Handke-Dimension des Schreibbaren

Handke-Dimension des Schreibbaren

Wer fürchtet sich vor dem schreibenden Mann? Wer hasst ihn? Wer mag ihn? Wer liest seine Werke? Wer gönnt ihm eine neue Auszeichnung?

Wer will dem berühmtesten französischen Österreicher der Gegenwart immer noch einen Denkzettel verpassen, weil dieser nicht nur den Müttern von Srebrenica, sondern etwa auch den Müttern aus dem nahe gelegenen serbischen Dorf Kravica zuhört? Wer will wissen, was Wissen ist? Wer wird neidisch, wenn sich Dichtung ereignet, wer wird bloß konfus? Wann schlägt die Stunde der wahren Empfindung? Was für Gefühle regen sich innerhalb der Exponenten unserer integrationstüchtigen Leitkultur, wenn Texte in eine verbotene Dimension abträufeln? Gibt es Hoffnung auf Verständnis? Gibt es tatsächlich die Einheit in der Vielfalt oder eben doch kaum mehr als die schlichte Einheit? 

Peter Handke ist zu vehement, als dass man ihn heute noch wirklich so ohne Vorbehalt mögen könnte. Er ist in seiner Polemik, er ist in seinen Feststellungen, in der Beweisführung und in den Standortbestimmungen rund um „seine“ Serben viel zu weit gegangen. Er hat zu offen gesprochen. Er hat zu unüberlegt gesprochen. So geht das Gerücht. Er hat uns dorthin geführt, wo wir nicht sein wollen, er hat uns eine unerwünschte Perspektive, ja er hat uns eine verbotene Perspektive erschlossen: Er hat seinen Mitmenschen Überlegungen aufgezwungen, derer sich die Mainstream-Wörtermacher stets nach besten Kräften verwehrten, weil sie aus „westlicher“ Sicht nie salonfähig waren. 

Hand aufs Herz, vehement ist hier das falsche Wort. Übrigens ist es ja an sich gar kein deutsches Wort, und auch kein österreichisches (Wir könnten’s mit véhément versuchen, aber Handke ist bekannterweise kein eigentlicher Franzose, das kommt: er ist kein waschechter Franzose. Und Serbe ist er auch nicht ...wirklich nicht? warum spricht er denn von Yogoslavija?). Nein, ein neues Wort, ein besseres Wort soll her... Zum Beispiel ein Machtwort?... Oder am allerbesten: ein Schlagwort. Bei einem Schriftsteller spielt nämlich die imponierende Ausdrucksweise eine große Rolle. Vielleicht bräuchte man sogar einen multifunktionalen Begriff aus dem Literaturbetrieb oder, noch treffender, aus der Politikwissenschaft, um den Skandal rund um Handke zu beschreiben und die Schar der Handke-„Experten“ systemtheoretisch regelrecht zu umzingeln: zu umschreiben. Wenn alle so über einen herfallen, trägt der Eine unter Umständen einen Gewinn davon – besonders, wenn er überlebt. Und mögen kann man ihn ja trotzdem. Schon rein deswegen, weil Handke immer noch keine Angst vor seinem Bleistift hat.

Zur Verleihung oder Nichtverleihung des Heinepreises 2006 haben sich viele was einfallen lassen, allen voran Handke, der Empfänger des Preises, was hier wohl heißt, der Nicht-Empfänger des Preises.

Dieser Autor lässt nicht locker. Die ihm zugedachte Anerkennung, die ihm nicht gegönnt, wird, will er nicht. Seine Haltung rechtfertigen will er aber umso mehr.

Peter Handke gegen die Eindimensionalität - so schätzte einst Thomas Deichmann die literarisch verklärte politische Lage auf dem brennenden Heinrich-Heine-Preis-Schlachtefld ein. Der „Westen“ will stets recht haben, selbst wenn er nicht recht hat: eine Binsenwahrheit. Doch können vereinzelte Dimensionen eines noch so begabten Schriftstellers gegen die beliebte Eindimensionalität des schwarzweißen „Engagements“ aufkommen?

Sich daran halten, immer Recht beizubehalten: Trifft das womöglich auch auf Handke zu? Es wird ihm jedenfalls vorgeworfen. Der rasende Polemiker haut um sich herum, weil er von bedeutender Stelle aus sprechen will. So auch hier: Handke auf dem Cover. Handke im Vorwort. Handke im Leitartikel...und dann gleichsam als würziges Extra sogar noch ein Handke in der ersten Person: der Erzähler selbst. Won wem er erzählt? Natürlich von sich und seinen Stellungnahmen. Und von seinen Serben und von seinem Kampf gegen die europaweit mahlenden Windmühlen der Meinungsbildung. Allerhand!

Für das Schwarzweiß-Bild der vorherrschenden Anschauungsweise des Täter-Opfer-Komplexes gilt Handke längst als ein nur allzu sichtbares, allzu lautes (allzu vorlautes?) Ärgernis. Dass er seine Stimme oft genug kaum mäßigte, hat mit Politik zu tun. Mit Urteilen und Vorurteilen. Mit Wahrheiten und Halbwahrheiten. Dass ihm seinerzeit der Heinepreis hätte erteilt werden sollen, hat mit seinem literarischen Verdienst zu tun. Dass ihm der Preis dann wohl doch nicht erteilt werden sollte, hat mit kulturpolitischer correctness zu tun. Dass Handke den Preis durch einen offenen Brief an den Bürgermeister von Düsseldorf sozusagen ablehnte, noch bevor er ihm zuerteilt oder eben doch nicht zuerteilt wurde – je nachdem – mag dabei wohl sowas wie „handkisch“ sein.

Aber schließlich ist ja auch der Nobelpreis ganz leidlich.

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