Was gründen? Lieber erst mit Leuten sprechen, die es schon hinter sich haben!
Als ich nach Studium, Reporterjob bei Radio Schleswig-Holstein, Tätigkeit bei Burson-Marsteller und Pressesprecherjob bei der Citibank meine eigene Agentur gegründet habe, wusste ich noch nichts über die Führung einer Firma. Gar nichts! Ich wusste nichts über Personalwesen, Jahresabschlüsse, A-conto-Zahlungen, Vorsteuerabzugsberechtigung, Mahnwesen, Gesellschafterverträge, Kündigungsschutzklage oder Gewinn- und Verlustrechnung. Ich brannte einfach für Kommunikation und dafür, mein eigenes Ding zu machen. Ich habe nicht einmal einen so genannten „Business Plan“ erstellt. Ich habe schlichtweg irgendwie gefühlt und geglaubt: Das würde schon klappen! Es würde schon funktionieren, weil Kommunikation meine große Leidenschaft ist. Der Rest müsste sich dann schon ergeben. Kommunikation, die Menschen bewegt, treibt mich immer noch an. Vielleicht mehr denn je. Und selbst im Fall eines etwaigen Scheiterns damals: Was sollte schon passieren? Ich war erst 30, unverheiratet, hatte keine Kinder und keinerlei Immobilienfinanzierung oder sowas an der Backe.
Blauäugigkeit kann helfen – aber nicht zuviel davon
Ich habe aber einen Fehler gemacht. Einen Fehler, der dann zu vielen, vielen kleinen und größeren Fehlern geführt hat. Ich bin arg naiv gestartet. Ich habe mich voll auf mein Fachkönnen und meine Leidenschaft konzentriert, ohne mich damit zu beschäftigen, was das alles mit sich bringt und bedeutet, eine eigene Firma zu gründen und zu führen. Gesunde Naivität ist ja manchmal gut, weil sie Dich blauäugig Dinge tun lässt, vor denen Du sonst zurückschrecken würdest. Zu viel Naivität hält einen aber auch davon ab, sich mit Fragen zu beschäftigen, mit denen man sich schon auseinandersetzen sollte. Heute weiß ich: Ich hätte zum Beispiel zunächst einmal mit vielerlei Unternehmern und mit Gründern sprechen sollen, um von ihnen zu lernen und von ihren Erfahrungen zu profitieren. Vor allem aber: Um ihre Fehler nicht zu wiederholen. Jeder Gründer startet – oft und bestenfalls – mit dem Thema, das ihn innerlich brennen lässt. Aber von denen, die starten, hat kaum einer Ahnung, was dann alles auf ihn zu kommt. Ist vielleicht manchmal auch ganz gut so. Denn wenn das jeder wüsste, hätten wir noch weniger Gründer. Und es sind so – das ist mein Gefühl – ohnehin schon zu wenig. Außerdem gibt es ja eben – soweit ich weiß – keine Seminare wie „In vier intensiven Wochen lernen, Unternehmer zu sein“ oder „How to build a start-up – der 16-Wochen-Kurs Ihrer Volkshochschule“.
Mal eben raus, um Kaffeebohnen zu besorgen
Mal angenommen, Du warst vorher in einem großen Unternehmen oder gar Konzern: Da meldest Du Dich bei der Personalabteilung, wenn es Fragen zum Arbeitsvertrag oder Probleme mit einem Mitarbeiter gibt. Da brauchst Du nur ein Ticket für IT-Support und kannst Kekse und Getränke für den Konferenzraum einfach so bestellen. Simpel. Komfortabel. Kekse, Wasser und Kaffee sind dann – wie von Zauberhand – da. Im eigenen kleinen Laden gibts das nicht. Da musst Du eher eben mal eben rausgehen, um beim Penny oder beim Rewe Kaffeebohnen, Toilettenpapier oder Kugelschreiber zu kaufen, weil ja in einer halben Stunde ein möglicher Kunde kommt. Und Du musst womöglich selbst am Abend Rechnungen schreiben, Mahnungen rausschicken und die BWA checken.
Jeden Tag Gravierendes zum ersten Mal
Mitarbeitergespräche, Verhandlungen mit Kunden, das Einstellen von Mitarbeitern, das „Strukturieren“ von Teams: Keiner hat es Dir beigebracht. Alles ist „Trial and Error“. Als Unternehmer machst jeden Tag Gravierendes zum ersten Mal. Und stets mit mangelnder Erfahrung und viel Unwissenheit. Und oft unter Zeitdruck. Als Gründer ist man ja zunächst alles in einem: Chef, Produktentwickler, Vertriebsleiter, CFO, Personalleiter, IT-Chef, Hausmeister, Telefonzentrale... Aber in der Regel ist man nur dem wirklich gut, was einen die Firma hat gründen lassen. Man ist eben lange kein Experte in all den Bereichen, die ein Unternehmen auch braucht. Und die Spezialisten, die all die anderen Bereiche abdecken, kann man sich erst später leisten. Wenn es denn gut läuft!
