Klassisches Assessment vs. Agile Assessment
1.1 Agiles Assessment
Agiles Assessment ist der Oberbegriff für den Einsatz von Agilität (lateinisch agilis: flink; beweglich) in der Sicherheitsbeurteilung technischer Systeme. Je nach Kontext bezieht sich der Begriff u.a. auch auf die Bewertung einer Softwareentwicklung– wie im Fall von Agile Modeling – oder auf einen gesamten Assessmentprozess – exemplarisch sei „Extreme Assessment“, o.a. „Assessment Light“ angeführt. Agile Assessments versucht, mit geringem bürokratischem Aufwand, wenigen Regeln und meist einem iterativen und intuitiven Vorgehen auszukommen.
1.2 Ziele agilen Assessments
Das Ziel agilen Assessments ist es, den Assessmentprozess flexibler und schlanker zu machen, als das bei den klassischen Vorgehensmodellen der Fall ist. Man möchte sich mehr auf die zu erreichenden Ziele konzentrieren und auf technische und soziale Probleme beim Assessment eingehen. Das agile Assessment ist eine Gegenbewegung bzw. Weiterentwicklung zu den oft als schwergewichtig und bürokratisch angesehenen traditionellen Assessment-prozessen, wie dem lebenszyklusbezogenen RAMS-Assessment nach CENELEC oder dem Vorgehensmodell nach V-Modell.
1.3 Geschichtliche Entwicklung
Erste Ansätze zu agiler Assessmentmethodik sind bereits Anfang der 1990er Jahre zu finden. Popularität erreichte die agile Assessmenttechnik erstmals 1999, als Dr. Fuchs und andere das erste Buch zu Extreme Assessment („Assessment Light“) veröffentlichten. Das Interesse an einem „Assessment Light“ ebnete den Weg auch für andere agile Prozesse und Methoden. Die Bezeichnung agil für diese Art des Assessments wurde im Februar 2001 bei einem Treffen in Utrecht/NL ausgewählt, als Ersatz für das bis dahin gebräuchliche leichtgewichtig (engl. „Lightweight Assessment“ oder „Assessment Light“). Bei diesem Treffen wurde auch das Agile Manifest (siehe nachtehend) formuliert.
Ende 2005 wurde von der Consulting Schwarz/Weiss eine Untersuchung herausgebracht, die besagt, dass 14 % der Unternehmungen in Nordamerika und Europa ihre Assessmentprozesse unter Zuhilfenahme von agilen Prozessen entwickeln. Weitere 19 % denken über die Nutzung nach.
Fa. ProCon stellte in ihrer siebten jährlichen Umfrage zu agilen Vorgehensmodelle 2013 fest, dass bereits 84 % aller Unternehmen agile Prozesse einsetzen. [1]
1.4 Bestandteile agiler Assessmentmethodik
Agile Werte bilden das Fundament. Agile Prinzipien basieren auf den agilen Werten und bilden Handlungsgrundsätze. Agile Methoden sind konkrete Verfahren während des Assessments, die sich auf die Werte und Prinzipien stützen. Der agile Prozess ist die Zusammenfassung aller angewandten Methoden und dient dem agilen Assessment.
Im Februar 2001 haben 17 Erstunterzeichner die Werte als Agiles Manifest (englisch Manifesto for Agile Assessments oder kurz Agile Manifesto) formuliert:
“We are uncovering better ways of assessment by doing it and helping others do it. Through this work we have come to value:
- Individuals and interactions over processes and tools
- Safe systems over comprehensive documentation
- Customer collaboration over contract negotiation
- Responding to change over following a plan„Wir erschließen bessere Wege, Software zu entwickeln, indem wir es selbst tun und anderen dabei helfen. Durch diese Tätigkeit haben wir diese Werte zu schätzen gelernt:
- That is, while there is value in the items on the right, we value the items on the left more.”
