Kardinalfehler im Umgang mit komplexen Problemen und Entscheidungen
Was hat der Kanarienvogel mit Entschiedungen zu tun? Bildquelle: Pixabay.com

Kardinalfehler im Umgang mit komplexen Problemen und Entscheidungen

Egal wo man hinschaut, gute Entscheidungen sind immer wieder gefragt. Warum es dabei trotzdem immer wieder mal zu Fehlentscheidungen kommt, wo die Gefahren speziell für Teams liegen und wie man sich vor den alltäglichen Fallen clever schützen kann – das alles habe ich kompakt in die nachfolgenden Zielen verpackt. Eines ist sicher, nach der Lektüre sind Sie bezüglich Entscheidungen garantiert aufmerksamer.

  • Mangelnde Problemdefinition und Informationssammlung, es wird auf Symptome gestürzt, deutlich weniger auf das effektive Problem.
  • Ziele sind zu vage und allgemein formuliert und sind somit nicht handlungsleitend und dienen damit eher der Konfliktvermeidung. In Teams oft mangelnde Klärung von Zielkonflikten oder Einigkeitsillusion.
  • Falsche Annahmen, verzerrte Meinungen werden von zentralen Menschen immer wieder wiederholt und eben dann «kollektiv» auch geglaubt (Social Proof).
  • Kritiklose Übernahme von Ansichten eines Einzelnen (Overconfidence), Mitläufereffekt.
  • Ungenügende Zwischenzielbildung und Prioritätensetzung, keine konkreten Zeitfenster. (Parkinsonsches Gesetz: Wir nutzen oft die uns zur Verfügung stehende Zeit, unabhängig davon, ob dieser Zeitbedarf auch wirklich nötig ist.)
  • Rigidität im Sinne von «frühe Festlegung endgültiger Ziele», keine Offenheit für und Kontrolle von Veränderungen der Situation und allfälligen Nebenwirkungen.
  • Planen als Flucht vor der Wirklichkeit, Resignation oder überdosierter Befreiungsschlag.
  • Durch den Handlungsstress (Strohschneider 1992) in «kognitive Notfallreaktion» verfallen. Dieser Kontrollverlust verbunden mit dem Sinken des Kompetenzgefühls führt gerade bei Menschen mit «überhöhtem Kontrollbedürfnis» zu unreflektierten, reduktionistischen Denkmodellen und Handlungen (oft Externalisierung) mit dem Ziel der sofortigen Beseitigung des unmittelbaren Problems, letztendlich der Selbstregulation.
  • Grad der Genauigkeit der Information zu grob oder zu fein, die jeweilige Angemessenheit bleibt unklar.
  • Hypothesengerechte Informationssammlung: Es wird nur zur Kenntnis genommen, was gängige Meinung ist oder zur eigenen Meinung passt (Confirmation Bias), Ausblendung Komplexität (Annahme weniger Variablen), widersprüchliche Informationen werden ausgeblendet.
  • Übergeneralisierung: Denkmodell oder Erfahrungen werden ohne Prüfung der strukturellen Passung übertragen.
  • Dogmatische Verschanzung, Verteidigung bis hin zu Verschwörungstheorien.
  • Schuldentlastung und Gesichtswahrung durch Personalisierung (Täter benennen).


Ergänzend noch einige teamspezifische Elemente:

  • Gruppen entscheiden risikofreudiger.
  • In Fach- oder Expertengruppen führt überhöhtes Selbstvertrauen zu Unverwundbarkeitsdenken und moralischen Überlegenheitsgefühlen.
  • Je grösser die Gruppe und unklarer die Rollen, desto mehr neigt die Gruppe zu Verantwortungsdiffusion.
  • Der Aufwand für die Koordination und Moderation wird gescheut.
  • Nicht selten ist ein einseitiger Problemfokus sowie gemeinsame Rationalisierung von Misserfolgen (Janis 1972) beobachtbar.
  • Andere werden abgewertet und stereotypisiert und die Führung autoritärer. Durch den Gruppendruck entsteht eine Illusion von Einstimmigkeit, Selbstzensur zeigt sich. «Mindquards» verhindern minutiös das Abweichen vom «Konsens».


Schützende Faktoren:

  • Spezifische Fragestellungen: «Angenommen, das Problem, welches ich gerade lösen möchte ist nicht das wahre Problem, was könnte es sonst sein?» Auch die ständige Frage nach dem «Warum» hilft, den Durchblick etwas umfangreicher zu suchen.
  • Der Walmart-Gründer Sam Walten löste seine Entscheidung vor der Gründung folgendermassen: «Wer steht sonst noch vor dem gleichen Problem?» Wer bringt Erfahrung und Expertise mit, um eine neue Sichtweise zu vermitteln, welche Erkenntnisse passen zu der spezifischen Situation. Für Vorstände, Geschäftsleitungen usw. bedeutet das, immer wieder mal den Aussenblick und optimalerweise auch Erfahrungen einzuholen. Schwerwiegende Entscheidungen sollten bei professioneller Arbeitsweise, durch eine «Aussensicht» begleitet und angereichert werden.
  • Perspektivenwechsel und Durchbrechen von Routinen: Wechsel von Räumen, Tischordnungen, Reihenfolgen und Kreativität in Arbeitsweisen usw.
  • Da Rationalität einer Illusion gleichkommt, bewusst auch Gefühle und Intuition einbeziehen. Selbstreflexion aktiv gestalten, sie hilft Eigeninteressen, Selbstüberschätzung, persönliche Bindungen oder Aversionen sowie fehlerhafte Erinnerungen auf zu decken.
  • Verschiedene Entscheidungstechniken (Pro-Contra, Best-Case-Worst-Case-Analyse, Umfragen...) anwenden.
  • Das Gespräch suchen, Argumente und Informationen mit Betroffenen besprechen und auch trotz Zeitdruck unbedingt selbst verifizieren. Nicht Rat holen, sondern Fehler aufdecken versuchen und dadurch nochmals intensiv über die Sache nachdenken.
  • Gruppendenken durch Fördern von Kritik sowie Abweichlern, Rebellen und Non-Konformisten (Vielfalt zulassen) durchbrechen. Kanarienvogel-Metapher: Bergbauarbeiter nahmen einen Kanarienvogel in einem Käfig mit in den Bau. Solange er zwitscherte, war alles in Ordnung. Sobald der Vogel nicht mehr sang, drohte der Einbruch von Grubengas.

Jonas Baumann-Fuchs, Kultivierer.ch

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