Keine abweichende Vollzugsform für eine alleinerziehende Mutter (BGer 6B_40/2020 vom 17. August 2020, Publ.)

Vorliegendem Urteil lag eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 6 Monaten wegen mehrfacher Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz (rund 19 kg Kokaingemisch) und mehrfacher Geldwäscherei, jeweils begangen als schwerer Fall, zu Grunde. Die alleinerziehende Mutter eines 6-jährigen Sohnes (geb. 2013) mit Schlafstörungen und einer 13-jährigen Tochter (geb. 2007) mit einer Muskelerkrankung mit progedienter Skoliose sollte den Strafvollzug in der JVA Hindelbank antreten. Die Mutter ging gegen den Vollzugsbefehl vor und versuchte unter Berufung auf Art. 75 und 80 StGB, die EMRK, die KRK und den UNO-Pakt II eine andere Vollzugsform (z.B. Halbgefangenschaft und Fussfessel) bzw. mindestens ein Strafvollzug in der näheren JVA Grosshof zu erlangen. Das Bundesgericht wies die Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat.

Mit Blick auf das Landesrecht erwog das Bundesgericht, dass auch alleinerziehende Eltern die Rechtsfolge ihrer Straftat, den Strafvollzug, zu dulden hätten. Eine allfällige Belastung der Beziehungen zwischen Mutter und Kind stelle eine unvermeidbare Konsequenz der freiheitsentziehenden Sanktion dar. Obwohl den schädlichen Folgen des Freiheitsentzuges nach Art. 75 Abs. 1 StGB grundsätzlich entgegenzuwirken sei (Prinzip des nil nocere), erlaube dies nicht, entgegen der gesetzlichen Normierung bei einem solch hohen Strafmass vom Strafvollzug abzusehen oder ihn in Form der Halbgefangenschaft zu vollziehen. Eine abweichende Vollzugsform zur gemeinsamen Unterbringung von Mutter und Kleinkind (Art. 80 Abs. 1 lit. c StGB) scheitere bereits daran, dass «Kleinkinder» nur Kinder bis zum dritten Lebensjahr seien. Der Berufung auf völkerrechtliche Normen hält das Bundesgericht entgegen, dass menschenrechtliche Regelungen dem Vollzug einer gesetzmässigen Freiheitsstrafe nicht entgegenstünden. Namentlich gewährleiste die KRK nur die Rechte der Kinder im Freiheitsentzug, diese seien vorliegend aber nicht inhaftiert. Schliesslich erwog das Bundesgericht, dass die Vollzugsbehörde den Freiheitsentzug bereits um neun Monate aufgeschoben hatte, so dass die Mutter für die Dauer des Straffvollzuges eine Lösung im Sinne des Kindeswohls hätte finden können. Dass sich die Mutter (auch gegenüber der Beiständin der Kinder) einer solchen verweigere, helfe ihr nicht. Soweit sie selbst keine entsprechende Lösung finde bzw. finden wolle, sei dies Aufgabe der KESB.

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