Was japanische Zugführer mit dem Überwinden schlechter Gewohnheiten zu tun haben …

Was japanische Zugführer mit dem Überwinden schlechter Gewohnheiten zu tun haben …

Welcher Gedanke kommt dir als Erstes in den Sinn, wenn du an Bahnreisen denkst? Wahrscheinlich gehören unpünktlich, überfüllt und dreckig dazu. Ganz anders sieht es in Japan aus – die Bahn dort zählt als eine der besten der Welt. Pünktlich, zuverlässig und sauber rollen die Züge dort. Solltest du einmal in Tokio Zug fahren, dann wird dir auch eine besondere Angewohnheit des Zugführers auffallen: Pointing and Calling.

Ein Zugführer zeigt auf den Bahnsteig und dann auf Schilder, die die Zugnummer und das Ziel angeben. Im Führerstand des Zuges zeigt der Lokführer auf seine Bedienelemente, während er sie betätigt, sowie auf wichtige Anzeigen und Schilder ausserhalb des Zuges. Auf dem Bahnsteig zeigt der Zugbegleiter auf den Zug und dann auf die Türen, bevor er sie öffnet. Mit jeder Geste intonieren die Mitarbeitenden den Namen, den Zweck oder den Zustand des Gegenstands, auf den sie zeigen, zum Beispiel «Das Signal ist grün».

Dem Uneingeweihten mag dies rätselhaft erscheinen, doch bei näherer Betrachtung stellt sich heraus, dass es sich bei Pointing and Calling (oder japanisch Shisa Kanko) um ein Ritual handelt, das Fehler um bis zu 85 Prozent und Unfälle um 30 Prozent reduziert. Warum ist dieses System so effektiv? Es erhöht die Aufmerksamkeit – was sonst eine nicht bewusst ausgeführte Gewohnheit wäre, wird auf die Ebene des Bewussten gehoben. Damit wir eine schlechte Gewohnheit erfolgreich verändern bzw. abstellen können, muss sie uns bewusst sein.

 

Die Entstehungsgeschichte von Pointing and Calling

Der Ursprung dieses Verhaltens ist schwer zu ermitteln. Die oft wiederholte Geschichte besagt, dass ein Zugführer um 1900, Yasoichi Hori, mit seiner nachlassenden Sehkraft zu kämpfen hatte. Um sich vor Fehlern zu schützen, begann er, Signale zu rufen, die dann von anderen Mitarbeitenden bestätigt wurden. Schliesslich fand dieses Verhalten 1913 Eingang in ein frühes Eisenbahnhandbuch. Beim modernen Point- and Calling-Protokoll blickt der Mitarbeitende zunächst auf sein Ziel, bei dem es sich um alles handeln kann, was für die anstehende Aufgabe wichtig ist – Bedienelemente, Anzeigen, Indikatoren oder Positionen. Dann streckt er den Zeigefinger aus und ruft den Namen oder den Zustand des Steuerelements, bevor er die entsprechende Aktion ausführt.

 

Mit der Gewohnheit kommt die Gedankenlosigkeit

Wie oft hast du schon eine Handlung ausgeführt, ohne darüber nachzudenken, was du tust? Typisch dafür ist, wenn wir eine gewohnte Strecke mit dem Auto fahren und zu Hause feststellen, dass wir uns gar nicht erinnern können, ob auch wirklich alle Ampeln grün waren. Wir haben auf Autopilot geschaltet und haben aus dem Muskelgedächtnis gehandelt, ohne darüber nachzudenken, was wir tun. Wenn wir eine Aktion immer und immer wieder ausführen, wird sie zur Gewohnheit, und mit der Gewohnheit kommt die Gedankenlosigkeit.

Damit wir eine schlechte Gewohnheit erfolgreich verändern bzw. abstellen können, muss sie uns daher erste einmal bewusst sein. Hierfür ist das System des Pointing und Calling hervorragend geeignet. 

 

Gewohnheiten bewusst machen

Hierzu möchte ich dir eine einfache Übung nahelegen, mit der du dir dein Verhalten bewusst machen kannst. Erstelle dir eine Liste mit deinen täglichen Gewohnheiten. Diese könnte beispielsweise so beginnen:

  • Aufwachen
  • Wecker auf Schlummern schalten
  • Handy nach neuen Nachrichten und Mails checken
  • ins Badezimmer gehen
  • auf die Waage steigen
  • duschen

Wenn deine Liste komplett ist, solltest du dir jedes Verhalten anschauen und dich fragen, ob es sich dabei um eine gute, eine schlechte oder eine neutrale Gewohnheit handelt. Ist die Gewohnheit gut, notiere daneben ein +. Ist sie schlecht, notiere ein –. Bei einer neutralen Gewohnheit notiere ein =.

