Inverse Zinsstrukturkurve und Rezessionen – Ein eindeutiger Zusammenhang?
Für die Entwicklung der Weltwirtschaft gilt eine Umkehrung der US-Zinsstrukturkurve als verlässlicher Rezessionsindikator. Eine derartige Zinskurve ergibt sich, wenn die Renditen von Anleihen mit kurzfristiger Laufzeit über denen mit langfristiger Laufzeit liegen. Das Eintreten dieses Zustands ist somit von hoher Relevanz für Wirtschaft und Politik und wird bis heute von Marktteilnehmern als Bedrohung wahrgenommen. Allerdings stellt sich die Frage, ob die Prognosekraft dieses Instrumentes in einer neuen Normalität, geprägt durch eine ultra-expansive Geldpolitik und Niedrigzinsen, weiterhin besteht. Und was müssen Anleger aus einer neuen Betrachtung dieses Zusammenhangs beachten? Ein Kommentar.
Die Zinsstrukturkurve
Einfach ausgedrückt stellt die Zinsstrukturkurve die Renditen vergleichbarer Zinsinstrumente für verschiedene Laufzeiten dar. Die Steigung dieser Kurve wird anhand des Spreads zwischen den Renditen von kurz- und langfristigen Wertpapieren gemessen, wobei die Kapitalmärkte der Zinsdifferenz zwischen zehn- und zweijährigen US-Treasuries besondere Aufmerksamkeit schenken.
Doch warum wird die Steigung der Zinskurve von Marktteilnehmern und Ökonomen als wirtschaftlicher Frühindikator verwendet und welche Aspekte beeinflussen überhaupt den Spread zwischen kurz- und langfristigen Staatsanleihen? Mehrere Studien (siehe z.B. Estrella, A., & Mishkin, F. S. (1996), Benzoni et al. (2018) und Cooper et al. (2020)), die die Bestimmungsfaktoren dieses Spreads untersuchen, sind sich bezüglich zwei zusammenhängender Einflussgrößen einig.
Zum einen spielt die geführte Geldpolitik eine signifikante Rolle, da sie einerseits durch die Steuerung des Leitzinses die Renditen kurzfristiger Anleihen beeinflusst. Andererseits ergreifen Notenbanken rund um den Globus seit der Finanzkrise sogenannte unkonventionelle geldpolitische Maßnahmen, insbesondere Quantitative Easing (QE). Diese unkonventionellen Instrumente der Zentralbanken drücken die Renditen am langen Ende der Kurve durch den massiven Kauf von langfristigen Anleihen. Der zweite Faktor, der die Steigung der Zinskurve mitbestimmt, sind die Erwartungen der Marktteilnehmer bezüglich der wirtschaftlichen Entwicklung und den realen Zinsen. In der Regel bekommen Investoren einen Renditeaufschlag, wenn sie ihr Kapital über einen längeren Zeitraum anlegen, weil mit längerer Laufzeit auch mehr Ungewissheit, sprich Risiko, einhergeht. Daher bieten in regulären Marktphasen zehnjährige US-Staatsanleihen höhere Zinsen als zweijährige. Wenn jedoch Marktteilnehmer mit einer wirtschaftlichen Abkühlung rechnen, werden langlaufende (Staats-)anleihen stärker nachgefragt, da Investoren kurzfristige konjunkturelle Risiken höher als langfristige einschätzen. Diese zwei Faktoren hängen stark miteinander zusammen, weil in Anbetracht eines Abschwungs wiederum Leitzinssenkungen erwartet werden und damit einhergehend langlaufende Anleihen stärkere Kursgewinne als kurzlaufende erzielen. Dies lässt ebenfalls die Nachfrage nach langfristigen Anleihen steigen und somit die Zinskurve flacher werden.
Inverse Zinsstrukturkurven und Rezessionen
Die inverse Zinsstrukturkurve ist ein Ausnahmefall der „normalen“ Kurve und ergibt sich, wenn die Steigung der Kurve negativ ist, d.h., wenn der Zins kurzlaufender Anleihen über dem langlaufender liegt. Während die Kapitalmärkte von einer inversen Kurve sprechen, wenn r(10y) – r(2y) < 0, verwenden wissenschaftliche Studien auch häufig den Spread zwischen dreimonatigen und zehnjährigen Treasuries, um die Steilheit der Kurve zu messen. Für uns ist demnach der Zinsspread r(10y) – r(2y) von besonderem Interesse.
In den USA ist seit Ende der 70er Jahre mit erstaunlicher Genauigkeit nach jeder Umkehrung der Zinskurve binnen zwei Jahren eine Rezession eingetroffen. In der unteren Grafik markieren die roten Kreise die Momente, in denen der Zinssatz zweijähriger US-Staatsanleihen den der zehnjährigen überschritt, während die schraffierten Bereiche Rezessionsperioden entsprechen. Dennoch kann der inversen Kurve nicht immer eine eindeutige Kausalität zugewiesen werden. Wenn sich ein negativer Zinsspread aus einer Erhöhung des Leitzinses durch die Zentralbank ergibt und es aufgrund der restriktiveren Geldpolitik zu einer Rezession kommt, kann von einem kausalen Effekt ausgegangen werden. Andererseits können negative Erwartungen von Marktteilnehmern dazu führen, dass Anleihen mit langfristigen Laufzeiten stärker nachgefragt werden, wodurch ihre Renditen fallen und die Zinskurve flacher wird bzw. invertiert. In diesem Fall wäre die Umkehrung der Kurve das Resultat eines antizipierten Abschwungs und nicht die Ursache dessen.
