Global Banking Consumer Study 2023 - Die nächste Evolutionsstufe: Banking muss menschlicher werden

Global Banking Consumer Study 2023 - Die nächste Evolutionsstufe: Banking muss menschlicher werden

In der vergangenen Dekade waren die Banken weltweit damit beschäftigt, ihre Geschäftsmodelle in die digitale Sphäre zu erweitern. Und das durchaus erfolgreich: Wie eine aktuelle Accenture-Befragung unter 49.000 Bankkunden zeigt, würden viele ihre Hausbank weiterempfehlen. Je präziser allerdings die Fragen nach der Zufriedenheit mit einzelnen Aspekten gestellt werden, umso schlechter fällt das Urteil der Befragten aus: Unterm Strich sind viele Kunden zwar leidlich zufrieden, begeistert allerdings nur selten. Mit welchen konkreten Strategien können Banken also zukünftig wirklich eine entscheidende Rolle im Leben ihrer Kunden spielen? Dieser Frage sind meine internationalen Kollegen in der aktuellen Global Banking Consumer Study nachgegangen. Die spannendsten Erkenntnisse:

 

Lebenszentrierung statt Kundenzentrierung

67 Prozent der Bankkunden weltweit wünschen sich eine physische Bankfiliale in ihrer direkten Umgebung – ein Befund, der übrigens in allen Altersgruppen zu beobachten ist. Nach wie vor gilt die klassische Filiale offenbar als Sinnbild für die Stabilität und Präsenz einer Bank. Das versinnbildlicht zugleich, was vielen Kunden im digitalen Kontakt mit ihrem Finanzinstitut fehlt: persönliche Interaktion, eine emotionale Bindung und das berechtigte Gefühl, als individuelle Person mit einzigartigen Zielen, Bedürfnissen und Motiven wahrgenommen zu werden.

 

Daran wird auch deutlich, was Banken in den vergangenen Jahren zugleich richtig und falsch gemacht haben: Es war absolut sinnvoll und notwendig, das Banking in die digitale Sphäre zu verlagern und zu erweitern. Dabei standen allerdings eine übersimplifizierte digitale Kundenreise einerseits und die Produkte der Bank andererseits zu sehr im Fokus. Mit etwas Abstand zeigt sich: Ein echtes Differenzierungsmerkmal bestünde heute in einer sehr individuellen und emotionalen Interaktion, auch und gerade in der digitalen Sphäre. Die effiziente digitale Bereitstellung von Finanzprodukten – und darin sind die meisten Banken inzwischen stark – hat sich dagegen längst zum Hygienefaktor entwickelt. Banken tun also gut daran, ihren Fokus in den kommenden Jahren von der Kundenzentrierung auf eine „Lebenszentrierung“ zu verschieben. Was bedeutet das genau?

 

Drei wichtige Paradigmenwechsel

Erstens: Wer mit einer Bank interagiert, will kein Finanzprodukt kaufen, sondern ein (Lebens-)Ziel erreichen oder eine Herausforderung meistern – ein Haus kaufen, um die Welt reisen, sich finanziell sicher fühlen. Banken sollten sich deshalb von eher oberflächlichen Kriterien wie der demografischen Zugehörigkeit lösen und ihre Kunden als Individuen kennenlernen. Im Fokus steht dann nicht mehr die Frage, an welchen Stellen einer Kundenreise sich geschickt Produkte verkaufen lassen, sondern wie die Bank die individuellen Ziele und Probleme einer Person in jedem einzelnen Moment ihres Lebens adressieren kann.

 

Zweitens: Daher muss auch die digitale Interaktion mit einer Bank das Gefühl einer echten Konversation vermitteln. Wer sich zum Beispiel als Bankkunde bei einem Chatbot häufig über die aktuelle Zinsentwicklung informiert, will höchstwahrscheinlich seine Erträge maximieren. Die Konsequenz aus Sicht der Bank sollte dann darin bestehen, ihm nicht einfach nur die gewünschte Information zu liefern, sondern ihn auch umfassend dazu zu beraten. So entsteht der Dialog, der die zunehmend wechselbereiten Kunden längerfristiger an ihre Hausbank bindet.

 

Drittens: Angesichts neuer branchenfremder Spieler nutzen Konsumenten Bankprodukte von immer mehr unterschiedlichen Dienstleistern – PayPal für den digitalen Einkauf, Klarna für BNPL-Services, die Bank für ihre Immobilienfinanzierung. Doch viele Kunden wünschen sich ein Ende dieser Fragmentierung und einen schnellen, einfachen Überblick über ihre Bankprodukte. In der Zielgruppe 18 bis 24 sind es 46 Prozent. Banken haben in diesem Kontext also eine einzigartige Chance, wenn sie die Produkte in ihrem Portfolio nicht isoliert voneinander betrachten, sondern in einen Gesamtkontext rücken und entsprechend präsentieren. Anders ausgedrückt: Weg vom Produktdenken, hin zu echten Beziehungen mit den Kunden.

