Kritik – Theater Akzent: Gebrüllt vor Lachen
Stefano Bernardin und Dagmar Bernhard. Bild: Karl Satzinger

Kritik – Theater Akzent: Gebrüllt vor Lachen

VON MICHAELA MOTTINGER

Zwei sympathische Psychopathen

Als Christopher Durang vor mehr als dreißig Jahren sein Stück „Gebrüllt vor Lachen“ verfasste, der Titel einem Zitat von Samuel Beckett entliehen, spiegelte es die Angst vor dem Gerade-erst-Begreifen von Aids wider, laut damaligen Papst-Zitat Gottes verseuchende Antwort auf die Sünde Schwulsein. Der Meister der absurden Satire, immer wieder befasst mit Kirche und Kindesmissbrauch und (Homo-)Sexualität, schrieb eine Abrechnung mit Religion und deren Ersatzformen von Selbsthilfetherapien bis Konsumrausch. Die könnte aktueller kaum sein. Und wurde deshalb nun von Regisseur Hubsi Kramar im Theater Akzent mit Stefano Bernardin und Dagmar Bernhard inszeniert.

Der Inhalt, treffen sich ein Mann und eine Frau am Thunfischregal, klingt wie der Beginn eines Witzes. Und irrwitzig wird’s im Verlauf des Abends auch. Dieser setzt sich aus zwei Monologen und einer Albtraumsequenz zusammen. Erst berichtet sie über einen Ignoranten, der ihr den Weg zur Supermarktstellage verstellt, doch spricht sie ihn deswegen nicht etwa an, sondern steigert sich still in ihren Zorn hinein – bis sie ihn auf den Kopf schlägt. Dann er. Bemüht im Negativsten noch das Positive zu sehen, von wegen halbvollem Glas und so. Und schließlich die Konfrontation in Form einer Talkshow, die Thunfischdosenszene in x Varianten, und alle enden sie in Gewalt.

Bernhard und Bernardin machen die Aufführung mit Temperament und viel Gespür fürs Timing zu einer verspielt-verschrobenen Geschlechterschlacht. Zwei Stadtneurotiker treffen da aufeinander, sie in ihrem Vortrag explosiv und laut und nicht immer politisch korrekt, er als Klischee-Hipster mit Haarband und Hawaiihemd und „Kumbaya“ singend – und immer wieder schafft es Kramar mitten im größten Tralala, dass einem das Lachen im Hals stecken bleibt. Etwa, wenn die Frau was von Nervenheilanstalt schwadroniert, und sich als Pessimistin mit Hass auf alle Glücklichen enttarnt. Wenn sie das Publikum direkt anspricht, wird rasch klar, dass die akrobatische Performance so humorvoll wie hintergründig ist. „Gebrüllt inmitten allerheftigsten Leids“ lautet übrigens das Beckett-Zitat.

Bernhard nervt ganz großartig mit ihrem enervierenden Lachen, mit ihrer Geschwätzigkeit, mit der sie mehr als eine halbe Stunde über die Köpfe der Zuschauer hinwegfegt, immer knapp vor Zusammenbruch, mit wenigen nachdenklich stillen Momenten, so dass man im manisch-depressiven Auftritt der Frau tatsächlich die Wirkung von Tabletten vermutet. Bernardin wiederum brilliert als Hypochonder und Selbstbemitleider, sein Vortrag nicht weniger erhitzt und hektisch, obwohl er versucht, mit Harmoniezeremonie und good vibrations und einem Om auf den Lippen, den eben erlebten Vorfall zu begreifen.

Dem Superöko und der Thunfischterroristin hat Kramar, anders könnte es bei ihm gar nicht sein, ein paar tagesaktuelle Sager über Abschiebungen, Ausländerfeindlichkeit und anderen aggressiven „Österreich zuerst“-Standpunkten in den Mund gelegt, doch unterm Strich bleiben die beiden einfach zwei sympathische Psychopathen.

Und während der Mann sich mit seiner Spiritualität und seinem Faschistenvater abplagt, auf dem Höhepunkt der Groteske schwebt Bernardin als Prager Kindl vom Himmel herab, und sie beschließt, innere Weisheit nicht mehr in bewusstseinserweiternden Ratgebern zu suchen, während sie ihn erschießt und abwatscht und er sich nicht wehrt, kommt der Frau die allumfassende Erkenntnis, die sie natürlich sofort mit dem Publikum teilt: „Ich geb‘ Ihnen einen Schlüssel zur Existenz: Immer atmen. Das ist die Grundlage des Lebens, das ist im Grunde die Grundlage. Wenn Sie nicht atmen, sterben Sie.“ Süßer Augenblick einer großen Sehnsucht. Der die dafür dargebotenen Gemeinheiten fast schon wieder wett macht ...

Die ganze Rezension: http://www.mottingers-meinung.at/?p=30487

15. 11. 2018

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