How To Build A Tech Company:
Digitale Brücken zwischen Ingenieurskunst und Software-Entwicklung bauen
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How To Build A Tech Company: Digitale Brücken zwischen Ingenieurskunst und Software-Entwicklung bauen

Als CEO der moovel Group baute sie zuletzt bei Daimler die Mobilitätsallianz mit BMW auf, ehe sie vergangenen Sommer nach mehr als einem Jahrzehnt der Konzernwelt den Rücken kehrte und ihr eigenes Start-up gründete: Daniela Gerd tom Markotten ist mit ihrem umfangreichen Wissen im Automobil- und Digitalisierungsumfeld nicht nur eine erfahrene Managerin, sondern steht auch für mutige Entscheidungen. Wie erlebt sie die digitale Transformation in der Branche? Welche Hürden und Tücken gilt es zu überwinden? Wir sprechen über wissbegierige Ingenieur*innen, darüber, wie in Unternehmen Innovation bestmöglich gelingen kann und warum bestehende Strukturen und bisherige Erfolge Veränderungen im Weg stehen.

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Daniela könnte man eigentlich für das zentrale Thema meines Blogs "How To Build A Tech Company" als eine Art universellen Joker befragen: Als studierte Wirtschaftsingenieurin mit Schwerpunkt Maschinenbau und anschließender Promotion in Informationstechnologie besteht ihr Mindset schon qua Ausbildung aus der Kombination von Hardware und Software. Dieses Wissen hat sie auch bei Daimler zur (digitalen) Brückenbauerin zwischen den Produkt- und Softwareentwickler*innen werden lassen. Nun bringt sie ihr Knowhow in ihr eigenes Unternehmen ein: Mit der iuhhoo GmbH entwickelt sie digitale Geschäftsmodelle, unter anderem die Videoplattform AIVITEX: Handwerker können so Probleme und Aufträge mit Hilfe künstlicher Intelligenz aus der Ferne analysieren bzw. direkt lösen.

Daniela, wie nimmst du aktuell die Bereitschaft zur digitalen Transformation in der deutschen Industrie wahr?

Es gibt mittlerweile sehr viele Bemühungen, Programme und Initiativen, um die digitale Transformation auf allen Ebenen voranzutreiben. Doch zwei Dinge lassen diese Effekte leider häufig verpuffen: Erstens sind die Notwendigkeit und Dringlichkeit zur digitalen Veränderung nicht überall erkannt und verinnerlicht, denn die aktuellen Umsätze der Unternehmen sind noch stabil und bestehende Prozesse laufen wie gewohnt, ob mit oder ohne Digitalisierung. Zweitens haben die bisherigen beachtlichen Erfolge der Erfinder- und Ingenieursrepublik Deutschland die Unternehmen und große Teile der Bevölkerung risikoavers oder zumindest recht gelassen werden lassen.

Warum tun sich deutsche Unternehmen so schwer mit der digitalen Transformation?

Es geht um eine ökonomische Abwägung: Die digitale Transformation erfordert in den meisten Fällen eine hohe Anfangsinvestition und der “Return on Investment” ist zu diesem Zeitpunkt nur schwer abzuschätzen. Insbesondere als Innovationstreiber einer Branche voran und damit ins Risiko zu gehen, macht vielen Unternehmer*innen eine solche Entscheidung schwer. Darüber hinaus sind in den meisten Unternehmen die Geschäftsführer*innen aus dem produzierenden Gewerbe und nicht mit den Methoden von Softwareentwicklung und der Funktionsweise von digitalen Geschäftsmodellen, wie z.B. Marktplätzen und Plattformen, vertraut. Sie vergleichen daher die neuen Ideen mit herkömmlichen Geschäftsmodellen, bei denen die „Unit Economics“ häufig proportional zu den Produktionskosten verlaufen und damit einfacher kalkulierbar sind. Daher entscheiden sie sich dann im Zweifel gegen neue, digitale Geschäftsmodelle.

Wie kann die Ambidextrie bzw. Beidhändigkeit in Unternehmen geschafft werden?

Für bestehende Unternehmen wird es immer eine Balance sein, das bestehende umsatzstarke Geschäft zur Unterstützung von Innovationen einzusetzen und dieses ggf. sogar kannibalisieren zu lassen. Der häufig unterschätzte, aber große Vorteil etablierter Unternehmen ist, was häufig auch als “the unfair advantage” bezeichnet wird: Die Kundenbasis muss nicht erst zu hohen Kosten neu aufgebaut werden, sondern ein direkter Zugang zu einem etablierten Markt besteht bereits.

Welche Hürden und Tücken gilt es darüber hinaus zu überwinden, um mehr Bewusstsein und Notwendigkeit sowie Bereitschaft zur Veränderung im Allgemeinen zu schaffen?

