Kluge Stoffe.
Kleidung schützt nicht nur vor Kälte und Hitze. Dank Hightech-Garnen und kreativen Ideen kann sie noch viel mehr. Die Schoeller Textil AG in Sevelen gehört zu den führenden Innovatoren der Branche. Deren Stoffe sind nicht nur intelligent, sondern auch nachhaltig.
Aus der 1868 gegründeten Kammgarnspinnerei ist mittlerweile eine weltweit agierende Firmengruppe mit rund 200 Mitarbeitenden entstanden. Insbesondere der technische Fortschritt ermöglichte Schoeller Textil ein rasches Wachstum nach dem Zweiten Weltkrieg. Kunstfasern wie Nylon oder Lycra wurden aus den USA nach Europa importiert. Schoeller wusste diesen Trend zu nutzen und entwickelte elastische Stoffe – für die ersten Stretch-Skihosen. Die kratzige Wollhose beim Skifahren war somit Geschichte.
Als klassisches Industrieunternehmen war Schoeller zunächst stark von den Ideen der Zulieferer abhängig. Als die Innovationszyklen immer langsamer wurden, nahm der Textilproduzent die Zügel selbst in die Hand und begann zu forschen und zu entwickeln. Heute ist Innovation für Schoeller die Triebfeder schlechthin. Rund 20 Prozent der Mitarbeitenden des Unternehmens sind in der Forschung und Entwicklung tätig. Sie tauschen sich in interdisziplinären Teams aus, die aus Wissenschaftlern und Spezialisten aus den Bereichen Chemie, Elektronik, Medizin und Design bestehen. Das Team wird durch Trendforscher, Textiltechniker und Anwender ergänzt. Gemeinsam tüftelt man mit Grosskunden an neuen Ideen – angeregt von branchenfremden Lösungen.
Von Enten und Lotusblüten inspiriert Auch von der Natur schaut sich Schoeller einiges ab. Die sogenannte Bionik – das Übertragen von Naturphänomen auf die Technik – wusste schon Leonardo da Vinci zu nutzen. Der Künstler und Architekt versuchte, den Vogelflug auf die Flugmaschinen zu übertragen. Die heutige Flugtechnik basiert zu einem wesentlichen Teil auf seinen Erkenntnissen. Schoeller hat sich Entenvögel genauer angeschaut. Diese tauchen ins Wasser, während ihr Federkleid trocken bleibt. Wie alle Wasservögel produzieren sie ein öliges Sekret, das ihr Gefieder wasserabweisend macht. Das müsste doch auch bei Stoffen funktionieren. Schoeller entwickelte die Idee einer besonderen Imprägnierung – mithilfe von Paraffinketten, die sich in einem sehr dünnen Film spiralförmig um einzelne Fasern legen. Das Resultat: Wassertropfen oder wässriger Schmutz bleibt dadurch nicht auf dem Stoff haften.
Für «NanoSphere» beobachtete man die Lotusblume. Diese hat eine besondere Oberfläche, auf der Schmutz und Wasser abperlt. Die Stoffe, die Schoeller hierzu entwickelt, werden durch Nanotechnologie verändert. Folglich entsteht eine strukturierte, raue Oberfläche – ähnlich wie sie Lotusblüten haben. Wasser und Schmutz dringen demnach nicht in die Kleidung ein und können leicht mit Wasser abgespült werden.
Schoeller produziert Stoffe für Sport, Arbeit, Lifestyle und Freizeit. Abnehmer sind nicht nur grosse Golfsportlabels wie Alberto, sondern auch Pikeur, die elastische und Stretch-Reithosen aus den Schoeller-Stoffen herstellen. Und der hochwertige Stoff der Rennanzüge verschiedener Ski-Alpenkader kommt ebenso aus Sevelen. Dank Schoeller können Konsumenten auch bei Hitze schwarze Kleidung tragen, ohne ins Schwitzen zu kommen. Textilien mit dunklen Farben heizen sich naturgemäss rasch auf.
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Mit der Erfindung «Coldblack» wird dieser Effekt reduziert. Zudem sorgt sie für einen zuverlässigen Schutz gegen UV-Strahlen. Die Veredlungstechnologie wird sowohl für die Herstellung von Kleidung als auch für Sonnensegel, Markisen und Zelte eingesetzt. Spezielle Kleidung entwickelt Schoeller ausserdem für die Motorradszene, etwa für die Marke Rokker Company. Die originelle Jeans für Töfffahrer bietet Schutz sowie Sicherheit und trifft darüber hinaus die Bedürfnisse der modebewussten Lifestyle-Fahrer auf zwei Rädern.
