How to develop an island?
Eine paradiesische Insel, freundliche und auffällig sonnige, unbekümmerte Menschen. Wunderbare Strände, einladendes Klima. Das schreit doch nach: „Development“!
Dieses Development einer Insel wie es hier genannt wird, macht mich betroffen und inspiriert dann doch und ist ein Beispiel, welche Auswirkung Downloading (ein Begriff der Theory U) in Verbindung mit eingeschränktem Möglichkeitssinn in der Realität haben. Und welcher Zerstörung von Natur, aber auch Kultur und zu welchem Verlust an Potenzial es führt, wenn wir uns an bekannten Denkmustern entlanghangeln.
Konkret geht es um Pho Quoc, eine vietnamesische Insel „im Aufbruch“, wie das restliche kommunistische Land auch. Eine Insel die, wie es auf vielen riesigen Schildern, meist neben Hotelbaustellen und Autobahntrassen zu lesen ist, nun „developed“ wird. Aber es könnte genauso irgendwo anders auf der Welt sein, wo die Logik Gegenwart, die Denkschablonen der Konzerne, Investoren, Politiker und planende Experten auf ungenutztes Potenzial trifft, das nach Nutzung schreit.
Die Formel um aus Sand Gold zu machen:
- Kaufe ein riesiges Stück unzerstörte Natur mit Sandstrand und Sonnenuntergang (achte auf den persönlichen Nutzen der lokalen Machthaber),
- klotze in wenigen Monaten Infrastruktur nach westlichem Standard in die Landschaft, inkl. Flughafen mit Direktflügen zu westlichen und östlichen Metropolen,
- baue 100% erwartungskompatible Konsummöglichkeiten, inkl. Vergnügungspark mit afrikanischen(!) Tieren und einem neben den Palmenblättern und blechgedeckten Hütten besonders bizarr anmutenden Neus-Schwanstein-ähnlichem Schloss und
- trainiere Human-Software, also die Einheimischen auf den westlichen Standard.
Dann noch schnell einen Topf unter den Geldhahn gestellt, fertig. Denn wer weiß, wie lange der touristisch-gehypte „Geheimtipp“ seine „Ursprünglichkeit“ und den Preisvorteil behaupten kann.
Die Erfolgsstrategie: Gib dem Touristen, was er kennt und so erwarten KANN, keine Experimente.
Downloading 1: Die Kunden
Denn das ist es, worauf wir Touristen ein Recht haben, wenn wir unser sauer verdientes Geld hierlassen sollen. Wir wollen wie gewohnt, nur eben mit Sandstrand (auch wie gelernt) unsere bekannten Muster leben. Hygiene, Einkaufen, Essen, nur nichts Ungewohntes. Außer natürlich, wenn es explizit und ausgewiesen „local“ und „authentic“ und typical sein darf, wobei auch hier die Erwartung des Authentisch-Fremden das Echte oft in den Hintergrund drängt.
Um unsere Erwartungen nicht zu strapazieren, müssen hier beispielsweise unübliche Gehsteige zum Prominieren und Einkaufen her. Und breite 4-spurige Straßen, die aktuell fast nur von Motorrollern befahren werden. Auf beiden Richtungsfahrbahnen in beide Richtungen. Die teureren Appartements sind abgeschlossene Downloading-Burgen. Klima, Architektur – schwedisch/britisch/französisch/russisch?. Nicht nur amerikanische Kettenhotels wissen wie Erfolg aussieht.
Auch wenn sich jetzt viele ungerecht behandelt fühlen oder sich natürlich nicht zu dieser Gruppe zählen wollen. Anderes ist anstrengend. Ständiges orientieren (Kann man das essen?) Suchen (wo bekomme ich…?), oder den Sinn einer Sache nicht verstehen (Ist das Soße oder zum Händewaschen oder ein Tischdekor, oder vom vorigen Essen übriggeblieben?).
Manchmal wird mein Individualurlaub sehr anstrengend und ich wünsche mich in eine Downloading-Oase zur Erholung. Soll ja eigentlich Erholung sein, oder?
Downloading 2: Die Bewohner
Die Bewohner sind vom „Development“ der Insel nach westlichem Muster begeistert. Vorerst. Arbeitsplätze, Geld, westlicher Wohlstand, stabile Strom- und Wasserversorgung, asphaltierte Straßen (Wer hier ständig mit dem Motorroller 1000mal blitzschnell zwischen knietiefem Schlammloch oder nicht nur Nerven aufreibendem Rüttelstreckenstück hin und her pendelt, lernt das 100%ig verstehen), Satellit und Kabel in jeder Hütte, vom Mobiltelefon für jeden Jugendlichen ganz zu schweigen. Ein besonders bizarres (schon wieder) Erlebnis war es mitten in einem Dorf, wo wegen Matsch und Getier die Blechhütten meist auf Stelzen stehen, einigen PokemonFängern zu begegnen. Wortlos starren sie in ihre Geräte, anstatt wie hier sonst üblich, gemeinsam rund um einen Tisch zu sitzen, zu essen, zu reden und zu spielen. Der westliche Lebensstil rückt in greifbare Nähe, zumindest für die, die es sich leisten können. Also jene, die bei der Development-Show mitmachen (dürfen). Ich wäre allein schon wegen der besseren Straßen dabei!