Ich würde bei der Ausbildung ansetzen. Die Digitalisierung ist bereits heute und in den zukünftigen Generationen eine der maßgeblichen Kernkompetenzen im Berufsalltag und sollte in nahezu jedem Ausbildungspfad verankert sein. Dies gilt insbesondere auch für das Zusammenwachsen der Ingenieur- und Digitalwissenschaften, bestes Beispiel hierfür ist die Automobilindustrie. In einer sich immer schneller verändernden Welt gilt es, mit neuen Rahmenbedingungen und Technologien umzugehen und das Neue kreativ mit bestehenden Geschäftsmodellen zu verknüpfen. Lebenslanges Lernen ist insbesondere für Unternehmer*innen wesentlich, um weiter kompetent entscheiden zu können. Für die Bereitschaft zur Veränderung hilft auch immer wieder der Blick über den Tellerrand. Ich bin zwar kein Freund von Gruppenausflügen ins Silicon Valley oder nach Shenzhen, aber selbst ich bin immer wieder überrascht, wie schnell sich neue Geschäftsideen flächendeckend im Alltag, insbesondere in China, durchsetzen. Noch ein Tipp sind diverse Teams. Sie erzielen nachweislich bessere Ergebnisse und trainieren zusätzlich den ständigen Perspektivwechsel und damit eine grundsätzliche Offenheit für Neues.

Wie lässt sich die deutsche Ingenieurskunst mit der Kultur und Agilität einer Software-basierten Company kombinieren?

Ingenieur*innen liefern - zu Recht - ihre Produkte erst dann aus, wenn sie hundertprozentig sind. Softwareentwickler*innen verfolgen dagegen einen anderen Ansatz: Über die schnelle Auslieferung eines MVP (Minimal Viable Product) am Markt, erhält man frühzeitig Feedback und entwickelt das Produkt in vielen Schritten immer weiter. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Kombination aus Perfektion und Geschwindigkeit eine echte Erfolgsmischung ist. Beiden Kulturen - wenn man das so sagen will - ist die Begeisterung für “Innovation” gemein und darauf lässt sich in gemischten Teams aus Ingenieur*innen und Softwareentwickler*innen erfolgreich aufbauen.

Was braucht es, um Ingenieur*innen bestmöglich in dem Wandlungsprozess von einem reinem auf Hardware basierenden zu einem auf Software basierenden Unternehmen mitzunehmen?

Es ist eine extrem hohe Lernbereitschaft seitens der Ingenieur*innen vorhanden. Das Interesse an neuen, auch digitalen Technologien ist groß. Ingenieur*innen als Berater*innen oder Projektteilnehmende in Innovationsprojekte zu holen, ist aus meiner Sicht ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg des Gesamtvorhabens. Sobald man ein gemeinsames Ziel verfolgt, schwinden auch die Berührungsängste. Hier ist es nur wichtig, dass Entscheider*innen bei der Zielsetzung zu Innovation und Geschwindigkeit ermutigen.

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Mein letzter Gesprächspartner Andreas Boes sagte, dass es für den Transformationsprozess Physiker*innen brauche, die schon durch ihre Ausbildung einen holistischen Blick haben und mit dem Ungewissen arbeiten. Welche Berufsgruppe braucht es deiner Meinung nach noch, um die Transformation von Unternehmen bestmöglich zu verwirklichen?

Physiker*innen sind wahrscheinlich die geheime Allzweckwaffe, da sie unabhängig von aktuellen Technologien Probleme abstrahieren und Lösungsansätze entwickeln können. Darüber hinaus sollten Personen, die den Wandel inhaltlich vorantreiben können und bereits Expertise in diesem Zukunftsbereich haben, dazu geholt werden. Wenn ich mich als Unternehmer*in beispielsweise auf den Elektro-Antrieb fokussieren möchte, gelingt mir das schneller, wenn ich Personen mit dieser Erfahrung ins Projekt hole. Veränderung ist für den Einzelnen häufig mit Unsicherheit verbunden. Der Transformationsprozess muss deshalb aktiv gestaltet und der Wandel sollte von Change- und Personalexpert*innen begleitet werden. Gerade die Entscheider*innen, die das neue Ziel und ggf. auch den Weg dorthin schon bildlich vor Augen haben, müssen sich bewusst sein, dass die meisten Kolleg*innen und Mitarbeiter*innen noch am Anfang dieses Prozesses stehen und genau dort abgeholt werden müssen.

Wie lassen sich in Unternehmen Innovationen fördern und umsetzen?

Folgende Vorgehensweise hat sich bewährt: Im Kleinen starten und erste, schnelle Erfolge möglich und sichtbar machen. Außerdem mit einer Gruppe starten, die begeistert von den neuen Themen und deren Möglichkeiten ist. Dann ist das Risiko für das Unternehmen minimiert und man kann sich schrittweise an neue Technologien und Geschäftsmodelle herantasten. Über Innovationen entschieden wird in den meisten Unternehmen immer noch im Top-Management. Um der zukünftigen Ausrichtung eines Unternehmens Rechnung zu tragen, müssen auch mehr Entscheider*innen aus eben diesen zukünftigen Kernkompetenzfeldern, wie z.B. in der Automobilindustrie der Softwareentwicklung, rekrutiert werden. Dadurch wird die digitale Transformation weiter beflügelt.