Für die obige Liste könnte das dann beispielsweise so aussehen:

  • Aufwachen (=)
  • Wecker auf Schlummern schalten (-)
  • Handy nach neuen Nachrichten checken (-)
  • Ins Badezimmer gehen (=)
  • Auf die Waage steigen (+)
  • Duschen (+)

Wie du eine bestimmte Gewohnheit bewertest, hängt von deiner Situation und deinen Zielen ab. Für jemanden, der gerade Gewicht verlieren möchte, wäre es eine schlechte Angewohnheit, jeden Morgen Spiegeleier mit Speck zu essen. Jemand, der zulegen und Muskeln aufbauen möchte, könnte das gleiche Verhalten als gute Gewohnheit einstufen. Es kommt ganz darauf an, worauf du hinarbeitest. Eine gute Gewohnheit trägt effektiv etwas zur Erreichung deiner Ziele bei.

 Zur Bewertung einer Gewohnheit kannst du dich jeweils Folgendes fragen: «Hilft mir dieses Verhalten dabei, der Mensch zu werden, der ich sein möchte?»

 

Anwendungsmöglichkeiten im Alltag

Was bedeutet dies nun für dich? Wie kannst du Pointing and Calling nutzen, um deine eigenen schlechten Gewohnheiten abzulegen? Hierzu ein paar Beispiele:

  • Prokrastination bei wichtigen Aufgaben

Point and Call: Wenn du merkst, dass du wieder einmal prokrastinierst (z. B., indem du soziale Medien durchstöberst, statt an deinem Projekt zu arbeiten), sage: «Ich verschiebe gerade meine wichtige Aufgabe zugunsten von Ablenkungen.» Dies hilft dir dabei zu erkennen, wie oft du tatsächlich prokrastinierst.

  • Impulskäufe

Point and Call: Wenn du im Laden stehst oder online einkaufst und einen Impulskauf tätigen möchtest, sage: «Ich bin dabei, etwas zu kaufen, das ich nicht wirklich brauche.» Dies kann helfen, den Kaufimpuls zu unterbrechen.

  • Übermässiges Essen bei Stress

Point and Call: Wenn du bemerkst, dass du aus Stress isst, statt aus Hunger, sage: «Ich esse gerade, weil ich gestresst bin, nicht weil ich hungrig bin.» Dies kann helfen, dein Essverhalten bewusster wahrzunehmen.

  • Negatives Selbstgespräch

Point and Call: Wenn du dich selbst negativ kritisierst, sage: «Ich spreche gerade negativ über mich selbst.» Dies kann helfen negative Gedankenmuster zu erkennen und zu ändern.

  • Multitasking während Meetings

Point and Call: Wenn du während eines Gesprächs mit deinem Mitarbeitenden anfängst, E-Mails zu checken oder andere Aufgaben zu erledigen, sage: «Ich multitaske gerade während eines Gesprächs.» Dies kann helfen, deine Aufmerksamkeit wieder auf deinen Mitarbeitenden zu lenken.

 

Pointing and Calling im Leadership

Im Leadership bietet das Prinzip des Pointing and Calling wertvolle Einsichten für Führungskräfte aller Ebenen. Indem Führungskräfte ihre Handlungen klar benennen, schaffen sie einen ersten Schritt, um ihr Führungsverhalten zu verbessern. Wenn eine Führungskraft bemerkt, dass sie häufig unpünktlich zu Meetings kommt oder während Gesprächen nicht richtig zuhört, kann sie diese Verhaltensweisen laut benennen: «Ich bin heute wieder zu spät zum Meeting gekommen» oder «Ich habe gerade nicht richtig zugehört». Diese bewusste Benennung hilft dabei, die eigenen schlechten Gewohnheiten ins Bewusstsein zu rufen und aktiv an deren Veränderung zu arbeiten.

Wir alle haben uns im Laufe der Zeit einige schlechte bzw. ineffiziente Gewohnheiten angeeignet. Es lohnt sich daher, sich damit einmal auseinanderzusetzen, indem man diese auflistet, bewertet und sich bewusst macht. Probier die Methode des Pointing und Calling einmal aus und sag mir gerne, wie es für dich war.

Wenn du noch weiter an deinem Führungsverhalten arbeiten möchtest, dann solltest du unbedingt einen Blick in mein Buch: «Die Heldenreise einer Führungskraft – wie du als Leader*in die beste Version deiner selbst wirst.» werfen.

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