Management von Tochtergesellschaften: Wenn der Homo Oeconomicus nur ein Sonderfall ist.
Die sehr einflussreiche traditionell ökonomische Principal-Agent Theorie hat hierzu eine klare Meinung: basierend auf den zwei Grundannahmen der Wirtschaftstheorie über menschliches Verhalten, dass nämlich Manager rational operierten und zuvorderst an ihren eigenen Erfolg dächten, muss eine Konzernzentrale mit opportunistischem Verhalten rechnen – also mit einem Verhalten, welches vor allem der Tochtergesellschaft nutzt, dem Gesamtkonzern unter Umständen aber schadet. Als Konsequenz plädiert die Theorie dafür, dass die Zentrale eine Reihe von Kontroll- und Anreizmechanismen einführt, um das Verhalten und auch die Ziele der Tochtergesellschaften in ihrem Sinne zu steuern. Damit reiht sich die traditionelle Principal-Agent Theorie in die lange Liste klassischer ökonomischer Theorien ein, deren Weltbild vom heftig kritisierten „homo oeconomicus“ bestimmt wird.
In einer aktuellen Studie, die im renommierten „Journal of Management“ veröffentlicht wurde, verlässt WU Prof. Dr. Phillip Nell diese eingetretenen Pfade. Zusammen mit zwei Koautorinnen argumentiert er, dass Konzerne oft auch kooperierende Tochtergesellschaften vorfänden, deren Manager von sich aus durchaus bemüht seien, im Interesse des Gesamtkonzerns zu handeln. Die Annahme des überbordenden Eigeninteresses in dieser absoluten Form halte dem Praxistest folglich nicht stand und müsse differenzierter betrachtet werden. Auch die Annahme der perfekten Rationalität von Managern sei nicht haltbar; eher sei davon auszugehen, dass das Management zwar beabsichtige, strikt rational zu agieren, in der Realität dann aber oftmals von dieser Vorgabe abweiche.
Mit welchen typischen Herausforderungen sieht sich die Konzernzentrale konfrontiert, wenn man die Annahme vollkommen rationaler und im Eigeninteresse handelnder Akteure fallen lässt? Die Autoren argumentieren, dass der Grad an Eigeninteresse und (eingeschränkter) Rationalität von Fall zu Fall variiere und die jeweilige Mischung das – zuweilen problematische – Verhalten der Tochtergesellschaft bestimme. Zum Beispiel könnten Tochtergesellschaften bemüht sein, die Vorgaben der Zentrale bestmöglich umzusetzen, scheitern dann unter Umständen aber daran, dass sie die Vorgaben falsch interpretieren oder sie unterschätzen den für die Umsetzung notwendigen Aufwand. Am Ende hat die Tochtergesellschaft tatsächlich nicht im Interesse des Gesamtkonzerns agiert – allerdings aus gänzlich anderen Gründen, als von der traditionellen Theorie unterstellt. Die Ursache des Fehlverhaltens ist insofern essentiell, als dass sie die Ausgestaltung (und mithin die Effektivität) der Kontroll- und Anreizmechanismen bestimmt. In der Praxis berichten viele Unternehmen von Problemen dieser Art, insbesondere solche mit Tochtergesellschaften in weit entfernten Wachstums- und Entwicklungsmärkten. Zum Beispiel hatte Siemens‘ Telekommunikationssparte massive Probleme mit ihrer Tochtergesellschaft in Bangalore: die Konzernzentrale hatte deutlich unterschätzt, welche unterschiedlichen Erfahrungen die indischen Manager und Programmierer hatten und wie unterschiedlich sie daher die Ziele und Eigenschaften eines neu zu programmierenden Produktes einschätzten.
In einem weiteren Schritt erarbeiten die Autoren die Gründe dafür, warum manche Tochtergesellschaften eher durch kooperatives als eigennütziges Verhalten charakterisiert werden können, und warum sie mal mehr oder weniger rational agieren. Sie entwickeln eine Reihe spannender neuer Hypothesen, wie der organisationale Kontext (z.B. die Organisationsstruktur) sowie der externe Kontext (z.B. wie stark sich der Heimatkontext der Unternehmung von dem der Tochtergesellschaft unterscheidet) das Verhalten der Tochtergesellschaften beeinflusst.
Diese Studie analysiert und erweitert die Vielschichtigkeit möglicher Ursachen und Folgen klassischer Prinzipal-Agent Probleme und ist damit weit näher an den Herausforderungen der Praxis als so manches hoch abstrakte Lehrbuchmodell!