Irgendwie schon fast ein Wunder
Ich erinnere mich noch, dass ich damals – kurz nach dem Start der Agentur – eine Bewerberin nach nur sehr, sehr kurzem Bewerbungsgespräch kurzerhand eingestellt habe. Sie kam von einem namhaften Agentur-Network und hat sich bei uns beworben. „Wie? Was? Bei uns kleiner Agentur? Von einem Network? Wow!“ Mann, ich war vielleicht stolz. Jemand aus einer großen Agentur, aus einem Network! Und deshalb: Zack! Eingestellt. Langfristig allerdings klappte es nicht. Ach, und dann kamen noch so unendlich viele Fehler hinzu. Ich habe falsche strategische Entscheidungen getroffen. Ich habe Fehler bei Beförderungen gemacht. Ich habe falsche Prozesse aufgesetzt oder habe Ansätze nicht nachhaltig genug verfolgt. Ich habe mit Mitarbeitern, von denen wir uns getrennt haben, nicht oder nicht ausreichend gesprochen, sondern mich gedrückt. Ich habe vieles aus dem Bauch heraus entschieden und getan, ohne ausreichend zu schauen, wie es andere machen und ob es wohl einen guten Grund hat, dass sie es so machen. Irgendwie schon fast ein Wunder, dass die Firma heute da steht, wo sie ist!
Ich würde es heute anders angehen
Was ich sagen will: Ich bin echt stolz darauf, in dieser Agentur 160 unglaublich tolle Menschen versammelt zu haben. Aber: Könnten es ohne all meine Fehler und Fehlentscheidungen nicht bereits mehr sein? Könnten wir nicht noch größer und erfolgreicher sein? Fest steht: Heute würde ich mich vor dem Start einer eigenen Firma erstmal mit vielen, ganz vielen Gründern und Unternehmern unterhalten. Aus den Gesprächen würde ich allerhand lernen können. Ich würde versuchen, mir was abzugucken, von ihren Fehlern zu lernen, denn die muss man ja nicht ein zweites Mal machen. Ich würde es besser machen als ich es gemacht habe. Ich würde der wahrscheinlich ein besserer Unternehmer und Geschäftsführer sein als ich heute bin. Das wäre der Plan, wenn ich es erneut probieren würde! Und vielleicht, vielleicht lernt ja jetzt jemand aus meinen Fehlern.
Communication Expert & Senior Consultant Health Care & Insurance I Interim Brand Management I Content Marketing
6 JahreOhne Naivität hätte ich nie gegründet! Aber wer fragt, erhält ziemlich oft auch eine Antwort. Das Problem ist oft die eigene Coolness. Ich frage lieber nicht, weil ich damit eingestehe, dass ich bei dem Thema ziemlich blank bin. Einfach ran, aussprechen, auch hier mehr agile Kultur... Danke Mirko Kaminski für den Beitrag!
Kommunikationsberater | Gesundheits- und Wissenschaftskommunikation | Themen und Inhalte vermitteln
6 JahreWohl wahr. Blauäugig sein kann helfen, kann aber auch zu einem blauen Auge führen. Möchte die eigenen Hamburger Gründungserfahrungen aber nicht missen
Principal Strategy, Content & Relations @XING / Part of NEW WORK SE
6 JahreSehr interessant. Inspirierend. Fehlerkultur ist in Deutschland noch viel zu sehr Tabu-Thema. Danke!
FUTURE EMPLOYER BRANDING COMMUNICATION: Authentische Firmeneindrücke für die Gen Z, Gründer KÖNIGSKLASSE® - LinkedIn TOP Social Seller/ Marketing Awards Finalist, eingeladen v GOOGLE Chief Evangelist Brand Marketing & KI
6 JahreBis zum Ende gelesen, dafür schon mal danke! Lese nicht viel zuende, wenn es nicht auch fesselt. Und WOW, ich kenne wenige, die so offen und erhlich Fehler ansprechen und zugeben, selbst wenn eben (tadaaaaa) zu spät, sonst hätte man sie ja auch anders gemacht. Ich freue mich, wenn du dich als Mentor gar bieten würdest, um von dir direkt in Telefonaten zu lernen. Nur mal laut gedacht. Liebe Grüße, Martin
Ich weiß nicht ... Ist es nicht doch auch so, dass diese Portion Naivität und Gutgläubigkeit auch beim Gründen wichtig ist? Dass man besser mal nicht weiß, was alles passieren könnte?