Gustav Mahler in Leipzig 2023 - ein Fest gegen das Vergessen
Mi

Gustav Mahler in Leipzig 2023 - ein Fest gegen das Vergessen

Vor zwölf Jahren begann die Reise ins Zentrum der Galaxis, hinein ins Universum Gustav Mahlers. In Leipzig, mit all seinen Werken, mit den namhaftesten Orchestern dieser Welt und den renommiertesten Mahler-Spezialisten am Pult. Es war ein rauschendes Fest, ein ultimativer Kick, ein Programm mit Suchtpotenzial, tief hinein in Grenzbereiche der menschlichen Psyche und in die Geschichte der Menschheit mit ihren Höhepunkten und Abgründen. Mahler - als Chronist und Seher, der Verstörende und Liebende. Das Gewandhaus bebte und nie war mehr Welt vor Ort als in jenen fiebrigen Tagen vor zwölf Jahren. Leipzig verliess die Erdumlaufbahn. 

Nun wieder Mahler, endlich. Er hatte es schwer - als Mensch und Künstler, als Dirigent und Komponist. Leonard Bernstein wurde schliesslich zum Geburtshelfer seiner Werke. Von einer Renaissance allerdings sollte man dennoch eher nicht sprechen, denn populär war Mahlers Schaffen zu seinen Lebzeiten nicht. Bis Bernstein kam, um ihn für uns zu entdecken. Mahler hat sich durchgesetzt und er wusste, dass seine Zeit irgendwann kommen würde. 

Was stand seinem Genie im Wege? Ganz sicher auch der Zeitgeist, geprägt von einem latenten Antisemitismus, der 1945 nicht schlagartig endete, wie man beispielsweise hier lesen kann: 

„Mahler war ein Mensch weicheren östlichen Schlages. Der Magie der deutschen Volksweise waren jedoch beide (gem. Heinrich Heine) auf rätselhafte Weise verfallen. (…) Ihm fehlt die Unbefangenheit, wie sie etwa Strauss über manches hinweghilft, und daher muss er klar erkennen, wo seine Begabung Grenzen hat. Mit übermenschlichem Willen geht er daran die Grenzen zu sprengen: mit Bluttransfusionen aus Volksgesang und Kunstmusik sucht er seine Kräfte hochzureißen - und nichts erschüttert mehr als die tiefe Resignation, die dem Ermatteten bleibt. (…) da prallt Erhabenes auf Triviales, Gefühltes verdorrt in Konstruiertem, Eigenes steht neben Nachempfundenem, das Mißverständnis zwischen tatsächlichem Gehalt und äusserer Fassade ist nicht zu übersehen.“ Rudolf Bauer, „Das Konzert“ 1955, bei „Deutsche-Buchgemeinschaft“


Knapp sechzig Jahr zurück in Wien: Mahler ist dirigierender Hofoperndirektor:

„Wenn Herr Mahler Korrekturen anbringen will, dann soll er sich Mendelssohn und Rubinstein dazu wählen - am Ende lassen sich die Juden das nicht gefallen - aber unseren Beethoven soll er fein in Ruhe lassen.“ Deutsche Zeitung 1898, Wien


Über Mahler als Komponist, zwei Jahre vor seinem Tod.

„Wenn Mahlers Musik jüdisch sprechen würde, wäre sie mir vielleicht unverständlich. Aber sie ist mir widerlich, weil sie jüdelt. Das heißt, sie spricht musikalisches Deutsch, wenn ich so sagen darf, aber mit dem Akzent, mit dem Tonfall und vor allem mit der Geste, des östlichen, des allzu östlichen Juden.“ Rudolf Louis, Die deutsche Musik der Gegenwart, 1909


Mahler war 25 Jahre alt als er in Kassel Kapellmeister und zum Opfer einer ersten offenen Kampagne wurde.