Sind Innovationslabs die richtige Maßnahme, damit Unternehmen sich der Transformation annähern?

Es ist das Beste für Unternehmen, Innovationslabs außerhalb der Unternehmensstrukturen zu gründen und den Mitarbeitern dort größtmögliche Freiräume zu verschaffen. Denn jede*r von uns kann wohl die folgenden Sätze unterschreiben: Tagesgeschäft killt Innovation, Übergriffigkeit ist der Feind jeder Skalierung. Es ist wesentlich einfacher, etwas auf der grünen Wiese zu bauen, mit so viel Freiheit und Unabhängigkeit wie möglich, als es direkt fest im Unternehmen zu verankern. Auch hier gilt: Kolleg*innen aus den bestehenden Strukturen möglichst von Beginn an einbinden. Sie sind wichtige Brückenbauer, wenn es zurück in den Konzern und dann in die Skalierung geht.

Sollte Softwareentwicklung Deiner Meinung nach zwingend immer inhouse stattfinden?

Die Kernkompetenz, die das Alleinstellungsmerkmal eines Produktes am Markt erzeugt, sollte immer, wirklich immer, im eigenen Unternehmen liegen. Denn nur so lässt sich die Marktführerschaft bestmöglich kontrollieren. Beispiel Automobil: Bisher war der Motor das entscheidende Produktmerkmal im Fahrzeug. Dementsprechend galt es, die besten Entwicklungsingenieur*innen im eigenen Unternehmen zu haben. Das Fahrzeug wird mehr und mehr zum Smartphone auf Rädern, die Software wird somit zum Werttreiber im Fahrzeug. Softwareentwicklungskompetenz intern aufzubauen, ist folglich eine der wichtigsten Transformationen in der Automobilindustrie, die gelingen muss, um nicht Hardwarelieferant für große amerikanische oder chinesische Softwaregiganten zu werden.

Du hast die Initiative Leadership 2020 bei Daimler mitgeprägt, bei der Anstöße für die Kulturtransformation des Unternehmens entwickelt wurden. Welche Learnings hast du daraus mitgenommen?

Es klingt so einfach: Wenn ich mit einer Vision, einen Sinn und Zweck vermitteln kann und meinen Mitarbeiter*innen weitreichende Verantwortung übertrage, folgt der Erfolg durch die höhere Einsatzbereitschaft der Mitarbeiter*innen häufig auf dem Fuße. Leider haben wir die Tendenz, wenn es Probleme gibt, in alte Muster wie z.B. ins Micromanagement zurückzufallen. Diesem Drang zu widerstehen und stattdessen als Mentor*in bzw. Coach*in Unterstützung zu signalisieren, führt dann zu tatsächlichem Empowerment, einer wesentlich höheren Motivation der Mitarbeiter*innen und einem Umdenken im Unternehmen.

Welche Unternehmen können Deiner Meinung nach als Vorbilder der Transformation betrachtet werden?

Volkswagen macht aus meiner Sicht derzeit vieles richtig. Sie treffen mutige Entscheidungen und fokussieren sich stark: Zuerst mit der Fokussierung auf den Elektro-Antrieb, mittlerweile auf den Aufbau von Kernkompetenzen im Bereich Softwareentwicklung. Diese konsequente Fokussierung reduziert die Komplexität in der Organisation, erhöht die Umsetzungskraft und erzeugt Geschwindigkeit. Die skandinavischen Länder sind Vorreiter in Sachen Digitalisierung und schaffen damit Hand-in-Hand mit Unternehmen ein hervorragendes Innovationsklima. Auch hier gilt es für die politischen Entscheider*innen, Weichenstellungen vorzunehmen, auf denen Unternehmen mit ihrer digitalen Transformation aufbauen können.

Vielen Dank für das spannende Gespräch, liebe Daniela.

Den englischen Beitrag zum Interview gibt es auf der Medium Plattform "How To Build A Tech Company".

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How to build a tech company?

Eine Branche im Wandel: Ich möchte hier mit Euch, aber auch mit internationalen Expert*innen darüber diskutieren, welche Art der Organisation und Abläufe es benötigt, um moderne, innovative Produkte zu erschaffen, die qualitativ hochwertige Hardware mit agilen smarten Softwarelösungen vereint. Ich möchte herausfinden, wie wir gemeinsam deutsche Ingenieurskunst ins digitale oder gar autonome Zeitalter übertragen können – deshalb stelle ich mich in den nächsten Monaten mehr denn je die Frage: „How to build a tech company?“.

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