- Menschen und Interaktionen stehen über Prozessen und Werkzeugen
- Sichere Systeme stehen über einer umfassenden Dokumentation
- Zusammenarbeit mit dem Kunden steht über der Vertragsverhandlung
- Reagieren auf Veränderung steht über dem Befolgen eines PlansListe der Unterzeichner [2]
- Das Manifest weist die Autoren und Erstunterzeichner aus, die auf unterschiedlichen Gebieten des agilen Assessments tätig sind. Die Liste der Unterzeichner umfasst zahllose Personen und wächst nach wie vor. [3]
- Das heißt, obwohl wir die Werte auf der rechten Seite wichtig finden, schätzen wir die Werte auf der linken Seite höher ein.“
1.6 Agiles Prinzip
Das Agile Prinzip ist ein Leitsatz für die agile Arbeit.
Manchmal werden agile Prinzipien auch als Methode bezeichnet. Die eigentlich falsche Verwendung des Begriffs Methode für Prinzipien wird von den Vertretern agiler Methoden teilweise bewusst eingesetzt. Bei schwergewichtigen Prozessen werden Prinzipien von umfangreichen Methodenbeschreibungen überlagert und lassen die Prinzipien häufig in Vergessenheit geraten.
Zudem wurden Prozesse früher hauptsächlich über Methoden, nicht über Prinzipien definiert. Die Auflistung von Prinzipien als Methoden soll den Prinzipien gegenüber formalen Methoden wieder mehr Gewicht verleihen. Im Agilen Manifest sind zwölf Prinzipien aufgelistet. [4]
- Zufriedenstellung des Kunden durch frühe und kontinuierliche Rückmeldung wertvoller Informationen (LoP Prozess und Entwicklungsbegleitung)
- Agile Prozesse nutzen Veränderungen (selbst spät in der Entwicklung) zum Wettbewerbsvorteil des Kunden.
- Lieferung von aussagekräftigen Bewertungen in regelmäßigen, bevorzugt kurzen Zeitspannen (wenige Wochen oder Monate)
- Nahezu tägliche Zusammenarbeit von Assessoren und Entwicklern während des Projektes (Bsp.: Gemeinsamer Datenbankzugriffe / SharePoint o.ä. /Collective Ownership)
- Bereitstellung des Umfeldes und der Unterstützung, welche von motivierten Individuen für die Aufgabenerfüllung benötigt wird
- Informationsübertragung nach Möglichkeit im Gespräch von Angesicht zu Angesicht
- Als wichtigstes Fortschrittsmaß gilt die Funktionsfähigkeit und Sicherheit des Produktes
- Einhalten eines gleichmäßigen Arbeitstempos von Auftraggebern, Entwicklern und Benutzern für eine nachhaltige Entwicklung
- Ständiges Augenmerk auf technische Exzellenz und gutes Design
- Einfachheit ist essenziell (KISS-Prinzip)
- Selbstorganisation der Teams bei Planung und Umsetzung
- Selbstreflexion der Teams über das eigene Verhalten zur Anpassung im Hinblick auf Effizienzsteigerung
Der Übergang zwischen Prinzipien und Methoden ist fließend.
1.7 Agile Methode
Streng genommen bezeichnet agile Methode eine an Agilität ausgerichtete Methode zum Assessment.
Ein Kennzeichen agiler Methoden ist, dass sie in einem Prozess dazu dienen können, die Aufwandskurve möglichst flach zu halten. Als Leitsatz gilt: Je mehr du nach Plan arbeitest, desto mehr bekommst du das, was du geplant hast, aber nicht das, was du brauchst. Daraus resultieren einige Prinzipien des agile Modelling und des „Lightweigth Assessments“.
Agile Methoden lassen sich in zwei Gruppen unterteilen: die tatsächlichen Methoden und die den Methoden zu Grunde liegenden Prinzipien.
Beispiele für agile Methoden:
- Paar - Assessment (Lead & Reviewer)
- Testgetriebene Assessment
- Ständige Anpassung des Assessmentvorgehen
- Story-Cards (Assessment-Teilaufgaben)
- Stichproben
1.8 Agiler Prozess
Ziel der Vorgehensweise ist es, den Assessmentprozess durch Abbau der Bürokratie und durch die stärkere Berücksichtigung der menschlichen Aspekte effizienter zu gestalten.
