Königs Gespräche Teil eins: Warum Kundenbeziehungen das letzte Puzzlestück der digitalen Transformation sind

Königs Gespräche Teil eins: Warum Kundenbeziehungen das letzte Puzzlestück der digitalen Transformation sind

Gesprächsgast Markus Seiz, Director, Deloitte Private

Der Mittelstand: Ein deutsches Erfolgskonzept – und ein Begriff, für den es in kaum einer Sprache eine echte Übersetzung gibt. Warum auch, schließlich ist „The Mittelstand“ auf internationaler Ebene seit Jahrzehnten Inbegriff für innovative, zuverlässige Produkte. Neben seiner Expertise trägt jedoch auch ein weiterer Pfeiler zum Erfolg bei: Enge, oft langjährige persönliche Kontakte zu seinen Kunden. 

Doch nicht nur der wachsende Wettbewerb, auch die Situation der vergangenen Monate macht deutlich: Jetzt kommt es darauf an, diese Kundenbeziehungen digital zu verlängern. Damit diese Anregung nicht nur graue Theorie bleibt, habe ich mich mit verschiedenen Expertinnen und Experten unterhalten und teile in den nächsten Wochen im Rahmen meiner neuen Serie „Königs Gespräche“ erhellende Einblicke und Erkenntnisse aus erster Hand mit euch. 

Für den Auftakt spreche ich mit einem ausgewiesenen Experten, wenn es um das Thema Mittelstand geht: Herzlich Willkommen Markus Seiz, Director bei Deloitte Private. 

Markus, was macht den deutschen Mittelstand aus Deiner Sicht einzigartig?

Durch meine Projekte hatte ich in den vergangenen zwei Jahrzehnten das große Privileg, viele sehr erfolgreiche mittelständische Unternehmer in Deutschland kennenzulernen. Bei diesen Begegnungen habe ich mir oft genau die Frage gestellt, die Du nun aufwirfst. In meinen Augen ist es die einzigartige Unternehmenskultur, die den Erfolg des deutschen Mittelstands ausmacht: Ein langfristiger Entscheidungshorizont, häufig über Generationen hinweg. Gewinne zu reinvestieren, statt sie zu entnehmen. Die „Macherqualität“: anzupacken und etwas bewegen zu wollen. Regional verwurzelt zu sein, sich verantwortlich für sein Umfeld zu fühlen und gleichzeitig global zu denken und in der Welt zu Hause zu sein. Das sind alles Qualitäten, die auch morgen entscheidend für den Erfolg sind.

Definitiv. Nun sind viele mittelständische Unternehmen sogenannte Hidden-Champions im B2B-Bereich und zeichnen sich durch einen hohen Reifegrad bzw. eine hohe Investitionsbereitschaft im Bereich Industrie 4.0 aus. Wie sieht es abseits der Produktionsstraßen aus? Wie beurteilst Du den Reifegrad anderer Aspekte der digitalen Transformation in diesen Unternehmen? 

Ich möchte an dieser Stelle nur einen Aspekt herausgreifen: Eine Konsequenz der rasant voranschreitenden Digitalisierung besteht für den Mittelstand ja darin, dass viele altbekannte und bewährte Strategien und Geschäftsmodelle infrage gestellt werden. Die Grenzen zwischen einzelnen Branchen brechen auf und das relativ stabile Umfeld von Unternehmen aus Kunden, Lieferanten und Wettbewerbern beginnt sich aufzulösen.

Eine Antwort mittelständischer Unternehmen auf diese Entwicklung kann nun darin bestehen, neuartige und profitable Beziehungen zu anderen Marktteilnehmern zu knüpfen, also „Ökosysteme“ und digitale Plattformen aufzubauen – mit dem Ziel, auf einer gemeinsamen, branchenübergreifenden Basis neue Werte für Kunden und Unternehmen selbst zu schaffen.

Wir haben im vergangenen Jahr in einer Studie herausgefunden, dass mittelständische Unternehmen beim Thema Ökosysteme zurzeit zwar noch relativ am Anfang stehen, also einen geringen Reifegrad aufweisen. Immerhin die Hälfte der Befragten misst jedoch Unternehmensnetzwerken, die sich maßgeblich von bisherigen Verbünden und klassischen Wertketten unterscheiden, eine hohe oder sehr hohe Bedeutung bei. Ich bin optimistisch, dass mittelständische Unternehmen sich intensiver mit den sich dadurch bietenden Möglichkeiten beschäftigen. 

Das bedeutet auch, intern neue Strukturen zu etablieren. Welche Auswirkungen hat die digitale Transformation auf Führungskräfte im Mittelstand?

Agilität spielt hier eine wichtige Rolle. Das heißt: Firmen müssen schneller, flexibler und wendiger werden als bisher. An die Stelle klassischer Hierarchien treten flexible Selbstorganisationen, bei denen das Arbeiten in autonomen Teams im Mittelpunkt steht. Dadurch sind mittelständische Führungskräfte gefordert, mehr Verantwortung an die Mitarbeiter abzugeben und ihre Rolle neu zu definieren: Weg vom Weisungsbefugten und Entscheider hin zum Moderator, Motivator und Coach. Dabei ist es entscheidend für Manager, wirklich Vertrauen in die Mitarbeiter und ihre Fähigkeiten zu haben. Und da durch die zunehmende Selbstverantwortung der Teammitglieder immer mehr klassische Managementaufgaben abgegeben werden, müssen mittelständische Führungskräfte auch lernen, mit einem – vermeintlichen – Verlust an Macht umzugehen.

