Kampf gegen Gesundheitskosten: Welchen Therapieansatz wählen?

Kampf gegen Gesundheitskosten: Welchen Therapieansatz wählen?

Von Judith Trageser , INFRAS  

Die Gesundheitskosten bereiten der Schweizer Bevölkerung Sorgen, wie Umfragen immer wieder zeigen. Am 9. Juni entscheidet das Stimmvolk über zwei Initiativen, die das Thema aufgreifen. Gelegenheit für eine Auslegeordnung: Ein Blick auf INFRAS-Studien zu den Gesundheitskosten.  

Die Ausgangslage ist klar: Die Gesundheitskosten steigen ungebremst. Seit der Jahrtausendwende haben sich die durchschnittlichen Kosten pro Person in der Schweiz im Monat von rund 500 auf 800 Franken erhöht. Die steigenden Prämien belasten viele Haushalte. 

Zwei Initiativen, zwei Ansätze 

Politisch diskutiert wird schon länger, wie dem Problem begegnet werden soll. Wäre das Gesundheitswesen ein Patient, stellten sich die Fragen: welche Medizin geben, welchen Therapieansatz wählen? Zeigt die Diagnose eine klare Ursache – müssen zunächst die Symptome gelindert werden? Am 9. Juni kann nun die Stimmbevölkerung gleich über zwei eidgenössische Volksinitiativen zu den Gesundheitskosten entscheiden.

Die Prämien-Entlastungsinitiative fordert, dass die Krankenkassenprämien höchstens 10 Prozent des Einkommens der Versicherten ausmachen dürfen. Bund und Kantone sollen mit Prämienverbilligungen die Versicherten entlasten, falls diese Schwelle überschritten wird. Die Initiative will also primär den finanziellen Druck von den Versicherten nehmen. Die Kostenbremse-Initiative hat einen anderen Ansatz, wie schon der Name verrät: Sie setzt bei den Kosten selbst an. Steigen die Gesundheitskosten viel stärker als die Nominallöhne, muss der Bund gemäss Vorlage mit den Kantonen Massnahmen zur Kostenbegrenzung ergreifen. Auch Krankenkassen und Leistungserbringer wären dabei in die Pflicht genommen.

Die genaue Ausgestaltung der Kostenbremse lässt der Initiativtext offen. Meine Kollegin Anna Vettori und mein Kollege Thomas von Stokar haben in einer frühen Phase mit Tilman Slembeck skizziert, wie eine solche Kostenbremse aussehen könnte: 


Bundesrat und Parlament lehnen beide Initiativen ab und legen jeweils indirekte Gegenvorschläge vor. In beiden Fällen sind Änderungen am Krankenversicherungsgesetz (KVG) vorgesehen, falls die Initiativen abgelehnt werden. 

Kostenziele als weitere Möglichkeit – mit Schwierigkeiten 

Beim Gegenvorschlag zur Kostenbremse-Initiative soll ein weicherer Ansatz verfolgt werden, mit dem wir uns bei INFRAS bereits spezifisch auseinandergesetzt haben: Statt die Kosten mit korrigierenden Massnahmen effektiv auf die Lohnentwicklung zu begrenzen, sollen Kostenziele eingeführt werden: alle vier Jahre, in Absprache mit den Akteuren des Gesundheitswesens. Es würde dann festgelegt, wie stark die Kosten in der obligatorischen Krankenversicherung höchstens steigen sollen. Die Kostenziele enthalten aber im Gegensatz zur der Kostenbremse keinen Steuermechanismus. Denn der Gegenvorschlag definiert nicht, was passiert, wenn die Kostenziele überschritten werden. 

Bei den Kostenzielen stellt sich aber eine grundlegende Frage: Wie wird überhaupt festgelegt, wie hoch der Kostenanstieg maximal sein darf? In einer Studie für das Bundesamt für Gesundheit BAG haben wir dafür ein Modell vorgeschlagen, wie dies hergeleitet werden könnte. Das Modell bildet «natürliche» Kostentreiber ab: Es berücksichtigt neben der Lohnentwicklung die Entwicklung der Demographie und der Morbidität, die Teuerung und den medizinischen Fortschritt. Der medizinische Fortschritt ist allerdings schwierig zu quantifizieren und es braucht dazu Einschätzung von Fachleuten.  

Mehr Informationen zur «Studie zur Klärung von Umsetzungsfragen im Rahmen der Einführung einer Zielvorgabe»:


Effizienzpotenzial von bis zu 1000 Franken pro Kopf 

Werfen wir noch einen genaueren Blick in Richtung Ursachen der steigenden Gesundheitskosten: Neben den «natürlichen Kostentreibern» blähen auch Ineffizienzen die Kosten im Gesundheitswesen auf. Auch zu den Ineffizienzen im Gesundheitswesen hat INFRAS eine Studie für das BAG erstellt, gemeinsam mit dem Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie der ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften . Wir haben dabei erstmals das Effizienzpotenzial im schweizerischen Gesundheitswesen geschätzt. Konkret: inwiefern ein bestimmter Gesundheitszustand auch zu geringeren Kosten der medizinischen Behandlung erreicht werden kann. Beispiele für solche Ineffizienzen sind zu viele kleine Spitäler, eine zu wenig koordinierte Versorgung oder zu viele erbrachte Leistungen, die wenig wirksam sind.   

Das Resultat: 16 bis 19 Prozent der Gesundheitskosten liessen sich jährlich ohne Einbussen einsparen. Pro Kopf entspräche das rund 855 bis 1'000 Franken pro Jahr. Die Effizienzpotenziale haben wir in der Studie eher konservativ geschätzt. Die erwähnten Kostenziele sollen dazu beitragen, solche Ineffizienzen zu beseitigen, indem sie Anreize setzen, nach Ursachen und Lösungen zu suchen, wenn sie überschritten werden. 

Mehr Informationen zur Studie «Effizienzpotenziale bei den KVG-pflichtigen Leistungen»:


Die lang andauernde Diskussion um die steigenden Gesundheitskosten zeigt: Das eine Wundermittel gegen das Problem gibt es nicht. Die Ursachen sind vielfältig und so muss auch an verschiedenen Stellen angesetzt werden. An Ideen hierzu fehlt es nicht. Am Ende bleibt die Politik gefordert.  


Die oben erwähnten Autor:innen Judith Trageser , Anna Vettori und Thomas von Stokar sind Teil des INFRAS-Gesundheitsteams. INFRAS unterstützt private Organisationen und öffentliche Verwaltungen bei der Analyse, Konzeption und Evaluation von Strukturen und Massnahmen für ein effektives und effizientes Gesundheitssystem, für die Gesundheitsförderung und Prävention.

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