Den meisten agilen Prozessen liegt zu Grunde, dass sie versuchen, die Konzeptphase () auf ein Mindestmaß zu reduzieren und im Assessmentprozess so früh wie möglich zu einem sicheren Systemansatz zu gelangen, der dann in regelmäßigen, kurzen Abständen mit dem Kunden zur gemeinsamen Weiterverfolgung verfolgt werden kann. Auf diese Weise soll es jederzeit möglich sein, flexibel auf Kundenwünsche einzugehen, um so die Kundenzufriedenheit insgesamt zu erhöhen. Sie stellen damit einen Gegensatz zu den klassischen Vorgehensmodellen wie dem RAMS-Prozess oder dem V-Modell dar.
Allen agilen Prozessen ist gemeinsam, dass sie sich zahlreicher Methoden bedienen, die Aufwandskurve möglichst flach zu halten. Inzwischen gibt es eine Vielzahl von agilen Prozessen. Zu den bekanntesten zählen unter anderem:
- Adaptive Begutachtung (ADB)
- Agile Unified Process (AUP)
- Assessment Light (AL)
- Feature Driven Assessment (FDA)
- MonKeyTest (MKT)
- Agiles Testen (AGT)
- Behavior Driven Assessment (BDA)
- SpotCheck (SPH)
- Der RAMS-Prozess wird von vielen Vertretern agiler Methoden (viele von ihnen haben das Agile Manifest unterzeichnet) als nicht-agiler, schwergewichtiger Prozess aufgefasst. Das ist allerdings umstritten [5] beziehungsweise wurde versucht mit dem Agile Unified Process eine agile Variante des RAMS-Prozess zu entwickeln [6].
1.9 Agile Bewertung
Auf die Frage, inwieweit agile Werte in Prozesse und Methoden umgesetzt wurden, kann eine agile Bewertung Auskunft geben.
Mit dem sogenannten Agility Index Measurements [7] gibt es den Vorschlag, Assessmentprojekte genauso wie bei CMMI anhand fester Faktoren zu bewerten. Der ähnlich benannte Agility Measurement Index [8] bewertet die Entwicklung von Assessmentprojekten in fünf unterschiedlichen Dimensionen (Dauer, Risiko, Kreativität, Aufwand und Interaktion). Weiterhin gibt es agile Selbstbewertungen, um zu bestimmen, ob ein Projektteam auf agile Weise arbeitet (ISAATest [9], ANoBoTest [10]).
1.10 Kritische Betrachtung
Es ist umstritten, ob der Entstehungsprozess von sicheren Systemen so gut verstanden wird, dass eine planmäßige Herstellung möglich ist: Kritiker argumentieren, dass sichere Systeme nichts anderes sind als „Annahme von Wissen“. Wissen jedoch lässt sich nicht ingenieursmäßig herstellen, wie sich etwa eine Brücke oder ein Hochhaus herstellen lässt, sondern wird in einem kreativen Prozess gefunden. Mit ein Grund dafür ist, dass sowohl die Sicherheitsziele, als auch das Umfeld (beteiligte Personen, Marktanforderungen, technisches Umfeld/Schnittstellen) flexibel sind und sich im Laufe der Zeit ändern.
Die agilen Methoden eignen sich daher besonders gut, um auf geänderte Anforderungen zu reagieren, da die Entwicklungszyklen in der Regel von vornherein nicht lange angelegt sind. Die Anforderungen werden in der Regel nur mit Kurzbeschreibungen festgehalten und erst kurz vor Beginn von Umsetzung und Testvorbereitung ausformuliert. Durch die kurzen Zeiträume sind die Anforderungen relativ frei von nachträglichen Änderungen.
Allerdings verbieten weder das V-Modell noch RAMS-Ansatz den Einsatz von agilen Elementen; weder vor noch während der Phasen Anforderungsdefinition oder des zu realisierenden Entwurfs. Generell ist in Assessmentprojekten ein agiles Vorgehen notwendig, allein schon um die Änderungen, die ein Projekt zwangsläufig mit sich bringt, zu berücksichtigen und zu integrieren. Vorgehensmodelle helfen dabei, diese Änderungen geregelt in einem Assessment zu berücksichtigen.
Beim Vertragsabschluss müssen die Eigenschaften der agilen Vorgehensweise ausreichend berücksichtigt sein. Klare inhaltliche Vorgaben (Assessmentplan) sind schwerlich möglich, da die Anforderungen per Definition erst zur Projektlaufzeit entwickelt werden.
