Heavy Metal für echte Kerle...
Seit einem halben Jahr- hundert steht die Trans- Am-Serie in den USA für actionreichen Rennsport auf höchstem Niveau. 2017 soll sie einen europäischen Ableger bekommen. MSa durfte den über 500 PS starken Einsatzwagen beim Tracktest in Barcelo- na bereits fahren.
Von: Michael Bräutigam
Es gibt so Tage, da möchte irgendwie nichts funktio- nieren. Wie an diesem nasskalten Dezembermontag in Barcelona. Ursprünglich geplant war ein Freitag. Und weil der Streckenfotograf nur da verfüg- bar gewesen wäre, müssen wir Sie, liebe Leser, mit einem Fahr- bild eines anderen Testtages (als immerhin besseres Wetter herrschte) in diese Geschichte schicken. Und auch der Arzt, der auf einer F1-Strecke wie dem Cir- cuit de Catalunya eben immer anwesend sein muss, hat schein- bar verschlafen, dass sich der Termin geändert hat.
Über eine Stunde lässt der Doc sich bitten, ehe der Trackday um kurz nach zehn Uhr dann doch eröffnet werden kann. Eric van de Poele, DTM-Meister von 1987, schwingt sich in den blauen Tran- sAm-Mustang und fährt aus der Box. Er will das Auto anwärmen, bevor Sohn Alexis, Laufsieger im Audi Sport TT Cup 2015, es für mich vollends auf Betriebstempe- ratur bringt.
Doch auch dieser Plan wird durchkreuzt. Zwei längere Unter- brechungen durch Unfälle sor- gen dafür, dass ich gerade noch eine Sitzprobe absolvieren kann, ehe es in die Mittagspause geht. Ob sich diese Reise gelohnt hat?
Das Auto ist FIA- homologiert und kann damit auch in anderen Rennserien mit entsprechen- dem Reglement eingesetzt werden. Ansprechpartner für den deutschsprachi- gen Raum ist Ebert Sportscars in Solms (www.ebert-sports- cars.de). Mehr Infos zur Serie gibt es im Netz: www.transameuroracing.com
Über die Mittagsstunden reg- net es sich so richtig schön ein. Aber um keine (Fahr-)zeit mehr zu verlieren, werde ich buchstäb- lich ins kalte Wasser geworfen. Also rein ins spartanische Cock- pit. Anschnallen. Master-Power- Knopf umlegen. Zündung an. Kupplungspedal treten. Start- knopf drücken. WRUMM – brab- bel, sprotz, tucker. Wow! Die Startprozedur des 6,2-Liter-V8 unter der langen Motorhaube sorgt für ein Instant-Lächeln bei allen Menschen in Hörweite. Und die ist beim LS3 groß. Ich bin mir ganz sicher, dass sich auch in den nahe gelegenen Pyrenäen der eine oder andere Berggipfel be- wegt haben muss, so wie sich der Smallblock beim Anlassen schüt- telte. Als wäre er selbst mit der ganzen Kraft überfordert.
Technische Daten
MOTOR Bauart: V8-Saugmotor (Chevrolet LS3 Smallblock) Hubraum: 6200 ccm (Bohrung x Hub: 103,25 mm x 92 mm) Leistung: 386 kW/525 PS bei 6200/min Drehmoment: ca. 700 Nm bei 5000/min Schmierung: Trockensumpf
KRAFTÜBERTRAGUNG Antrieb: Heckantrieb Getriebe: 4-Gang-H-Schaltung (G Force T101) Kupplung: Rennkupplung Differenzial: selbstsperrendes Differenzial (Torsen)
FAHRWERK/LENKUNG/BREMSE Dämpfer: zweifach einstellbar (Penske) Räder: 15 x 10 Zoll (Bassett) Reifen: 27,0/10-15 (Hoosier, Slicks und Regenreifen) Bremsen: innenbel. Scheiben (v./h.), Wilwood-6-Kolben-Bremssättel
CHASSIS/KAROSSERIE Aufbau: FIA-zerti ziertes Rohrrahmenchassis (Howe) mit eingebauter Druckluft-Hebeanlage Karosserie: GFK-Silhouette (Ford Mustang, Chevrolet Camaro oder Dodge Challenger) Maße (L x B x H) : 4970 x 2030 x 1220 mm Tankinhalt: 96 Liter Leergewicht: 1150 kg
FAHRLEISTUNGEN Höchstgeschwindigkeit: ca. 290 km/h
PREISE 105 000 Euro als Kit; 120 000 Euro rennfertig (jeweils zzgl. MwSt.)
