"Hilfe - ich heirate ein Familienunternehmen"

"Dass ich nicht nur meinen Mann, sondern auch zu einem gewissen Grad seine Familie heirate, war mir klar. Aber dass ich gleich ein ganzes Unternehmen mitheirate, dass hat mich kalt erwischt." Die Aussage der jungen Frau in einem Workshop macht nachdenklich. Wir wissen heute, dass das Explizit-machen von impliziten Annahmen früh in einer Beziehung eine Möglichkeit ist, Enttäuschungen zu reduzieren. Ganz besonders gilt dies für Beziehungen, in denen einer der Partner in verantwortlicher Position im Familienunternehmen tätig ist. Warum? Weil Erwartungen in diesem Fall nicht nur von den Partnern selbst und deren Familien formuliert werden, sondern auch von Mitarbeitern, Kunden und der direkt mit dem Unternehmen interagierenden Öffentlichkeit. Zudem sind die Erwartungen der Unternehmerfamilie für diese von zentraler Wichtigkeit, d.h. die Bereitschaft und Fähigkeit, diese Erwartungen zu hinterfragen und gegebenenfalls zu relativieren, sind begrenzt. Erst, wenn das junge Paar sich gemeinsam darüber klar wird, welche Erwartungen im Raum stehen und wie sie damit umgehen wollen, gewinnen sie die Entscheidungshoheit zurück.

Partnerschaftsmodelle, auch in Unternehmerfamilien, sind heute vielfältig. Das Familienunternehmen im Rücken ist Begrenzung und Stärkung zugleich. Tradierte Muster in diesem Kontext zu durchbrechen, ist oftmals schwieriger als in anderen Kontexten, zugleich stehen auch oftmals Ressourcen zur Verfügung, die größeren Gestaltungsspielraum ermöglichen. Eines begegnet einem in Gesprächen über dieses Thema immer wieder, und zwar der Wunsch nach Unabhängigkeit. Eltern wünschen ihren Kindern eine gewisse Unabhängigkeit von dem jeweiligen Partner, vor allem auch in beruflicher und finanzieller Hinsicht, Hinzukommende wünschen sich eine gewisse Unabhängigkeit vom Familienunternehmen, auch aus der Sorge heraus, dass dieses dominant in das noch aufzubauende gemeinsame Leben hereindrängt, und die Partner selbst sehen in der eigenen Unabhängigkeit, aber auch der des Partners eine Chance auf Augenhöhe.

Ist es heute einfacher, in eine Unternehmerfamilie hineinzuheiraten? Wer will das abschließend beurteilen. Da aber der Raum der Möglichkeiten deutlich größer geworden ist, eröffnen sich auch weite Räume sowohl für ein Scheitern wie auch für ein Gelingen. Sich darüber und über die eigene Situation bewusst zu werden und auf der Basis des Bewusstwerdens offen über die Gestaltungsmöglichkeiten zu diskutieren, ist die Chance - und es ist zugleich eine Notwendigkeit, um gemeinsam erfolgreich navigieren zu können.


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