Downloading 3: Die Investoren
Trotz der hübschen Social-, Environmental- Responsibilities, oder Ethik und sonst was Erklärung, die sich moderne Unternehmen gerne verpassen, hat sich seit den Tagen der Goldgräber nichts geändert. Wie im Rausch wird „entwickelt“, geschürft und schnell der eigene Claim abgesteckt. „Wer zögert, gibt nur einem andern die Chance. Also nicht lange gefragt und nachgedacht!“ Zweiter sein, das sieht der Shareholder nicht gerne. Und der ist schließlich der Boss der Bosse.
So greifen alle Räder in einander, jeder im Unternehmen beugt sich der ökonomischen Rationalität, die man zwar nicht will, aber was kann man schon tun. 1000 Mal gehört und erlebt und selbst natürlich auch munter eine Runde mitgeschwommen.
Die beschriebenen Phänomene sind natürlich nicht auf die Entwicklung eines Inselsystems beschränkt. Sie finden täglich und überall statt. Der kleine Kosmos dieser noch kaum zerstörten Insel macht es nur drastischer erlebbar, wie wir uns tagtäglich die Welt und unsere Zukunft zubauen. Gedanklich und als Folge davon real. Mit Asphalt und Beton, mit Entfremdung und Zwang. Wir wollen es nicht und tun es doch.
Downloading, auch wenn wir bewusst unsere Chancen verpassen, warum?
Warum wählen wir so gerne den bekannten Weg, auch wenn er uns am eigentlichen Ziel vielleicht vorbeiführt. Ist es Bequemlichkeit, Angst? Lieber in einer dunklen aber bekannten Kiste spazieren gehen, als ins Licht der neuen Möglichkeiten blinzeln?
Wir haben Angst. Und die wollen wir in den Griff bekommen, vermeiden, vorsorgen, wegschauen, kontrollieren. Viele unserer gesellschaftlichen wie auch organisationalen Strukturen und Systeme sind Angstvermeidungssysteme. Denn das menschliche Gehirn ist phantasiebegabt wie kein zweites auf diesem Planeten. Wir können uns ausmalen, was passieren kann und wollen uns schützen, die Realität begrenzen, kontrollieren, es gar nicht so weit kommen lassen. Darum lieben wir Routine und eine geordnete Wirklichkeit und hassen das Ungleichgewicht das Neues immer auch bedeutet.
Und wir sind effizient und darum Irritations- und Disruptionsfaul. Lieber fünf einmal gerade sein lassen, als das ganze mühsam geordnete Bild von Wahrheit und Wirklichkeit und unserer Stellung darin neu aufbauen müssen. Meist ist es falscher Alarm, also wozu den Denkapparat unnötig anwerfen. Eben.
STOP. Stop Downloading?
Diesen erste Schritt nennt Otto Scharmer im Rahmen der Theory U, um vom Reproduzieren des immer Gleichen (Downloading) ins längst mögliche Neue zu finden. Aber wer soll das, außer ein paar rechtschaffene Moralapostel in der schwülen Sommerhitze wirklich wollen? Die Vorteile der einzelnen Gruppen im Alten zu verbleiben, sind ja wirklich nicht zu verachten, ja sicher es wäre schon wichtig/gut/vernünftig/nachhaltig/ehrenwert/sinnvoller, doch da übermannt mich der mittägliche Schlaf und ich gleite sanft ab in meine Träume…
Vor mir liegt eine ferne paradiesische Insel, wie wunderbar. Aus einiger Entfernung dringen Stimmen an mein Ohr. Das interessiert mich, ich folge meiner Neugier, schaue mich um, schön ist es hier. Ich treffe auf ein Gruppe unterschiedlich gekleideter Menschen, die gut gelaunt, fasst ausgelassen miteinander sprechen. Sie scheinen von ihren jeweiligen Gesprächsbeiträgen und Ideen fasziniert, ein Wort gibt das andere, bis mich einer von ihnen erblickt und mit einer einladenden Geste in den Kreis bittet. Je näher ich komme desto mehr verstehe ich den Sinn des anfänglichen Stimmengewirrs. Es geht – natürlich – um die Zukunft, was alles werden könnte, um Träume, um Wünsche, um Möglichkeiten, ja um die Sehnsüchte, die jede und jeder einzelne in sich trägt, die hier mit wertschätzender Anteilnahme im Kreis aufgenommen werden. Die sich manchmal wie von selbst verbindenden Bilder motivieren die Gesprächsrunde zu immer neuen Höhenflügen. Immer mehr scheint greifbar und möglich zu werden. Der Horizont der möglichen Zukünfte der Zukunft der Insel wird reicher, kaum fassbar ,welche Möglichkeiten sich eröffnen. Plötzlich läutet es, man verabschiedet sich hoffnungsfroh, und beschwingt, nur ich bleibe verstört, eigentlich enttäuscht zurück. Was denn jetzt? Das war es, wohin gehen denn alle, was wird aus den Ideen, gibt es ein Protokoll? Das Läuten wird immer lästiger, immer unüberhörbarer! Mein Telefon läutet und fordert meine wache Aufmerksamkeit. Ich habe das alles nur geträumt…
Ja, das wäre schön, wenn es so einfach wäre. Vielleicht finden Sie meinen Ausflug auch ein bisschen dick aufgetragen, ja kitschig und eben unrealistisch, naiv, eine pure Ausflucht, doch irgendwie Zeitverschwendung. Willkommen in Utopia!