Auch Kleider brauchen Prototypen Bis Kleidung mit einer von Schoeller entwickelten Textiltechnologie im Handel erhältlich ist, dauert es oft mehrere Jahre. «Wir stellen unsere Ideen den Kunden vor, diese machen wiederum Versuche und erstellen Prototypen», erklärt Dagmar Signer, PR-Managerin bei Schoeller. Sie arbeitet bereits seit 18 Jahren für den Stoffproduzenten in Sevelen. Die gebürtige Deutsche hat während dieser Zeit einen Wandel der Materialien und Kundenbedürfnisse festgestellt. «Vor 15 Jahren wurde die Naturfaser von der Kunstfaser abgelöst – insbesondere bei Sportbekleidung», erzählt sie. «Seit geraumer Zeit wird Wolle wieder gerne getragen.» Die natürlichen Stoffe werden mit synthetischen Materialien kombiniert und zu einem vielseitig einsetzbaren Hightech-Produkt veredelt.
Die Stoffe der Zukunft Sport und Beruf vermischt sich zudem immer mehr zu einer urbanen Lifestyle-Mode. Signer führt diese Entwicklung auf die Veränderung der Lebens- und Arbeitsgewohnheiten zurück. Der Mensch sei heutzutage mobiler, und die flexiblen Arbeitszeitmodelle wie Home Office wirkten sich auch auf die Kleidung aus. Die Veränderungen wissen auch andere Anbieter zu nutzen. So arbeitet etwa Jeanshersteller Levi’s zusammen mit Google an einem neuen Stoff, der Baumwolle, Polyester und Seide in ein sogenanntes Trackpad verwandeln soll. Ziel des Projekts «Jacquard» ist es, Smartphones und andere Geräte mit einem Wisch übers Hosenbein bedienen zu können. Bisweilen wird aber erst daran getüftelt. Gerhard Tröster, Professor für Elektronik an der ETH Zürich, prognostiziert für intelligente Kleidung ein starkes Wachstum in den nächsten Jahren. Für ihn ist sie die Interaktionsplattform schlechthin, denn «nichts ist uns näher als unsere Kleidung.» Marktpotenzial besteht laut Tröster insbesondere in den Bereichen Sport, Lifestyle, Gesundheit, Medizin und Fertigung. Tröster experimentiert seit 2002 mit «Wearable Computing». Grenzen bei der Entwicklung von intelligenter Kleidung sieht er in einem Gegensatz: im hohen Komfort und im niedrigen Preis. «Smarte Kleidung muss zudem einen deutlichen Mehrwert bieten», so Tröster. Derselben Meinung ist Signer. «Sie muss mehr können, als eine herkömmliche Fitnessuhr oder eine Smartwatch.» Schoeller forscht daher mit Partnern auch in den Bereichen Gesundheit und Medizin. Eine grosse Herausforderung dürfte ebenso die Eingliederung in den Produktionsprozess sein. «Kleidung wird häufig in Billiglohnländern gefertigt», sagt Tröster. Zudem seien Fragen wie: «Wer vermarktet und wer wechselt die Batterie – der Textilproduzent oder der Elektronikhersteller?», noch nicht beantwortet.
Zusammenarbeit mit Umweltaktivisten Schoeller produziert Textilien ausschliesslich in der Schweiz und hält bewusst am Standort Sevelen fest. Das Textilunternehmen legt neben der Innovation auch grossen Wert auf die umweltfreundliche Herstellung. Es produziert Stoffe, die den hohen Anforderungen von Bluesign entsprechen. Das Label zählt zu den weltweit strengsten ökologischen Textilsystemen.
Schoeller lässt sich auch im Bereich Nachhaltigkeit von mehreren Spezialisten inspirieren. Seit 2015 arbeitet es deshalb mit David Mayer de Rothschild zusammen. Der Abenteurer, Ökologe und Unternehmer machte in den vergangenen Jahren mit Expeditionen auf den Klimawandel aufmerksam. So hat der aus einer Bankiersfamilie stammende Brite 2009 beispielsweise den Pazifischen Ozean von Nordamerika nach Australien mit einem Floss aus Plastikflaschen und Recycling-Materialien gesegelt. Bei Schoeller ist er als Umweltbotschafter tätig und bringt Ideen ein, wie das Unternehmen noch nachhaltiger werden kann. Aus dieser Zusammenarbeit ist bereits das erste gemeinsame Projekt «Corkshell» entstanden. Es handelt sich dabei um Kleidung, die sowohl wasserabweisend als auch ausserordentlich atmungsaktiv ist und angenehm isoliert. Wie so oft besticht die Produktidee durch ihre Einfachheit: Als Rohstoff nutzt Schoeller Reste aus der Weinkorken-Produktion. Das Unternehmen verstärkt damit auch seine Absicht, Recyclingmaterial für die Kleidung zu verwenden und den ökologischen Fussabdruck klein zu halten. Diese Pläne dürften weiteren interessanten Stoff bieten – auch für künftige Erfolgsgeschichten aus dem Hause Schoeller.
Text: Silke Knöbl. Fotos: Schoeller Textil AG. Der Beitrag ist im Magazin "Kultuhr" von Huber Fine Watches & Jewellery erschienen. www.huber.li