Litauen statt Liechtenstein
Auf dem Weg zum Fintech-Hub: Vilnius, die Hauptstadt von Litauen. (istockphoto)

Litauen statt Liechtenstein

Wann hat Sie die letzte digitale Innovation so richtig überrascht? Also nicht einfach eine nette, neue Funktion, sondern ein echtes Aha-Erlebnis? Vermutlich ist das schon etwas her, denn Revolutionäres bringen die Technologie-Giganten schon länger nicht mehr hervor: Facebook hat sich für die Nutzer in den letzten Jahren kaum verändert. Das neuste iPhone von Apple zeigt jeweils ein paar schöne neue Features, aber weltbewegend ist das nicht mehr. Amazons Dienstleistung ist zwar auf höchstem Niveau, aber grundsätzlich seit Jahren die gleiche. Die NZZ stellte kürzlich fest: «Für die Konsumenten sind all die einst so aufregenden Produkte und Dienstleistungen zu einer gewissen Normalität geworden.» 

Riesen auf dem Zenith

Da erstaunen die ersten Anzeichen nicht, dass die grossen Tech-Firmen aus dem Silicon Valley ihren Zenith überschritten haben: Ihr Wachstum ist zwar immer noch beeindruckend, aber es verlangsamt sich. 

Was tun die Konzerne dagegen? Sie stecken gigantische Summen in die Forschung und suchen nach den Geschäfts­modellen der Zukunft. Apple und Alphabet experimentieren schon länger mit selbstfahrenden Autos. Facebook forscht intensiv an Künstlicher Intelligenz. In der kurzen Frist erweitern fast alle ihre Plattformen mit Unterhaltungsinhalten wie Filme und Musik sowie Werbemöglichkeiten. Dabei wildert mittlerweile jeder in des anderen Revier – wohl auch getrieben von der Furcht, dereinst selbst «disrupted» zu werden. Kurzum: Auch die Technologiegiganten scheinen nicht zu wissen, was das nächste grosse Ding ist. 

Bankkonto in wenigen Minuten

Wer wieder mal ein echtes digitales Erweckungserlebnis haben möchte, muss also auf kleinere Firmen ausweichen. Zum Beispiel auf eine der zahlreichen Online-Banken, die seit einiger Zeit auf den Markt drängen. «Revolut» ist eine davon, «N26» eine andere. Beide versprechen die Kontoeröffnung innerhalb weniger Minuten.

Und tatsächlich: Bei «Revolut» muss man lediglich seine Daten angeben, den Personalausweis fotografieren und einsenden, einige Bestätigungs-SMS abwarten und schon ist das Konto bereit. Anschliessend kann direkt eine Debit- oder Kreditkarte bestellt werden. Einziger Haken: Man erhält derzeit noch keine eigene IBAN-Nummer. Zahlungen aufs eigene Konto müssen via Credit-Suisse-Korrespondenzkonto abgewickelt werden. Der gesamte Eröffnungsprozess dauert wenige Minuten – das ist unschlagbar. 

Bei «N26», einem deutschen Start-up, geht die Eröffnung nur minimal länger, denn dort erfolgt die Identifikation via Live-Videochat mit einem Verifizierungsdienst. Dafür erhält man umgehend eine individuelle deutsche IBAN und die Kredit-/Debitkarte zum Konto wird automatisch versandt.

Das Onboarding dieser Online-Banken ist ein echter Game-Changer: Noch nie hat es so viel Spass gemacht, einen bürokratischen Akt wie eine Kontoeröffnung zu vollziehen. Noch nie ging es so schnell und unkompliziert. 

Wie ist das möglich? Warum müssen wir uns hierzulande mit Fatca-Erklärungen, KYC-Prozessen und «Vereinbarungen zur Benutzung unverschlüsselter Kommunikationskanäle» herumquälen? 

Litauen positioniert sich  

Seit der «Liechtenstein Declaration» ist für Liechtenstein die Seriösität, der Ruf und die Glaubwürdigkeit des Finanzplatzes oberstes Gebot. Start-ups wie «Revolut» und «N26» sind mit Risiken verbunden, insofern ist eine gewisse Zurückhaltung nachvollziehbar.  

Andererseits schmerzt es, wenn man die Erfolgsmeldungen anderer Länder liest, beispielsweise von Litauen: Das Land im Baltikum will ein führender Fintech-Hub werden – und damit zum Portal für den EU-Markt. Google Pay, Barclays, Western Union und die Nasdaq sind bereits in Litauen. «Dass sich viele Finanz-Startups in Litauen bilden und niederlassen, ist besonders dem regulatorischen Umfeld zu verdanken», schreibt die Handelszeitung. Attraktives Regulierungsumfeld, Zugang zum EU-Markt – waren das nicht mal Liechtensteins Vorzüge?

Immerhin strich uns Litauen per 1. Januar 2019 von der Steuerliste («List of Target Territories»). Litauen «würdige damit die Fortschritte Liechtensteins» in diesem Bereich, hiess es von offizieller Seite. 

Die Online-Bank «Revolut» hat ihren Sitz in Grossbritannien und verfügt ebenfalls über eine litauische Banklizenz, welche den europäischen Marktzugang sicherstellt. «N26» hat eine deutsche Banklizenz, weshalb man eine deutsche IBAN erhält. 

Auch das entbehrt nicht einer gewissen Ironie: Früher kamen die Deutschen und Briten nach Liechtenstein, um ein Konto zu eröffnen – jetzt müssen wir auf deutsche und britische Start-ups zurückgreifen, wenn wir ein Online-Konto wollen.

Zuerst erschienen im ligital-Newspaper des Liechtensteiner Vaterlands vom 12. Februar 2019 / ligital.com

Jörg Eugster

Keynote Speaker Digitalisierung / Zukunftsbotschafter © / MBA / Internet-Unternehmer-Pionier

5 Jahre

Guter Artikel. Du hast ja sowas von recht.

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