Home sweet Home-Office
Ach, Corona! Die Krise hat uns vieles abverlangt. Dazu gehört auch der tägliche Kampf um Selbstdisziplin und Contenance im sogenannten Home-Office. Während eine freie Schreiberin wie ich den Verlockungen der Couch und der Forderung der Bügelwäsche schon ein halbes Berufsleben lang trotzt, mussten viele strahlende Helden der Bürowelt zum ersten Mal mit den Tücken einer privaten Umgebung fertig werden. Ja, besonders männliche Führungskräfte, nicht gerade Experten für das Multitasking, sind gewiss überrascht, wie schwierig es ist, sich am Laptop auf die Firmenrettung zu konzentrieren, während gelangweilte Kinder nach Nahrung und Abwechslung schreien. Wie soll man da die Performance professionell optimieren?
Keine Angst, es gibt Rettung im Internet. Unter imisstheoffice.eu bieten Scherzbolde dem abgetrennten Erfolgsmenschen vertraute Büro-Geräusche an: Klappern, Schritte, leises Reden, hin und wieder ein wohltuendes „Okay“. Das ist besonders inspirierend für Singles im Jogginganzug, die sich zwischen Morgenkaffee und Serienmarathon in grauenvoller Stille aus dem gefühlten Nichts selbst aktivieren müssen. Da braucht es neue Verhaltensregeln. Wie gut, dass ich die schon während des ersten Lockdowns im Netz gefunden habe. „So rockst du deine Videokonferenz“, versprach Yvonne, eine süße unfrisierte Beraterin, und empfahl, unbedingt die Nase zu pudern. Denn fettig glänzende, schwitzige Stellen, „das wirkt nervös“. Geht gar nicht.
Matt gepudert, soll man sich bitte nicht zufrieden selbst betrachten, sondern immerzu in die mit einem Post-it markierte Linse gucken, damit die Kollegen die Illusion von Augenkontakt haben. Außerdem, flötete Yvonne: „Wenn du sympathisch wirken möchtest, dann lächle!“ Die ganze Zeit? Wirkt vielleicht ein bisschen irre. Und: Man müsse „auf den Hintergrund achten“. In der Tat. Während im wahren Büro die Tristesse des Konferenzraums unbeachtet bleibt, kann man in der Videokonferenz mit neumalklugen Bücherregalen, Kunst oder Sportgeräten gezielt am eigenen Image arbeiten.
Ganz im Ernst: Schon rotten sich Firmen und Effizienz-Berater zusammen, um das Home-Office als ideale Arbeitsform zu etablieren. Die Kostensenkung ist halt überzeugend. Zudem verbessert sich die Öko-Bilanz, gut fürs Image. Und das heimische Schaffen verlockt auch Arbeitnehmer/innen: Man kann die ersten Mails im Pyjama erledigen, ist zeitlich flexibler, spart sich die stressige Anfahrt, palavert nicht lange, wird nur vom Wummern der Waschmaschine abgelenkt. Glauben Sie mir, als junge Mutter mit Vollzeit-Anstellung hatte ich mir oft einen Tag im damals noch nicht erfundenen Home-Office gewünscht. Aber nachdem ich mich dann selbstständig gemacht hatte und superkonzentriert zu Hause arbeiten durfte, vermisste ich das Büroleben so schmerzlich, dass ich mit Tagesverträgen gern zurück ins feste Gefüge ging.
Ja, ich liebe die Arbeitswelt! Mitsamt ihren Ritualen, ihren Konferenzen, ihren angeschlagenen Kaffeetassen und staubigen Topfpflanzen. Ich liebe es, morgens die passende Kleidung auszusuchen – Kostüm und Maske für den beruflichen Auftritt. Ich liebe es, das eigene Alltagsdrama hinter mir zu lassen und mich woanders den Forderungen des Tages zu widmen. Und vor allem liebe ich das Zusammenspiel mit den Kollegen, ihre Ideen, ihren Charakter, unsere Diskussionen. In einem Büro gibt es natürlich auch private Plaudereien, Verabredungen am Rande und für den Geschäftsbetrieb nicht notwendige Scherze. Das sorgt für eine menschliche Atmosphäre, fördert die Einsatzbereitschaft. Und das sage ich nicht nur, weil ich einige meiner besten Freundinnen sowie meinen Ehemann im Büro kennengelernt habe ... Es wäre ziemlich traurig, wenn dieses inspirierende Theater auf immer dahinschwinden würde. Ach, Corona!