Wo unser bisheriges geradliniges, verantwortungsvolles, problemzentriertes, ernsthaftes, realistisches Denken nicht mehr weiter hilft, muss etwas anderes her, um eine ganz neue, ganz andere Antwort auf die ungewohnten Anforderungen der Disruption unseres Zeitalters zu ermöglichen.
Stop Downloading! Let go!
Statt Angst: Sicherheit, Vertrauen und Wertschätzung. Statt Mühe, Entsagung und verantwortlicher Zurückhaltung: Lust, Leichtigkeit und Spiel mit Möglichkeiten. Kann, aber auch darf Disruption und Transformation so leicht sein? Nein, sie muss es sogar!
Und statt dem mühsamen Aushandeln von Kompromissen und dem zerstochern von Problemen nur noch die Möglichkeit der Zukunft vor Augen!
Stellen Sie sich vor, Sie bekommen die Chance eine Insel aus dem Ideal heraus zu gestalten. Das zu verwirklichen, wonach Sie sich sehen, was Ihre naiven Wünsche ans Leben an die Welt sind? Und diese Gedanken werden von niemanden verlacht oder zurechtgestutzt. Sie versuchen mit anderen Menschen gemeinsam, vertrauensvoll dem emergierenden Potenzial der Zukunft, dem sich erneuernden Strom des jetzt Möglichen, auf die Schliche zu kommen. Jede/r ein Botschafter dieser nun möglichen neuen und anderen Zukunft.
Dann würdem Kunden (Touristen), Einheimische, Unternehmer und Interessierte in diesem Prozess geteilter gemeinsamer Phantasien gemeinsam dem eigentlichen Potenzial entgegenträumen und lustvoll Utopien austauschen die sich Schritt für Schritt ganz von selbst zu einer organisch kristallisierenen Vision verdichtet.
Das klingt jetzt dann doch zu kitschig, zu esoterisch, zu einfach, zu was weiß ich, einfach falsch, oder?
Zukunftsträume, Schäume oder Potenzialahnung?
Doch die Entwicklung von Utopien ist ein Weg der bereits in der Antike zu radikal neuem Denken über die Zukunft verhalf und den kollektiven Möglichkeitshorizont erweiterte. Was dieser heute oftmals abgelehnte Prozess in Zeiten der Disruption und dringenden fundamentalen Enneuerung bietet, beeindruckt, sind es doch genau jene Beiträge die Nachdenken, Analysieren, Problemfokus, Diskutieren nicht bieten kann, geht es doch stets die Auflösung des Wahrnehmungs- und Wirklichkeitsdilemmas die undenkbares Potenzial unsichtbar bleiben lässt, die uns in der bestehenden Geschichte von möglicher (und unmöglicher) Zukunft fixiert. Downloading also future as usual!
Wann verlässt uns als das Vertrauen in uns, einander, unsere Möglichkeiten? Wann wird es zu schön, um wahr zu sein und wir beginnen den – „das geht nicht“, „das wird nichts“, „man muss entscheiden“, „die Unterschiede sind zu groß/ den kleinsten gemeinsamen Nenner-Kompromiss“ oder den „bleiben wir doch realistisch“ Modus? Wann brechen wir unseren Landanflug auf die Piste der neuen Zukunft ab und starten mit der Downloading-Brille durch, ziehen die Wirklichkeitserzeugungsmaschine, unsere Phantasie, wieder hoch, ins Alte, Bekannte und Vertraute?
Die aktuellen Krisen sind keine Krisen der Möglichkeit, sondern Krisen unseres Vertrauens ins Mögliche.
Liebe Grüße von der Trauminsel, Rainer Peraus