Industrie 4.0 Teil 1: What's in for you?
Ab unserem A&P-Newsletter Oktober 2015 versuchen wir, einen verständlichen und schnellen Einstieg in das Thema Industrie 4.0 zu vermitteln. Das Problem mit aktuellen Themen ist ja eigentlich immer dasselbe: Habe ich es mit einer Mode zu tun, also sozusagen „alter Wein in neuen Schläuchen“, oder gibt es da einen echten Trend, bei dem ich gegebenenfalls Geschäftsmöglichkeiten aufnehmen oder auch verschlafen kann?
Die erste Frage lautet also: Was bedeutet eigentlich Industrie 4.0?
„Industrie 4.0“ bezeichnet die aktuelle Phase der Industriellen Revolution, wie sie in der Mitte des 18. Jahrhunderts mit der Erfindung der Dampfmaschine begonnen hat. Seit Beginn der Moderne haben wir drei wesentliche Phasen erlebt. Jede hat über eine neue Schwelle der Industrialisierung geführt.
Phase 1 von 1750 bis 1870: Dampfmaschine und Webstuhl
Die Nutzung von Wärmeenergie und Maschinen ersetzt die menschliche Arbeit. Mit diesen Erfindungen hat das Zeitalter begonnen, das wir gemeinhin das Industriezeitalter oder „Die Moderne“ nennen.
Phase 2 von 1870 bis 1950: Elektrizität, Telegrafie und Standardisierung
Der Einsatzort von Energie oder Information wird unabhängig von der Erzeugung. In dieser Phase ist der Kern für die Branchen (Automobil, Elektrotechnik, Werkzeugmaschinen etc.) gelegt worden, die heute noch den Schwerpunkt unserer Industriegesellschaft in Deutschland bilden. Nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 erhielt das frisch gegründete (zweite) Deutsche Reich enorme Reparationszahlungen, so dass – auf Grundlage der preussischen Bildungsreformen zwei Generationen zuvor – der Sprung vom rückständigen Agrarland zur hochentwickelten Industrienation gelingen konnte.
Die Standardisierung ermöglicht die Massenproduktion. Das war die große Erfindung von Henry Ford. Ford setzte die theoretischen Erkenntnisse der Arbeitswissenschaft, die Frederik Winslow Taylor begründet hatte (daher der Begriff „Taylorismus“ für Rationalisierung durch Standardisierung, Spezialisierung und Arbeitsteilung), mit größter Konsequenz in der Automobilindustrie um und begründete so die Massenherstellung von billigen und hochwertigen Industriegütern.
Phase 3 von 1950 bis 2005: Mikrocomputer und Internet
An den universalen Einsatz von Computern privat und am Arbeitsplatz haben wir uns gewöhnt. Dabei ist es grade einmal eine Generation her, dass große Mengen von Daten nur von speziell dafür hergestellten Maschinen und durch Spezialisten verarbeitet werden konnten.
Weil sich seit 1950 die Leistung der Computer (genauer gesagt: Die Speicher- und Verarbeitungsleistung der Integrierten Schaltkreise) nach dem Moore’schen Gesetz etwa alle 18 Monate bei gleichzeitig sinkenden Herstellkosten verdoppelt hatte, war es möglich, jedem Menschen in unserer Hemisphäre einen persönlichen Computer (Personal Computer) bereitzustellen. Mittlerweile kommt das Moore’sche Gesetz an physikalische Grenzen; aber wir tragen unsere Computer bereits mit uns herum oder telefonieren sogar auf ihnen. So sind die allermeisten von uns Teil des weltweiten Informationsnetzes, das wir als Internet kennen.
Machen wir uns bewusst, dass dieses Internet die größte Erfindung der Informationsverbreitung ist, seit Johannes Gutenberg den Druck mit beweglichen Lettern erfunden hat.
Phase 4: Die Digitale Revolution durch das interaktive Internet und das Internet der Dinge
Wir erleben nun seit 2005 die aktuelle, vierte Phase (daher 4.0) der Industriellen Revolution, die geprägt ist durch Cloud-Computing, Social-Media und das Internet der Dinge („Internet-of-Things“). Was ist das Neue daran?
Cloud-Computing ermöglicht den Datenaustausch unabhängig von den Computern, die die Daten erzeugen oder nutzen. Es ist vergleichbar mit der zweiten industriellen Phase, in der durch den elektrischen Strom die Energie unabhängig vom Ort der Arbeit erzeugt und verteilt werden konnte. Diese Datenverteilung unterstützt neue Formen von Analyse, Automation, Vernetzung und Handlungsableitung.
Intelligente Algorithmen werden eine neue industrielle Effizienzsteigerung ermöglichen. Das Internet hat sich vom Informationsarchiv, das von wenigen bereitgestellt wurde, entwickelt zu einer Dialogplattform, auf der jeder Anwender gleichzeitig sowohl Nutzer als auch Lieferant von Informationen wird. Wobei mit „Information“ Daten und Medien aller Art, also auch Filme, Musik oder Texte usw. gemeint sein können.
Ergo: Technisch (Facebook, Youtube und ihre Verwandten) hat die aktuelle Phase längst begonnen. Wir steigen jetzt ein in die industrielle Nutzung.
Offensichtlich werden die Zeitabstände zwischen den Schwellen mit jeder neuen Phase kürzer. Die Phase 4.0 wird vermutlich keine 40 Jahre mehr dauern. Wenn wir annehmen, dass die Prozesse der Industriellen Revolution, also sozusagen die Metaprozesse, sich ständig beschleunigen, ist dies ein hinreichender Grund, auf die Industrie 4.0 genau zu schauen. Denn es vergrößert sich das Risiko, tatsächlich eine wesentliche Entwicklung „zu verschlafen“.
13. September 2015