Im August 2019 invertierte die Zinskurve nach vielen Jahren erneut und die Märkte reagierten entsprechend. Gold und andere sichere Häfen wie Staatsanleihen mit langer Laufzeit wurden erhöht nachgefragt und Wirtschaft und Politik diskutierten darüber, ob dies unmittelbar eine bevorstehende Rezession bedeutete. Interessant war jedoch, dass diesmal die Umkehrung vom langen Ende der Kurve ausging (Bull Flattening), wobei es in früheren Jahren oft der Fall gewesen war, dass die Fed, um zu hohe Inflation zu bekämpfen, die Zinsen am kurzen Ende erhöhte (Bear Flattening) und dadurch die Kurve invertierte. Seit der Finanzkrise versuchen die Fed und auch die EZB jedoch gegen zu niedrige Inflation zu steuern und haben kaum noch Spielraum nach unten bei der Festsetzung des Leitzinses. Daher wenden sie sich den kolossalen Anleihekaufprogrammen zu, die eben die langfristigen Zinsen drücken.
Aus diesem Grund betonten manche Finanzexperten und Ökonomen, dass die inverse Zinsstrukturkurve diesmal sehr stark durch das globale Niedrigzinsumfeld geprägt sei und nicht unmittelbar eine Rezession vor der Tür stünde (unter anderem äußerten sich damals Joachim Fels, Chefvolkswirt von PIMCO und Christoph Rieger, Leiter des Zins- und Kreditresearch der Commerzbank zur Umkehrung der Zinskurve). Schließlich befanden sich die USA damals in einem soliden Aufschwung, viele wirtschaftliche Indikatoren fielen positiv aus und gaben somit keinen Grund zur Sorge. Womöglich sei der Zusammenhang zwischen konjunktureller Schwäche und inverser Zinskurve, in einer neuen Normalität geprägt von Tiefzinsen, nicht mehr so aussagekräftig wie in der Vergangenheit.
Historischer Zinsspread von US-Staatsanleihen (10 Jahre – 2 Jahre)
Quelle: Federal Reserve Bank of St. Louis; Stand: 29.03.2021
Doch im Frühjahr 2020, nicht mal ein Jahr nachdem die US-Zinsstrukturkurve kippte, kam es zu einer globalen Rezession. Hier kann dennoch kaum ein kausaler Zusammenhang festgestellt werden, da diese Krise durchaus von der Corona-Pandemie und dem damit verbundenen Shutdown ausgelöst wurde. Leider ist es aber auch nicht möglich mit Sicherheit festzustellen, dass in Abwesenheit des Coronavirus kein konjunktureller Abschwung stattgefunden hätte, auch wenn die aktuelle Zinsstruktur doch sehr stark von der ultra-lockeren Geldpolitik geprägt zu sein scheint.
Ausblick und Anlageimplikationen
Obwohl die letzte Umkehrung der Zinsstrukturkurve eine kommende Rezession erneut erfolgreich vorhersah, ist höchste Vorsicht bei der Interpretation eines kausalen Effektes geboten. In der Vergangenheit invertierte die Zinskurve auch aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung und war somit die Konsequenz und nicht ein Auslöser der nachfolgenden Rezession. Expansive Geldpolitik und die damit einhergehenden Niedrigzinsen werden voraussichtlich auch in den kommenden Jahren Bestand haben, so dass der Zusammenhang zwischen einer inversen US-Zinskurve und Rezessionen an Stabilität verlieren dürfte. Auch wissenschaftliche Erkenntnisse, wie die Studie von Cooper et al. (2020) deuten darauf hin, dass eine inverse Zinskurve die Wahrscheinlichkeit einer auftretenden Rezession überschätzt, sobald der geldpolitische Einfluss der amerikanischen Notenbank in dem Modell berücksichtigt wird.
Institutionelle Anleger sollten daher nicht umgehend in Panik geraten, wenn der Zinsspread zwischenzeitlich ins Minus rutscht, denn eine Massenpanik in den Märkten kann dann einen potenziellen konjunkturellen Abschwung beschleunigen. Dennoch sollte die Umkehrung der Zinskurve weiterhin als deutliches Warnsignal gelten, da sie negative Erwartungen in den Märkten widerspiegelt. Wir denken, dass eine konservative Strategie mit illiquiden Assetklassen und einer breiten Diversifikation ein solides Fundament für die Resilienz des Portfolios darstellt. Sollte sich nichtsdestotrotz eine Rezession nach einer Umkehrung der Zinsstruktur bewahrheiten, empfehlen wir sogar antizyklisch zu agieren und die nach der Anlageverordnung erlaubten Risikoquoten opportunistisch zu nutzen.
Thomas Kulp | A.L.M. Berlin asset consult GmbH | www.berlin-asset-consult.de
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Private Equity Analyst at Nexus Capital Partners
3 JahreLa traducción pa cuando
Sovereign Credit Analyst at S&P Global Ratings
3 JahreSehr interessant!