskultur. Bleibt nur die zweifellos große Herausforderung, das permanente Feuern unseres limbischen Systems zu beruhigen, um von einem Burnout fördernden Stressmodus in einen kreativen Flow-Modus zu wechseln.

Die Originalbeiträge für den Blog des Hernstein Institut können sie hier lesen.

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