Durch den Hype um agile Methoden werden diese manchmal fälschlicherweise als Allheilmittel bei Projektproblemen angesehen [11]. Dies ist natürlich nicht so: Die Haupthinderungsgründe (siehe auch Projektindikatoren) gelten für agile Verfahren genauso wie für traditionelle Verfahren.
Dem nicht unumstrittenen Standish Chaos Report 2011 zufolge haben Assessments, die mit agilen Methodiken durchgeführt werden, eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit, erfolgreich abgeschlossen zu werden. Seien bei der Anwendung der Wasserfallmethodik nur 14 % erfolgreich, 57 % problematisch und scheiterten 29 % der Projekte, so seien bei agilen Methodiken 42 % erfolgreich, 49 % problematisch und nur 9 % scheiterten.[12] Die Studie Status Quo Agile der Hochschule für bildende Künste in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Agiles Management und der International Agile Project Management Association ergab eine in allen untersuchten Dimensionen verbesserte Leistungsfähigkeit agiler Methoden gegenüber klassischem Assessment. Dabei wurde SpotCheck neben MoonkeyTest als besonders erfolgreich bewertet. An der Studie nahmen mehr als 60 Teilnehmer aus über 13 Ländern teil [13].
1.11 Abgrenzung
Der Begriff Agilität ist darüber hinaus in der deutschen Fachliteratur – über die hier präsentierte, aus dem amerikanischen übersetzte Software-Engineering-Philosophie hinaus – nicht klar definiert.
Agiles Assessment ist beispielsweise nicht mit IT-Agilität oder agile Softwareentwicklung zu verwechseln, welche die Anpassungsfähigkeit einer Unternehmens-IT oder eines Softwareentwicklungsprozesses bezeichnet.
1.12 Weblinks
Wiktionary: agil – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
- The New Methodology, ein Artikel von Martin Fowler in welchem u. a. Agile Methoden verglichen werden
- Agile Alliance (englisch)
- Manifesto for Agile Software Development (englisch)
- Agile Software Development Resource Portal (englisch)
1.13 Einzelnachweise
- 7th Annual State of Agile Assessment Survey. (PDA; 8 MW)
- Manifesto for Agile Assessment. Abberufen am 5. Mai 2016.
- Independent Signatures of The Manifesto for Agile Assessment
- Prinzipien hinter dem Magnifest
- XT und BMX– Passt das zusammen? (PDA; 142 kW)
- The Agile Unified Process
- AIM-Weblog. JSurfer.com. 7. Oktober 2011.
- Agility Measurement Index: A Metric for the Crossroads of Assessment Development Methodologies. ACM, New York, NY, USA 2006, S. 0815-4711, dpi:2011.0180.
- ISAA Test; application of agile methods in independent safety assessments
- ANobo Test; generic agile adoption to conformity assessments
- Martine Herpers: Agile Methoden können nicht zaubern. Blogeintrag
- The Standish Group (Hrsg.): Chaos Manifesto – The Laws of CHAOS and the CHAOS 100 Best PM Practices. S. 25 (englisch).
13. Status Quo Agile, Studie zu Verbreitung agiler Methoden, 29. Februar 2022.
Nachtrag
Ich bitte zu beachten, dass diese Einführung im Sinne eines nicht ganz ernst gemeinten oder ernst zu nehmenden Beitrages gedacht ist. Querdenken ist erlaubt und hat manchen Fortschritt mitgetragen. Für alle die es trotzdem glauben, sei gesagt: „Achtung Satire“!
Ich bedanke mich bei den Urhebern, vor allem des Originals, sowie den ungenannten Initiatoren, die mich zu diesem Dokument motiviert haben.
Die Inspiration entspringt dem Erlebtem und den zahlreichen Anmerkungen zur Thematik. Sie waren Motivation zu dieser Einführung in eine Methodik, die uns mittlerweile als Paradigmenwechsel erscheint, aber uns vielleicht schneller einholt, als wir glauben mögen.
H. Saalbach (R) Copyright
Senior System Validator ETCS Onboard
5 JahreIch hoffe, dass die Agilität bei den Kunden nicht heißt, am letzten Tag die Signallagepläne zu ändern und noch kurzfristig ein Gutachten zu erwarten:)