Was ich von Angela Merkel lernte – und was ich nicht von ihr lernen konnte.
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Was ich von Angela Merkel lernte – und was ich nicht von ihr lernen konnte.

In wenigen Tagen wird die Frau, die 16 Jahre die Geschicke unseres Landes lenkte, ihren Platz räumen. Sie geht in Rente. Manchen fällt der Abschied schwer, andere können es kaum erwarten, dass es endlich mit einem anderen Menschen an der Spitze des Landes weitergeht.

Auch mich haben 16 Jahren Angela Merkel geprägt. Wahrscheinlich jede und jeden von uns. Was konnte ich eigentlich von ihr lernen? Und was nicht? Es ist an der Zeit, das einmal für mich zu reflektieren.

Was ich von ihr lernen konnte? Sie zeigte sich Status- und Macht-Attributen gegenüber gleichgültig. Sie hat sich zu keiner stark polarisierenden Kommunikation hinreißen lassen. Sie war außenpolitisch stark, besaß ein hohes diplomatische Geschick. War unaufgeregt und besonnen. Und hat sich nicht von den „wilden Kerlen“ beeindrucken lassen. Sie hat gezeigt, dass man als Frau ganz oben mitmischen kann und respektiert wird.

Auch in unserem Land hat sie sich in der männlich geprägten Politik-Welt behauptet. Obwohl sie kein Buddy-Netzwerk hatte. Die wollten sie nämlich in ihren Zirkeln nicht dabeihaben. Also hatte sie eine ganze besondere Methode entwickelt, ihre Macht zu stabilisieren. Sie versuchte zum einen so ziemlich alle Kolleg*innen irgendwo in der Mitte abzuholen. Und schaute immer nach dem gemeinsamen Nenner. Dort positionierte sie sich.

Und sie holte sich die Rückendeckung des Volkes. Das gelang ihr, in dem sie auch hier wenig anecken wollte. Sie reagierte auf die Stimmungen und Meinungen im Volk und tat dann das, was der Mehrheit gefiel. Mit Hilfe von Politbarometer- und Forsa-Umfragen hielt sie sich an der Macht. Das belegen übrigens viele veröffentlichte Dokumente. Frau Merkel beauftrage teilweise bis zu 150 Umfragen im Jahr.

Sie regierte nach Stimmungen. Hier zwei Beispiele dazu:

  • Atomkraftwerke abschaffen und vermehrt auf erneuerbare Energie setzen? Nein. Dann kam Fukushima. Und die Umfragen zeigten, dass die Bürger*innen überwiegend gegen Atomkraft waren. Jetzt war für sie ein Abschalten der Kraftwerke wichtig und sie kam zügig in die Umsetzung.
  • Die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare einführen? Nein. Dann kamen die Umfrageergebnisse der Bürger*innen, die das mehrheitlich begrüßten. Nun war sie doch dafür.

Das hat mir nicht so gefallen. Mir hätte gefallen, wenn sie öfters gezeigt hätte, für was sie als Mensch wirklich steht. So wie 2015. Hier ließ sie sich von ihrem moralischen Anspruch leiten, als sie sich der geflüchteten Menschen annahm. Das hat nicht jeder/jedem gefallen. Doch sie war hier ganz bei sich.

Jetzt, zum Ende ihrer Kanzlerschaft sagt sie beispielsweise ganz offen, dass sie wohl doch eine Feministin sei. Während der 16 Jahre hat sie nicht allzu viel für Chancengleichheit getan. Jetzt erzählt sie ganz offen, sie wäre im Klima-Schutz gerne weitergekommen. Passiert ist in ihren 16 Jahren Kanzlerschaft nicht viel in Bezug auf die Klimakrise.

Warum artikuliert sie erst jetzt so konkret, was sie wirklich denkt und was sie gerne getan hätte? Ist es ihr erst jetzt - zum Ende ihrer Ära - nicht mehr so wichtig, was die Mehrheit im Volk von ihr hält? Weil sie genau jetzt nichts mehr zu verlieren hat?

Und das ist das, was ich nicht von Angela Merkel lernen konnte: Sie zeigte mir nicht, wie es gelingen kann, auch in der Politik als starke Persönlichkeit mit eigener Meinung zu wirken. Zu zeigen, wer man wirklich ist. Nach den eigenen Grundüberzeugungen zu handeln. Wenn man denn welche hat. Auch wenn es Ärger in den eigenen Reihen gibt. Oder das Volk mit Liebesentzug droht.

Und hier stellt sich mir nun die Frage der Fragen: Ist das eigentlich ein gesellschaftliches Problem? Nur noch auf „likes“ und „gefällt mir“ Buttons zu achten – und seine Wirk-Kraft mit dem Skalenwert „allzeit beliebt“ abzugleichen? Natürlich ist es sicher ein gutes Gefühl, auf der Beliebtheitswelle zu surfen. Doch ich hätte die Sorge, dass ich mir selbst damit nicht treu bleiben kann, wenn ich hauptsächlich so handle, das viele andere Menschen es gut finden. Ich lasse dann vielleicht außer Acht, welche Grundüberzeugungen ich habe und für was ich als Persönlichkeit stehe. Und das wäre schade. Denn eine diverse Gesellschaft besteht nun mal aus unterschiedlichen Persönlichkeiten.


24. September 2021 / Lilian Gehrke-Vetterkind

Cornelia Stenschke

weiterer-blick.de | @supervisorin

3 Jahre

Danke fürs Teilen Deiner Gedanken! 😊 Lilian Gehrke-Vetterkind

Stefanie Zeep 🙏🏻❤️

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3 Jahre

Lilian Gehrke-Vetterkind Deine Reflexion ruft nochmals wertvolle Facetten von Angela Merkel ins Gedächtnis. Für mich war es ihre Bescheidenheit und die Dialogfaehigkeir mit schwierigen Partnern. Darüber hinaus war sie überzeugte Europäerin und hat in der Flüchtlingspolitik Menschlichkeit gezeigt. Als Wissenschaftlerin hat sie anfangs richtig in der Pandemie gehandelt. Wir werden sie vermissen.

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