 

Diese drei Beobachtungen werden für die einzelne Bank je nach Fokus andere Schlüsse nach sich ziehen. Doch es kristallisieren sich vier mögliche Strategien für eine stärkere Lebenszentrierung heraus:

 

1.   Mit Menschlichkeit das traditionelle Bankgeschäft weiterentwickeln

Das traditionelle Bankgeschäft ist nicht tot, ganz im Gegenteil: Ein starker Kundenstamm, bewährte Produkte und erprobte Kanäle bilden für Banken die Basis, ihr klassisches Geschäft weiterzuentwickeln. Doch dabei müssen sie die digitale Interaktion mit ihren Kunden deutlich lebendiger und menschlicher gestalten und die Vorteile der physischen Filiale auf das digitale Banking übertragen. Chatbots auf Basis künstlicher Intelligenz können hier ein wesentlicher Baustein sein. Aber auch die klassische Filiale lässt sich neu denken: Es muss nicht beim althergebrachten Schaltergeschäft bleiben. Self-Service-Center und Kioskmodelle sind bestens geeignet, passgenauer auf die Bedürfnisse der Kunden einzugehen.

 

2.   Kooperationen für eingebettetes Banking knüpfen

Schon heute erzielen Finanzinstitute rund 30 Prozent ihres Umsatzes über Dritte, also über Nichtbanken. Ein interessantes Beispiel ist die Kooperation zwischen Amazon UK und Barclays im Bereich BNPL. Bei kluger Ausgestaltung erhöhen derartige Kooperationen das Umsatzpotenzial nicht nur für die Bank, sondern für alle Beteiligten. Und viele Kunden sind bereit, eingebettete Finanzprodukte wie Kreditkarten, Zahlungslösungen oder Kredite zu kaufen; sie erwarten dann aber sogar die Einbindung eines namhaften Finanzinstituts – eine große Chance für die Banken, wenn sie mit ihrem Wissen um die Wünsche und Ziele ihrer Kunden über die reine Abwicklung hinaus punkten.

 

3.   Nicht-Finanzprodukte anbieten

Auch der umgekehrte Weg ist eine spannende Möglichkeit, wirklich an die Bedürfnisse der Endkonsumenten heranzurücken: Manche Banken bieten über klassische Finanzdienstleistungen hinaus Produkte wie Immobilienkäufe, Autos oder Reisen an – oft allerdings nicht über die eigenen Kanäle, sondern über Drittparteien. Die singapurische Bank DBS etwa setzt auf den Kauf oder Verkauf von Autos, Immobilien oder Reisen über einen dedizierten Marktplatz. Solche Vorstöße ermöglichen ein weiteres Heranrücken an das Leben der Bankkunden und sind somit ein Schlüssel zur Lebenszentrierung. Unter den von uns Befragten würden 36 Prozent Immobilien von ihrer Bank kaufen, 32 Prozent Autos und immerhin 20 Prozent Reisen.

 

4.   Virtuelle Filialen – und das Metaverse

Überweisung per VR-Brille? Das klingt aktuell noch nach Zukunftsvision: Es werden ein paar Jahre vergehen, bis das Metaverse die Hoffnungen einlöst, die viele damit verbinden. Doch vor allem junge Zielgruppen wünschen sich längst, mit ihrer Bank in einer virtuellen Filiale zu interagieren, wie sie etwa J.P. Morgan schon früh ausprobiert hat. Mit der Onyx Lounge weist J.P. Morgan bereits den Weg in ein Metaverse, das für menschlicheres, lebenszentriertes Banking neue Möglichkeiten eröffnet. Unternehmen wie die Deutsche Bank, die hier bereits kräftig investiert, tun also gut daran, diese Herausforderung für sich als Weg zu begreifen, mehr über die Bedürfnisse ihrer Kunden zu erfahren und auch in fünf oder zehn Jahren noch eine tragende Rolle in deren Leben zu spielen.

 

Den Multiplikationseffekt nutzen

Für welche strategische Stoßrichtung sich eine Bank auch entscheidet: Im Banking der Zukunft wird es im Kern darum gehen, Silo- und Produktdenken hinter sich zu lassen und sich zum kompetenten Partner der Konsumenten im Alltag zu transformieren. Dazu bedarf es mehr als der effizienten Abwicklung digitaler Dienstleistungen. Finanzinstitute müssen kreative Wege finden, um das Leben ihrer Kunden in aller notwendigen Tiefe zu verstehen. Das erfordert organisationsintern nicht mehr und nicht weniger als eine Transformation der Banken – und die Kompetenz, die technologischen Chancen aus künstlicher Intelligenz oder dem Metaverse zu nutzen. Die Betrachtungen meiner internationalen Kollegen finden Sie – mit vielen Zahlen unterlegt – in unserer aktuellen Studie. Ich wünsche Ihnen eine inspirierende Lektüre.

Zum Anzeigen oder Hinzufügen von Kommentaren einloggen

Weitere Artikel von Dr. Markus Hamprecht

Ebenfalls angesehen

Themen ansehen