Kritik – Wiener Festwochen: Der Auftrag. Erinnerung an eine Revolution

Kritik – Wiener Festwochen: Der Auftrag. Erinnerung an eine Revolution

VON MICHAELA MOTTINGER

Mehr Heiner Müller geht nicht

Das mit den Königspudel-Cheerleadern erschließt sich nur bedingt. Wegen des von der ErstenLieben verlangten Vergewaltigungsakts mit der „schwarzen Hündin“? Au, Hirnverstauchung, das wär‘ aber ums Eck gedacht. Na, macht ja nix. Das Regieduo Tom Kühnel und Jürgen Kuttner zeigt bei den Wiener Festwochen Heiner Müllers „Der Auftrag. Erinnerung an eine Revolution“, und die Produktion aus Hannover hat auf ihrem Weg ans Theater an der Wien nichts an Farbe eingebüßt. Liberté, égalité, fraternité steht nicht nur in großen Lettern über der Bühne, sondern den Darstellern buchstäblich ins Gesicht geschrieben. Auch das letztlich eine Ins-Konzept-Quetschung, weil, was hatten Debuisson und das Ideal der Gleichheit aller Menschen je miteinander zu tun? Aber, apropos Idee und Konzept, Unterwerfung unter beide, so noch das Wörtchen Regie- davor steht, muss sein.

Und so laden Kühnel und Kuttner ins Varieté der Eitelkeiten, mittenrein also in die Politik, willkommen, bienvenue, welcome, was wird dieser Tage nicht ein Zirkus gemacht um politische Zeitenwenden, deren Stunde dann doch nicht schlägt. Es spricht, und zwar beinah ausschließlich, Heiner Müller himself. Die Regisseure machen den Mitschnitt einer Lesung aus dem Jahr 1980 zur Tonspur ihrer Inszenierung, das hat schon was, der DDR-Dichter und Andersdenker mit seiner nasalen, schmucklosen Stimme, die sich nie hebt und nichts hervorhebt, und man weiß spätestens jetzt, warum Heiner-Müller-Stücke als enigmatisch zu gelten haben: Die Schauspieler haben ihn mutmaßlich nicht verstanden, akustisch heißt das, übers Metaphorische lässt sich ohnedies nur orakeln.

Der Star in der Manege ist Corinna Harfouch als Debuisson, angetan als Weißclown und den Großteil des Abends als Müllers stumme Dienerin beschäftigt. Erst beim Fahrstuhl-Monolog darf sie die eigene Stimme erheben. Das tut sie anfangs karikaturhaft sächselnd, bis ihr das Clownesk-Komödiantische ins Grauen wegbricht. Dies ungefähr auch die beiden Temperaturen, zwischen denen die Aufführung wechselt. Wie sie ihren Debuisson mit großen, beinah stummfilmhaften Gesten, weil die Figur hier ja allegorisch-überlebensgroß erscheint, über die Bühne schiebt, ist eine Sensation. Sie hat sich selbst choreografiert, ihren Auftritt mit eckigen Bewegungen wie ein bizarres Ballett ausgestaltet. Harfouch ist der Höhepunkt des Abends. Ihre Mitrevolutionäre sind Janko Kahle als roter Löwenbändiger-Galloudec und Hagen Oechel als ein Sasportas, dem der Glaube an die Freiheit so eingebläut wurde, dass sich sogar seine Haut danach färbte. „Wir sind nicht gleich, bis wir einander nicht die Haut abgezogen haben“, sagt die Figur einmal und in diesem Fall könnte diese ihr Outfit an die Blue Man Group verleihen.

Artisten Tiere Attraktionen. In der nächsten Abteilung eine Käfignummer, ein Zaubertrick, der aber niemanden entfesselt. Der sterbende Sklave, dessen die drei Emissiäre der Französischen Revolution bei ihrer Ankunft auf Jamaika als erstes ansichtig werden, muss in seinem Foltergefängnis verbleiben. Sie wissen schon, Zitat „Einem können wir nicht helfen“. Mit solcherart skurrilbunten Bildern und den sphärisch mahlenden Postrockklängen der „Tentakel von Delphi“ rund um Harfouch-Sohn Hannes Gwisdek geht es weiter. Antoine nebst Gattin sind zu biederbourgeouiser Petite-Fleur-Kaffeekanne nebst Tasse mutiert, er hat den überdimensionalen Ausgießer genau da, wo, wenigstens das ein Glück; den Brief, der die Rückblende einleitet, überreicht ausgerechnet einer der Matrosen von Kronstadt. Rote-Fahne-Schwenken inklusive. Die ErsteLiebe lebt mit ihren Pudeln offensichtlich auf Tara, schlechte Tonqualität und Uralttechnicolor, jetzt passt das endlich, und Billie Holiday singt „Strange Fruit“. Das „Theater der weißen Revolution“ ist ein hinreißend gestalteter Livecomicfilm, in dem sich Danton und Robespierre zum „Rocky“-Theme die Pappkameradenköpfe einschlagen. Heiner Müller im Wunderlichland. Und an der Assoziationskette leuchten alle Tricolore-Lichter.

Dass das alles über weite Strecken aufgeht, ist erstaunlich, aber Tatsache: Idee + Konzept = Regie. Kühnel und Kuttner haben ihren Auftrag erfüllt. Mehr Heiner Müller geht nicht. Nicht nur, weil Jürgen Kuttner als dessen quasi Alter Ego mit Krankenkassenbrille und zerlebter Lederjacke die Veranstaltung moderiert ...

Die ganze Rezension:

http://www.mottingers-meinung.at/?p=20189

Wien, 24. 5. 2016

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