Humble Leadership - Mit demütigen Führen zu Leistung und Ethik
Spitzenmanager charakterlich im Focus - Gastbeitrag von Univ.-Prof. Dr. Dietrich von der Oelsnitz
„All leaders face the challenge of how to be both: ethical and effective in their work“.[1]
Den Manager- und Gründerstars unserer Tage ergeht es medial deutlich besser als sonst in der Dreiecks-Beziehung Öffentlichkeit – Medien – Geschäftsführung üblich: Die gesellschaftliche Wahrnehmung innovativer Gründer und Lenker ist in den letzten Jahren wieder milder, ja bisweilen geradezu freundlich geworden. Steve Jobs, Jeff Bezos oder Elon Musk werden mehrheitlich als geniale Tüftler betrachtet, als kreative Schöpfer neuer Branchen und Geschäftsmodelle. Diese Manager-Ikonen werden weltweit über die Grenzen ihrer Arbeitswelt hinaus idolisiert wie sonst nur Popstars oder Sporthelden. Gelegentlich schaffen sie es sogar bis in die Klatschspalten bunter Lifestyle-Magazine.
Andernorts beginnen dann allerdings auch wieder die Zweifel: Sind unsere Manager zu gierig, in ihrer persönlichen Inszenierung nicht zurückhaltend genug? Flugs ist es mit der Herrlichkeit dieser Berufsgruppe auch schon wieder vorbei; es fallen Begriffe wie Abzocker, Amigo, Gauner. Denkmäler werden wieder gestürzt. Nur: Dem Denkmalsturz geht eben der Personenkult voraus. Wer aber hat diesen inszeniert? Die Manager? Die Medien? Die unwissende Öffentlichkeit? Gar die Mitarbeiter dieser Bürostars selbst? Eines bleiben all diese Leader für die Öffentlichkeit jedoch immer: interessant!
Und eben schillernd. Denn die persönlichen Exzesse und gelegentlich sogar psychopathischen Züge einiger Topmanager wurden zu recht als mitursächlich für die letzte große Wirtschaftskrise gesehen.[2] In einer Art Gegenbewegung wird daher seit etwa zehn Jahren in den USA der eher leise und nachdenkliche Entscheider propagiert; also eine Person, die frei ist von den oft egomanischen Zügen vieler Topentscheider. Jean-Marie Messier, der frühere Vorstandsvorsitzende von Vivendi, der gelegentlich E-Mails mit „J6M“, eine Abkürzung für Jean-Marie Messier Moi-Même, Maître du Monde („Meister der Welt“), unterzeichnete, oder auch Dennis Kozlowski, ehemaliger Vorstandsvorsitzende des Mischkonzerns Tyco, der sich 6000 US-Dollar für einen Duschvorhang und 17.000 US-Dollar für eine Reisetoilette durch den Verwaltungsrat bezahlen ließ, gehören da wohl eher nicht zu dieser Gruppe. Und Jack Welch, der sich einst bei General Electric konsequent jedes Jahr von den 10% leistungsschwächsten Mitarbeitern trennte (er nannte sie lemons) auch nicht.
Ist es Zufall, dass auch aktuell in nicht wenigen Vorstandsetagen nach wie vor Gier und Machthunger die Moral zu übertrumpfen scheinen? Da ist u.a. der spektakuläre Skandal um die Insolvenz des Münchner Zahlungsdienstleisters Wirecard, dessen Wert in kürzester Zeit unter den Augen der Aufsichtsbehörde verpufft ist. Schlanke 20 Milliarden Euro Anlegergeld haben sich in Luft aufgelöst und so ganz nebenbei die größte Firmenpleite der Nachkriegsgeschichte verursacht. Ob der derzeit inhaftierte Gründer Markus Braun von den diversen Luftbuchungen gewusst hat, muss noch vor Gericht geklärt werden. Die staatliche Finanzaufsicht hat dabei nicht nur jahrelang weggeschaut, sondern ausländische Investigativ-Journalisten sogar mit einer Klage überzogen. Was bleibt, ist ein für den Finanzplatz Deutschland menetekelhaftes Desaster mit zugleich hohem Symbolwert.
Typische Kennzeichen derart geprägter Personen sind übertriebene Risikofreude, die Neigung zur Außendarstellung und Selbstüberschätzung sowie – leider – ein partiell ausbeuterischer Egoismus. Aber seien wir ehrlich: Das sind Manager-Eigenschaften, die in einer Zeit, in der unser globales Wirtschaftssystem geprägt ist durch Fusionen, aggressive Markterweiterungen, Massenentlassungen und radikalen technologischen Wandel, durchaus nützlich sein können.
Weitere Beispiele überhöhter Selbstwahrnehmung mit handfesten Täuschungsabsichten ließen sich auch in Gestalt des einstigen Karstadt-Chefs Thomas Middelhoff oder des ehemaligen Volkswagen-CEO Martin Winterkorn erzählen.[3] Destruktive Eigenschaften von Managern oder Spitzenpolitikern sind offenbar kein seltenes Phänomen. Und doch – oder gerade deshalb? – sind diese Personen in ihre führenden Positionen gelangt und waren zumindest zeitweise äußerst effektiv. Offenbar vertrauen wir nicht selten den Falschen. Letztlich benötigt man jedoch gar nicht unbedingt knackige Geschichten von Bilanzfälschung, Datenmissbrauch, klammheimlicher Abgasmanipulation oder Mobbing, um die Frage nach einer erneuerten Führungskultur oder gar einem komplett veränderten Führungsethos zu rechtfertigen. Denn offensichtlich hat sich etwas verändert in den westlichen Wohlstandsnationen.
