Haben Sie Ihre Sinne noch beisammen?
Dinner in einer Pilgerherberge, von Markus Oberndörfer

Haben Sie Ihre Sinne noch beisammen?

Es ist schon viele Jahre her, dass ich aktiv die Kampf- und Überlebenskünste der Ninja praktizierte. Es gibt verschiedene Gründe, warum ich damit aufgehört habe, aber mehr als nur ein paar Facetten aus der damaligen Zeit gehören weiterhin zu einem wertvollen Erfahrungsschatz. Eines davon ist, sich regelmäßig mit seinen Sinnen auseinanderzusetzen.

Besonders intensiv konnte ich das als Pilger auf dem Jakobsweg in Spanien, besinne ich aber hin und wieder auch im Alltag darauf. Und, wie sieht es da mit Ihnen aus? Machen Sie sich doch mal auf eine Reise zu sich selbst und zu Ihren Sinnen und Sie werden ganz viel Neues entdecken. Wie wäre es mit einem Tag pro Sinn?

Fangen wir mit dem Hören an. Haben Sie sich mal in letzter Zeit die Zeit für bewusstes Hören genommen? Gibt es sie noch, die leisen Zwischentöne? Nach Tucholsky gibt es Millionen Geräusche, aber nur eine Stille. Gibt es im Lärm des Alltags, der ständigen Berieselung und der laufenden Untermalung mit billiger Musiksauce noch Momente der Ruhe, um in sich hineinzuhören? Schafft man es noch, ein perfekt arrangiertes Musikalbum ohne Unterbrechung und Ablenkung zu genießen, so als hätten die Musiker und Studiotechniker ein Meisterwerk für das Hier und Jetzt geschaffen, das Ihre Aufmerksamkeit voll und ganz verdient? Setzen Sie sich im Sessel vor Ihre Stereoanlage. Hören Sie die einzelnen Instrumente doch einfach mal heraus, folgen Sie mal dem Saxophon, dem Schlagzeug, dem Bass oder einfach mal den hohen Tönen der High-Hats. Wie wäre es mit "Urbania" von Alan Parsons Project?

Was stinkt Ihnen am nächsten Tag, wo haben Sie ihren guten Riecher gelassen? Wissen Sie noch, wie der Handrücken Ihres Partners duftet, eine Baumborke oder der frisch geschnittene Schnittlauch? Es gibt richtig guten Duftstoff da draußen, Sie müssen ihn nur ent- oder aufdecken.

Es gibt viel zu übersehen, fangen Sie Ihre flüchtigen Blicke ein und schauen Sie mal genauer hin. Die feinen Strukturen eines Baumblattes, wunderschön und absolut einmalig. Was ist mit dem kleinen Leberfleck am Ohrläppchen Ihres oder Ihrer Liebsten, sieht der nicht ein wenig ausgefranst aus? Muss man immer beim Hauptmotiv eines Bildes stehen bleiben oder gibt es da noch mehr im Hintergrund zu entdecken? Wie wäre es mit einem Schritt zurück für das "Big Picture"? Wie ist das mit den spannenden Details am Rande? Was liegt vielleicht noch im Verborgenen?

Als ich nach einer Fastenkur mir den ersten Apfel gönnte, habe ich ihn mir erst mal ganz genau angeschaut, in der Hand gewogen und für gut befunden. Die schönen Farben und den Duft genossen, doch dann kam die Geschmacks-Explosion. Eben nicht zugekleistert mit Industriezucker und Vanillin. Ich erinnere mich noch gut an das frisch gebackene Brot oben im Bild, dazu das frische Wasser nach einem langen Tag unterwegs. Von dem guten Wein gar nicht zu reden. Suchen Sie mal nach dem echten, vielfältigen Geschmack von natürlichen Lebens-Mitteln.

Haben Sie heute schon das unbezahlbare Geschenk einer sanften zärtlichen Berührung bekommen oder gegeben? Wie fühlt sich gerade Ihr rechter großer Zeh an oder Ihr linkes Schulterblatt? Gehen Sie doch mal in sich - auf eine Reise durch den Körper. Haben Sie noch die vielen Schritte des Tages in den Knochen? Wie war das heute vielleicht mit dem Wind in den Haaren und den wogenden Grashalmen unter der Hand?

So können Sie sich Sinn-volle Tage schenken, aber es geht noch weiter.

Kombinieren Sie richtig. Wie wäre es mit einem schönen und vollständig hörenswerten Latin-Jazz-Album zusammen mit einer frisch gebrühten Tasse von edlem Kaffee, bei der Sie sich auf die Suche nach den feinen Aromen von Schokolade und Nüssen machen?

Bleibt dann nur noch der sechste Sinn. Ich bin mir sicher, prall gefüllt mit neuen Sinneseindrücken, mit einer ganzheitlichen Wahrnehmung, entwickeln Sie Ihre Intuition gleich mit.

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