Wirkt sich dieses „neu denken“ im Innern auch nach außen aus? Stellst Du bei mittelständischen Unternehmen aktuell Veränderungen im Umgang mit Kunden fest?

Du bist in Diskussionen und Gesprächen mit Unternehmern aus dem Ausland sicher auch dem Begriff des „German overengineering“ begegnet: Dieser sehr deutschen Suche nach Perfektion, die in der Vergangenheit unzählige Hidden-Champions hervorgebracht hat und ein Eckpfeiler des Erfolgs des deutschen Mittelstands war. Nur war diese Perfektion in dieser Konsequenz und Ausprägung von den Kunden manchmal gar nicht gefordert bzw. geschätzt.

Die Mittelständler haben das mittlerweile erkannt und stellen sich meiner Wahrnehmung nach nun viel häufiger neu auf die Kunden ein, gehen den Dialog ganz anders an und kommunizieren mit ihnen über die unterschiedlichsten Kanäle, sowohl analog als auch digital. Kunden erwarten heute einfach, dass Unternehmen insbesondere auf ihreBedürfnisse eingehen und der Anbieter entsprechende Lösungen präsentiert.

Ein Blick in die mittelfristige Zukunft: Wie gelingt es mittelständischen Unternehmen, erfolgreich zu bleiben? Wo siehst Du Handlungsbedarf, um für die Zukunft gut aufgestellt zu sein?

Dass Familienunternehmer und Mittelständler Chancen erkennen und diese auch konsequent nutzen, haben sie über viele Jahrzehnte erfolgreich bewiesen. Ich sehe die Zukunft des Mittelstands optimistisch. Denn die Bereitschaft bei Unternehmern, sich und ihr Geschäft „neu zu denken“ und sich häufiger von anderen Kulturen, Denk- und Handlungsmustern inspirieren zu lassen, setzt sich immer mehr durch: Offen zu sein, gut zuhören zu können bei allem, was von internen und externen Stakeholdern an sie herangetragen wird. Dazu gehört aber auch, Mitarbeitern mehr Freiräume zu geben, sie Dinge ausprobieren zu lassen, ihnen die Angst vor Fehlern zu nehmen und damit eine neue Innovationskultur im Unternehmen zu implementieren. Diese Aspekte, gepaart mit der Beibehaltung der Vision einer integren Führungskraft und einem langfristigen Entscheidungshorizont, werden auch in Zukunft wichtige Erfolgsfaktoren sein.   

Vielen Dank für die tollen Denkanstöße, Markus!

Recht hat er: Langfristiges Engagement kombiniert mit Innovationskraft und beherztem Pragmatismus – das sind meiner Meinung nach Kompetenzen, die entscheidend zum Erfolg des Mittelstands beitragen. Und sie bedingen einander direkt. Eine hohe soziale Verantwortung für Mitarbeiter, Kunden und das Unternehmen selbst bildet einen soliden Unterbau, von dem aus der Mittelstand flexibel agieren und neue Methoden implementieren kann. Die Offenheit ist definitiv da: In puncto Industrie 4.0 weisen kleine und mittlere Unternehmen bereits einen hohen Reifegrad auf, jetzt muss der nächste Schritt folgen: Es gilt, Kundenbeziehungen digital zu verlängern – erst dann wird die digitale Transformation zu einer runden Sache. Das Gespräch zeigt deutlich, dass der Mittelstand die eigentliche Herausforderung, nämlich starke Kundenbeziehungen überhaupt erst zu etablieren, bereits seit Jahrzehnten erfolgreich gemeistert hat. Jetzt kommt es darauf an, ebenso lange etablierte Strukturen zu hinterfragen und den eigenen Führungsstil an die neuen agilen Arbeitsmethoden anzupassen. Und da bin ich ganz einer Meinung mit Markus Seiz: Mit seiner anpackenden „Macher-Kultur“ wuppt der Mittelstand auch diese Herausforderung! Wie genau dies aussehen kann und worauf dabei zu achten ist, betrachte ich in den nächsten Artikeln dieser Serie mit meinen Gästen noch ausführlicher.

An alle, insbesondere aber an die Mittelständlerinnen und Mittelständler unter euch: Was sind eure Erfahrungen in puncto Digitalisierung? Und gibt es Themen, über die ihr gerne mehr lesen würdet? Ich bin gespannt auf eure Antworten!

Alexander Einoedshofer

Longtime (9-yr) Amazonian & digital, media and data expert, passionate about customer centric advertising solutions, innovation and new technologies.

4 Jahre

Sehr spannend. Ich freue mich auf die weiteren Teile.

Dr. Ralf Belusa

Managing Director Hapag-Lloyd AG | Supervisory Board PHOENIX Pharma SE

4 Jahre

Spannend! Danke Hartmut Koenig

Zum Anzeigen oder Hinzufügen von Kommentaren einloggen

Ebenfalls angesehen

Themen ansehen