EIN NEUES DENKEN
Ausgehend von den USA zieht möglicherweise auch in Europa bald ein neues Führungsethos ein: Humble Leadership – am besten übersetzt mit leiser, bescheidener Führung. Angesichts des sich dramatisch verschärfenden Fachkräftemangels – der zugleich auf radikal veränderte Führungserwartungen der jungen Arbeitnehmergeneration trifft – treten wir unweigerlich in eine neue Zeit ein. Die heutigen Beschäftigten der sog. Generationen Y und Z erwarten bekanntlich eine deutlich stärkere Rückbindung an den Sinngehalt ihres beruflichen Tuns. Herausfordernde Probleme und spannende Projekte sind wichtiger als formale Titel. Der vom US-Coaching-Anbieter Better Up erstellte „Meaning and Purpose at Work Report“, der 2018 über 2000 Amerikaner aus 26 Branchen befragt hat, ergab zum Beispiel, dass neun von zehn Befragten „money“ gegen „meaning“ eintauschen würden – und dabei durchschnittlich bereit waren, 23% ihres zukünftigen Gehalts zu opfern.[4] Dies entspräche immerhin ca. 20.000 US-Dollar im Jahr.
Zugleich fordern immer mehr Arbeitnehmer ein ethisch unterlegtes Managerhandeln ein. In der 2020er Umfrage des State of Moral Leadership in Business Report forderten 86% der Befragten von ihren Vorgesetzten nachdrücklich „moral leadership“ ein – und nur 7% meinten im Gegenzug, dass ihr direkter Vorgesetzter durchgängig nach ethischen Grundsätzen handeln würde.[5] Wieder einmal zeigt sich: Mehr Gehalt zu bekommen ist für die meisten schön, aber letztlich kein intrinsischer Motor.
Im Gegenzug erhalten, wie beschrieben, individuelle Freiheitsgrade auch in der beruflichen Sphäre eine immer größere Bedeutung. So fordern viele Mitarbeiter immer nachdrücklicher flachere Hierarchien, freie Ortswahl und selbstbestimmtes Arbeiten mit Zeitautonomie ein. Und sie erwarten eine andere Führungshaltung, in der Peer Groups und sog. Matrix-Teams den herkömmlichen Amtsträger ersetzen. Das bedeutet: Führungskräfte erhalten ihren realen Wert nur noch durch die Qualität ihrer Beziehungen zur Workforce. Sie müssen noch stärker zum helfend-unterstützenden Coach werden, d.h. in der Lage sein, zu ihren Anvertrauten eine persönlich hochwertige Beziehung aufzubauen. Dies umfasst vor allem die Fähigkeit zur Selbsterkenntnis, zur eigenen Belehrbarkeit, zur Anerkennung anderer und Vertrauensfähigkeit.[6] Führungskräfte, die nicht radikal umdenken oder diesen persönlichen Ansatz nicht hinbekommen, werden scheitern.
Empfohlen von LinkedIn
Das richtet den Scheinwerfer auf unser Thema: bescheidene und selbstreflektierte Leader, denen man vertrauen kann. Denn die Machtbalance zwischen den Beschäftigten und ihren Vorgesetzten wird sich weiter verschieben. Kurz gesagt: Nicht die Führungskräfte werden knapp, sondern die exzellenten Mitarbeiter. Ich postuliere daher: Leadership-Demut ist gefragter denn je!
Über den Autor - Univ.-Professor Dr. Dietrich von der Oelsnitz
Studium der Wirtschaftswissenschaften und der Wirtschaftspsychologie an der Technischen Universität Braunschweig sowie der Georg-August-Universität Göttingen. 1993 Promotion. 1999 Habilitation. Heute Leiter des Instituts für Unternehmensführung und Organisation an der Technischen Universität Braunschweig. Arbeitsschwerpunkte: Strategisches Management, Business-Kooperation (Unternehmensallianzen und Teams) sowie Leadership. Daneben Beratungsaktivitäten vor allem in der Automobilindustrie sowie im Dienstleistungsbereich. Sein neues Buch „De/MUT“ befasst sich mit den aktuellen Veränderungen unserer Arbeitswelt und einem sich daraufhin ergebenden „neuen“ Führungsethos.
Quelle: leadership-insiders.de
________
Sie interessieren sich für die Themen Leadership, Führung, New Work, Persönlichkeitsentwicklung, dann stöbern Sie gerne in unserem Blog
________
Aktuelle IT Jobs / Projekte / Interim Management
für Experten, Vertriebs- und Führungskräfte finden Sie in unserem Job-Portal
Sie können uns jemanden empfehlen?
Dann sichern Sie sich eine Empfehlungsprovision von 600 €. Hierfür muss Ihr Kandidat Sie in seiner Bewerbung namentlich erwähnen. Hat Ihr Kandidat die Probezeit erfolgreich bestanden, überweisen wir Ihre Provision auf Ihr Konto.