„Damit aller Welt gezeigt wurde, daß in Cassel von nationalliberalen Rechtswegen bei solchen Gelegenheiten der Jude die erste Geige zu spielen hat, wurde der derzeitige 2.Dirigent am königlichen Hoftheater, der Jude Mahler als Hauptdirigent ernannt. (…) Das war denn doch den Rasseeigentümlichkeiten genügt, die Deutschen hatten die Arbeit und der Jude die abfallenden Ehren, o, das wäre eine Lust gewesen, einen lieben guten Juden einmal aus vollen Kräften zu einem Genie schwätzen und schreiben helfen“. Kasseler Zeitung, 1885


Verbrennende Worte aus Kassel und der Fackelträger des Zeitgeistes schrieb Jahre zuvor ein Pamphlet mit dem Titel „Das Judenthum in der Musik“ - es war Richard Wagner 1850/1869. Die alles zusammenfassenden Schlussworte seiner Schrift richtete er direkt an die Juden selbst:

(…) Aber bedenkt, daß nur Eines eure Erlösung von dem auf euch lastenden Fluche sein kann: die Erlösung Ahasvers, – der Untergang!


Der fliegende Holländer lässt grüßen, ebenso „wer ist der Mensch?“ und „Erlösung dem Erlöser“. Wagner ist und bleibt ein extremistisches und gefährliches Faszinosum, ein gleissendes Licht, das schmerzt, wenn man länger hineinschaut. Ein glühender und abstossender Antisemit. Mahler wusste das, er konnte nicht anders. Wie so viele. Eine gefährliche Droge, der man sich kaum entziehen kann. Ich selbst weiss viele Lieder davon zu singen, denn auch ich kann nicht ohne die tägliche Dosis Gesamtkunstwerk auskommen. Doch Distanz und immerwährende Reflexion helfen, um ihm nicht widerspruchslos und widerstandslos zu verfallen. So lässt sich der tiefere Sinn mit all seinem komplexen Gedankengut verdauen und beflügelt gleichzeitig den Geist.


Auch das ist ein Bekenntnis „Gegen das Vergessen!“ in der Geburtsstadt Wagners.


Viva Gustav Mahler - feiern wir ein Fest!


Quellen: enthalten in Jens Malte Fischers „Gustav Mahler - Der fremde Vertraute“

Zum Anzeigen oder Hinzufügen von Kommentaren einloggen

Weitere Artikel von Michael Sturm

  • Eine Stimme für den Frieden in der Welt

    Eine Stimme für den Frieden in der Welt

    Max Josef Metzger war ein überzeugter Pazifist und Gegner des NS-Regimes. 1944 wurde er von den Nationalsozialisten…

  • R+J update !

    R+J update !

    Romeo et Juliette in Immling, 13.07.

  • Dlaczego tak kocham Polskę - Warum ich Polen so liebe

    Dlaczego tak kocham Polskę - Warum ich Polen so liebe

    Ponieważ poznałem takie osoby jak Jola, Michał, Robert, Taida, a zwłaszcza Małgorzata, a jest tam Tomasz i Renata…

    1 Kommentar
  • Am Abend des siebten Tages

    Am Abend des siebten Tages

    das Fragment eines Szenarios Wieczorem siódmego -fragment scenariusza - von Michael Sturm I. Schnee fiel die letzten…

  • Romeo et Juliette in Immling

    Romeo et Juliette in Immling

    copyright Mariella Weiss Grasende Alpakas, rufende Pfauen und pensionierte Pferde, dazu Tanzende, Spielende und…

  • WINTERREISE

    WINTERREISE

    Franz Schubert - Wilhelm Müller - Krzysztof Kamil Baczyński Unsere Winterreise ist eine Reise durch die menschliche…

  • Die verkaufte Braut in Theresienstadt

    Die verkaufte Braut in Theresienstadt

    Die Türen geschlossen, das Licht fahl, einige Menschen im tristen Kinosaal. Geladene Gäste, deutschsprachige…

  • "Selbstverständnis"

    "Selbstverständnis"

    "Das Gold im Rhein - der Baum der Erkenntnis das Paradies. Es könnte der Urwald sein, der Amazonas.

  • Familienzusammenführung

    Familienzusammenführung

    Ich stelle mir oft vor, wie mein Grossvater am 13.Februar 1945 in Akko auf den Steinen des alten Hafens sitzt und in…

    4 Kommentare
  • DIE OASE AM TODESSTREIFEN - III

    DIE OASE AM TODESSTREIFEN - III

    Erinnerungen an die Komische Oper. Das Jahr 1989 Die Hospitanten-Riege war bunt gemischt, sie kamen aus Stendal…

Ebenfalls angesehen

Themen ansehen