Kids im Ausnahmezustand

Erstveröffentlichung: Rollt! 2020-12

Nicht nur die Sportvereine stellt Corona vor Herausforderungen, sondern auch oder gerade die Kinder- und Jugendarbeit. Zum Beispiel beim gemeinsamen Rollstuhlbasketballprojekt des USC München und den Ernst-Barlach-Schulen der Stiftung Pfennigparade. 

Die inklusiven Schulen in München reichen von der Grundschule bis hin zur FOS (Fachoberschule). Seit letztem Jahr gibt es hier ein Wahlfach für Schüler nahezu aller Altersklassen und Schulstufen: Rollstuhlsport mit Schwerpunkt Basketball. Eine Lehrerin und ein Trainer es USC München leiten das Wahlfach. Ein Projekt das gut läuft - im neuen Schuljahr haben sich 14 Schülerinnen und Schüler angemeldet, Nicolas Riegel zum Beispiel, der aktuell in die fünfte Klasse der Mittelschule geht, kommt ins Schwärmen: „Mir macht das Wahlfach echt viel Spaß und ich bin froh dabei zu sein.“ Die gemeinsame Zeit ist für ihn und seinen Mitschüler Alexander Völker ein echtes Highlight im Alltag. „Man erlebt so viel gemeinsam und kann sich über den Tag austauschen.“ 

Manche Kinder und Jugendlichen des Wahlfachs nehmen auch schon am regulären Training des USC München und somit am Vereinsleben teil.

Außerdem kann die Gruppe sogar auf einen gemeinsamen Auftritt bei den Basketballern des FC Bayern im AudiDome im Dezember 2019 zurückblicken, bei dem sie in der Halbzeitpause ihr Können unter Beweis stellten.

Und dann kam der erste Lockdown im März 2020. Für Hanna Scheuermann, Sportlehrerin an den Ernst-Barlach-Schulen und Ihre Wahlfach-Kids hieß es also erstmal Abschied nehmen, vom gemeinsamen Sportprojekt, aber auch voneinander. „Im ersten Moment haben sich im Frühjahr erstmal alle gefreut, dass sich nicht mehr in die Schule mussten. Die Stimmung war wie vor den Sommerferien. `Wir dürfen jetzt zu Hause bleiben`, aber die Ernüchterung kam dann relativ schnell,“ schildert Hanna Scheuermann die Situation im Frühjahr. Homeschooling bringt einfach nicht so viel Freude, vor allem weil der tägliche Kontakt zu den Mitschülern fehlt. Zudem fielen alle Wahl- und Nachmittagsangebote weg. Dabei gab es jede Menge kreative Ideen, damit die Rolli-Kids auch ohne Sportunterricht, Verein und Schule im Homeschooling in Bewegung bleiben, wie eine Kilometer-Challenge oder Videos mit Tricks und Tipps, zum Beispiel Jonglieren lernen. Wenn die Eltern allerdings tagsüber arbeiten und durch den Lockdown nachmittags das Angebot an der Schule oder im Verein wegfällt, bewegen sich viele Kinder deutlich weniger. 


Entsprechend war die Freude und Erleichterung bei allen groß, als dann der normale Unterricht und später auch das Basketball-Wahlfach wieder möglich war. Leider muss die Basketballgruppe durch den 2. Lockdown jetzt bereits wieder pausieren, auch wenn der normale Sportunterricht aktuell möglich ist. Es kommen zu viele Schüler als verschiedenen Klassen und mehreren Schulzügen zusammen. Ein nicht kalkulierbares Risiko für die Schule, gleichzeitig aber auch eine Ernüchterung für die Teilnehmer. „Meine Schüler haben mich schon oft gefragt: Warum dürfen die Bundesligaspieler spielen und wir nicht. Hier ist es schwierig für die Schülerinnen und Schüler zu akzeptieren, dass im Profisport andere Rahmenbedingungen herrschen. Die Schüler und Schülerinnen der Rolli-Basketballgruppe sind sehr motiviert. Und es hat sich eine eingeschweißte Gruppe der sog. „Pfennig-Rollers“ gebildet. Da tut es umso mehr weh, dass das Wahlfach ausfällt. Gerade Bewegung, die das Immunsystem stärkt, sollte in der kalten Jahreszeit und im Kampf gegen Corona gefördert werden. – Das stellt für Angebote mit viel Durchmischung der Klassen, die bezüglich des Infektionsgeschehens vermieden werden sollen, eine große Herausforderung für die Schulen dar.“  

Und tatsächlich merkt man bei den Schülern auch schon die ersten Effekte des Bewegungsmangels. Das bestätigt auch die Mutter von dem Pfennig-Roller Alexander, Julia Schimpf: „Ich habe es schon sehr gemerkt, dass er sich nicht so bewegt. Davor war er viel ausgeglichener und glücklicher. Auch körperlich merkt man den Unterschied: er ist nicht mehr so beweglich, das haben sogar seine Ärzte bei einem Routinebesuch in der Klinik bemerkt.“ 

Deshalb ist jetzt in der kalten Jahreszeit die Sorge vor einem zweiten kompletten Lockdown auch ohne Sportunterricht groß. 

„Der Kreislauf fährt im Winter eh schon runter und dann sitzen wir viel im kalten Klassenzimmer. Wenn wir dann gar keinen Sport mehr haben, tut mir das einfach nicht gut und ich merke, wie mein Körper noch mehr runterfährt. Da fehlt dieses einmal die Woche Basketball einfach,“ zeigt sich die 16-jährige Feli Fischer aus der Basketballgruppe besorgt. Auch wenn Sie selbst zu Hause sehr aktiv ist und versucht sich fit zu halten. „Ich mache Homeworkouts, am Wochenende trainiere mit Situps, Squirts und meinen eigenen Übungen, die ich mir im Internet gefunden hab und mit meiner Therapeutin besprochen hab, wie ich das für mich umsetzen kann. Ich hab auch einen eigenen Korb zu Hause, wo ich immer wieder spiele. Aber das richtige Training 1,5 Stunden voll Power durchziehen, das fehlt mir einfach und das kann man auch nicht ersetzen.“  Entsprechend ist der Wunsch und die Hoffnung groß, dass die aktuellen Maßnahmen Erfolg zeigen und das Team vom „Wahlfach Rollstuhlsport mit Schwerpunkt Rollstuhlbasketball“ bald wieder gemeinsam auf Korbjagd gehen kann. 


Zum Anzeigen oder Hinzufügen von Kommentaren einloggen

Ebenfalls angesehen

Themen ansehen