»DU KANNST SCHÖNE SCHWARZE REI- FENSPUREN ZIEHEN. IN DER NÄCHSTEN RUNDE SIEHST DU SIE UND WILLST ES NOCH BESSER MACHEN.« Eric van de Poele
Kraft ist das passende Stichwort. 525 PS und rund 700 Nm Drehmoment stehen nun eiskal- ten Hoosier-Regenreifen mit urzeitlichem Profil gegenüber. Ganz sachte streichle ich das Gaspedal und endlich kann ich das stramme Kupplungspedal leicht kommen lassen. Etwas ru- ckelig geht es nun zum Boxen- ausgang. Der 2. Gang wird über die H-Kulisse eingelegt.
Dieses Auto will dich töten!
Einmal auf der Strecke, traue ich mich kaum, das laute Pedal zu treten. Schon auf halbem Weg Richtung Bodenblech drehen die Hinterreifen durch. Dritte Fahr- stufe, neuer Versuch. Gleiches Ergebnis. Nach einer halben Run- de des Herumschleichens sind zumindest die Hinterreifen etwas auf Temperatur. Doch kaum geht der Gasfuß runter, zackt das Heck auch schon wieder raus. Brutal! Diese rohe Gewalt aus 376 Kubik-Inch lässt echtes Muscle- Car-Feeling aufkommen. Erst recht der Sound. Das Triebwerk, das direkt hinter der Vorderachse kauert, brüllt einen nur so an. Nicht nur von vorne hämmert es gewaltig auf die Trommelfelle ein. Ohrenstöpsel wären hier zu empfehlen gewesen, denn in den Brems- und Rollphasen setzt von hinten auch der Auspuff mit Fehlzündungs-Knallen zu.
Apropos Bremsphase. Hier ist Fahrtechnik alter Schule gefragt. Während beim Hochschalten Gaswegnahme genügt, um so schnell und hart wie möglich durch die Viergang-Dogbox zu reißen, ist beim umgekehrten Weg ein wenig Fußakrobatik ge- fragt. „Heel and toe“ nennt der Rennfahrer das. Mit dem rechten Fußballen wird gebremst und wenn links das Kupplungspedal betätigt wird, will mit dem rech- ten Fußballen ein kontrollierter Zwischengasstoß gegeben wer- den. Bisher bin ich nur Autos gefahren, die diese Technik nicht zwangsläuf ig erforderten, doch heute, bei diesen Bedingungen, ist sie nötig. Klappt es nicht, blo- ckiert sofort die Hinterachse. Ein, zwei Mal passt das Fußraum- Ballett nicht, und schon wird auch beim Bremsen das Heck instabil. Klare Sache: Dieses Auto möchte einen umbringen! Und ganz ehrlich: Das ist so geil! In Zeiten von aerodynamisch fein- geschliffenen Autos, die wie auf Schienen fahren, und deren über die Lenkradwippen aktivierten Schaltautomaten jeder Zehnjäh- rige bedienen kann, ist hier der Fahrer echt gefordert.
Dieses Auto – ohne ABS, Traktionskontrolle oder anderen elek- tronischen Schnickschnack – ist Heavy Metal für echte Kerle. Eric van de Poele, der als Serienbot- schafter und Testfahrer gemein- sam mit GP2-Laufsieger Dani Clos die 2h von Jarama bestritt, be- kommt das Grinsen nicht aus dem Gesicht, als er davon erzählt. „Du kannst richtig schöne schwarze Reifenspuren ziehen. In der nächsten Runde siehst du sie und willst es noch besser ma- chen.“ Übrigens ein kostengüns- tiger Spaß: Der Reifensatz zu knapp 1000 Euro hält drei Stun- den! Bei der robusten Technik sind auch die Running Costs sehr überschaubar. Zwischen neun und 14 Euro pro Rennkilometer werden je nach Aufwand fällig. Das komplette Bodykit kostet mit 10000 Euro etwa so viel wie die Frontschürze bei einem GT3.
Nach fünf Runden ist die Fahrt vorbei. Ohne Kratzer steht das blaue V8-Monster an der Box. We- nigstens das hat an diesem Tag funktioniert. Der Fahrer nach mir rauscht nach anderthalb Runden ins Kiesbett – wenigstens das blieb mir erspart ... ■
MOTORSPORT aktuell 04 | 2017