Helmholtz-Chef zu Gast bei Comites Executive Lounge Hält Deutschland mit dem Tempo der globalen Innovation Schritt?
Helmholtz-Chef zu Gast bei Comites Executive Lounge
Hält Deutschland mit dem Tempo der globalen Innovation Schritt?
„Deutschland hat trotz aller Widrigkeiten gute Chancen, aber muss sie auch nutzen“, so Professor Dr. med. Dr. h.c. mult. Otmar Wiestler vor einem exklusiven Kreis von Vorständen in der Münchner Executive Lounge. Eingeladen hatte KPMG gemeinsam mit Comites.
Der Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft referierte und stellte sich einer kritischen Diskussion. Seine Kernbotschaft: "Unser Ziel kann und darf nach Corona nicht sein, möglichst schnell den Status von 2019 wieder zu herzustellen. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir die Zukunft neu gestalten."
Weckruf Corona
"Covid-19 hat uns ziemlich unvorbereitet getroffen. Das darf nie wieder passieren. Wir müssen also überlegen, wie wir bei weiteren Pandemien schneller, effizienter, ganz einfach besser reagieren können“, sagt Wiestler. Er erwartet einen Impfstoff erst für Frühjahr 2021. Dann aber könne es gut sein, dass dieser aus deutschen Biotech-Laboren komme.
Wiestler sieht Covid-19 als Weckruf: "Wir müssen jetzt endlich unser Bildungssystem auf Vordermann bringen, unsere Wirtschaft muss viel agiler werden und die digitale Transformation muss ernsthaft angepackt werden."
Forschungsstandort Deutschland
Wiestlers Analyse des Forschungsstandorts Deutschland ist schonungslos ehrlich: Deutschland sei in vielen Teilbereichen in der Grundlagenforschung zwar sehr gut aufgestellt. Es mangle jedoch vielfach am Transfer in marktfähige Produkte und Anwendungen. Die Forschung denke allzu oft in Silos; diese gelte es aufzubrechen.
"Wir müssen insgesamt schneller und internationaler werden“, so Wiestler: "Die besten jungen Forscher gehen häufig in die USA - und viele bleiben dort.“ Gerade weil wir in Deutschland kreative, innovative Köpfe als einzigen Rohstoff hätten, müssten wir noch mehr optimale Bedingungen für innovative Potenzialträger schaffen.
"Wir haben einen riesigen Rückstand bei digitaler Transformation und Kommunikation gegenüber den USA und China. Und damit meine ich nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa.“ Die viel stärkere Kooperation und Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft ist seiner Ansicht nach einer der ganz wesentlichen Erfolgsfaktoren vor allem in Zukunft.
Die deutsche StartUp-Kultur sieht Wiestler skeptisch: „Uns fehlt eine gute Venture Capital Basis und das Mindest. Hier haben wir Nachholbedarf.“ Deutschland habe dennoch extrem gute Voraussetzungen, zukünftig Talente von überall her anzuziehen.
Klimawandel als Motor für Innovation
Der Klimawandel ist laut Wiestler nicht mehr ernsthaft zu leugnen. "Wir brauchen einen intelligenten Mix aus Verzicht, dem Senken von CO2-Emissionen und alternativer Energieerzeugung“, fordert er und sieht große ökonomische Chancen für Deutschland, wenn wir einen Schulterschluss zwischen Forschung und Wirtschaft hinbekommen. "Deutschland kann auf diesem Gebiet zum Innovator werden“, so Wiestler. Er setzt auf Wasserstoff als wesentlichen Energieträger der Zukunft.
Prekäre Lage bei der digitalen Infrastruktur
Dass wir vor 20 Jahren noch ohne jederzeit verfügbares Internet gelebt haben, sei heute fast unvorstellbar, so Wiestler. Wir haben bereits eine tiefgreifende Transformation erlebt, die jedoch noch lange nicht zu Ende ist. Allerdings sei die digitale Infrastruktur in Deutschland prekär; insbesondere das Bildungssystem weise erhebliche Defizite auf.
Hoffnung Quantencomputing
Die weitere Entwicklung biete aber auch Chancen: "Gerade im Quantencomputing liegt enormes Potential.“ Es ermögliche eine neue Dimension der Informationsverarbeitung - mit erheblichen Chancen für den Energiebranche, die Automobilindustrie, vor allem aber für den Pharma-, Medizin- und Gesundheitssektor. Schon heute würden Unmengen an Daten in der Medizin errzeugt, aber nur punktuell ausgewertet werden; in Zukunft könnten diese Informationen viel detaillierter und schneller verarbeitet werden. Damit würde eine „individualisierte Medizin“ möglich. Eine neue Ära, die uns „weg von einer Reparatur-Medizin hin zu einer präventiven Medizin bringen würde“, so Wiestler.
Wenn es uns gelinge, in diesem Bereich die Führung zu übernehmen, dann sei er optimistisch. Wiestler konstatiert, dass Deutschland viel innovativer als sein Ruf sei. Wir sollten das Momentum nutzen und im Rahmen der Europäischen Union eine tragende Rolle als Innovationsgeber spielen, so sein Plädoyer.
Die Helmholtz-Gemeinschaft
Die Helmholtz-Gemeinschaft hat die Aufgabe, langfristige Forschungsziele des Staates und der Gesellschaft zu verfolgen und die Lebensgrundlagen des Menschen zu erhalten und zu verbessern. Dazu identifiziert und bearbeitet sie große und drängende Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft durch strategisch-programmatisch ausgerichtete Spitzenforschung. In der Gemeinschaft haben sich 19 naturwissenschaftlich-technische und medizinisch-biologische Forschungszentren zusammengeschlossen. Mit mehr als 42.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und einem Jahresbudget von 5 Milliarden Euro ist die Helmholtz-Gemeinschaft die größte Wissenschaftsorganisation Deutschlands. An der Spitze der Helmholtz-Gemeinschaft steht seit 2015 Professor Wiestler.
Der Referent
Otmar D. Wiestler wurde am 6. November 1956 in Freiburg (Breisgau) geboren. Nach dem Medizinstudium an der Universität Freiburg promovierte er 1984 zum Doktor der Medizin (summa cum laude). Von 1984 bis 1987 war er als Postdoktorand im Department für Pathologie an der Universität von Kalifornien in San Diego / USA tätig. Anschließend wechselte er an das Universitätsspital Zürich in der Schweiz, wo er sich im Fach Pathologie habilitierte. 1992 berief ihn die Universität Bonn zum Professor für Neuropathologie und Direktor des Instituts für Neuropathologie. Hier baute er ein großes Neurowissenschaftliches Forschungszentrum mit auf. Im Zeitraum zwischen Januar 2004 und August 2015 leitete Otmar Wiestler als Vorstandsvorsitzender und Wissenschaftlicher Vorstand das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg (DKFZ), welches zu den international führenden Einrichtungen in der Krebsforschung zählt.
Die Executive Lounge
Comites lädt regelmäßig zu einer exklusiven Runde von CEOs und Vorstandsmitgliedern mit hochrangigen Rednern. Die Lounge findet in München statt und bietet die Möglichkeit zur offenen Diskussion und zu vertraulichen Hintergrundgesprächen.