Markenkommunikation im Geschwindigkeitswahn

Markenkommunikation im Geschwindigkeitswahn

From my column in the Neue Zürcher Zeitung style supplement Z (German only):

Markenkommunikation im Geschwindigkeitswahn

«You can still dunk in the dark.» Ein gewiefter Tweet von Oreo (nach Verkaufszahlen der beliebteste Keks der Welt) zum Stromausfall während der amerikanischen Superbowl vor zwei Jahren hat sich als Paradebeispiel für eine neue Art der Vermarktung etabliert: Real-Time-Marketing. Der Tweet wurde in Windeseile verbreitet. Wenig Aufwand aber grosse Wirkung, da glänzen die Augen des Marketing Managers. Seither versuchen Unternehmen auf Meme-Lawinen mitzureiten und kulturelle Events für Ihre eigenen Botschaften zu instrumentalisieren. Das geht so weit, dass während Grossereignissen Texter und Grafiker in Kommunikations-Kommandozentralen darum ringen, in Echtzeit virale Hits zu erzeugen.

«Echtzeit» ist auch sonst das Wort der Stunde im Marketing. Amazon passt die angezeigten Produktvorschläge prompt an individuelle Nutzerprofile an. Burberry verkauft die neuste Kollektion im Netz parallel zum Livestream vom Laufsteg. Und beim Real-Time-Bidding werden Internetbanner in Millisekunden an den meistbietenden Werber verkauft sobald eine Website aufgerufen wird – natürlich zielgruppengenau basierend auf dem Surfverhalten des jeweiligen Users. Zeitgleich mit der viel monierten Beschleunigung des Alltags ist der Geschwindigkeitswahn auch in der Markenkommunikation angekommen.

Dies generiert eine Flut an neuen sperrigen Marketing-Anglizismen (Cross-Device-Tracking etwa, oder Hyperlocal Targeting) und kreiert neue Job-Funktionen, stellt die Branche aber auch vor neue Herausforderungen: Waren Werber bisher gewohnt eine Kampagne über Monate sorgfältig zu planen, muss nun jeden Tag, jede Stunde, jede Minute reagiert werden. Gleichzeitig verlangt solche Agilität nach Autonomie, die sich nur schlecht mit den Hierarchiestufen in Konzernen verträgt. Neue Prozesse und Standards sind gefragt. Derweil stellt sich aber auch die Frage: Ist schneller wirklich besser? Manifestiert sich die Jagd auf Likes und Retweets auch in Markenwert und Verkaufserlösen? Oder verlieren Vermarkter ob der Rund-um-die-Uhr-Bespassung den Fokus auf Qualität und eine klare Positionierung, die doch so zentral sind für eine starke Marke?

So spricht manche Agentur unterdessen auch nicht mehr von Real-Time, sondern von Right-Time-Marketing. Ziel ist nicht der kurzlebige Hit, sondern der Aufbau von nachhaltigen Kundenbeziehungen durch aktuelle Inhalte, zwar relevant für den Kanal, die Zeit und den Ort, die aber auch im Voraus geplant werden können. Das ist richtig so. Eine starke Botschaft triumphiert über lautes Geschrei. Schlussendlich entstehen Marken ja vor allem durch Geschichten und Emotionen in den Köpfen der Konsumenten. Etwas Zurückhaltung im richtigen Moment feuert doch die Neugierde und das Verlangen erst so richtig an. Das ist auch in echten Beziehungen nicht anders.

First published: Z (NZZ supplement), 23 May 2015, page 32
z.nzz.ch

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