Marktkommentar August 2024
Foto: Martin Grünberger

Marktkommentar August 2024

English version below


Mit der hochsommerlichen Saison lohnt sich ein Blick zurück auf den Energieverbrauch der Welt im Jahr 2023. Trotz des starken Wachstums der erneuerbaren Energien, bleiben fossile Brennstoffe mit einem Anteil von 81,5 % an unserem Gesamtenergieverbrauch die weltweit dominierende Energiequelle, so Energy Institute's „Statistical Review of World Energy“. Um 2,0 % auf einen Rekordwert von 620 Exajoule stieg der globale Energiedurst an, seit 1986 hat sich die weltweite Energienachfrage verdoppelt.

Weitere spannende Zahlen: Der Anteil der fossilen Brennstoffe blieb nahezu konstant, von 81,9 % im Jahr 2022 auf 81,5 % im Jahr 2023, während der Anteil von PV- und Windenergie von 7,4 % auf 8,2 % stieg. Die weltweite Stromerzeugung stieg im Jahr 2023 um 2,5 % und erreichte ein Rekordniveau von 29.925 TWh. Eine Wachstumsrate, die auf eine zunehmende Elektrifizierung der Welt hindeutet. Allerdings nicht einheitlich: Im asiatisch-pazifischen Raum und im Nahen Osten wurde um etwa 5 % mehr, in Europa und Nordamerika ca. 1,5% weniger Strom verbraucht. Deutlich problematischer ist der Blick auf die die Klimakrise vorantreibenden Emissionen. Diese stiegen global gesehen um 2,1 % auf ein neues Rekordhoch. Der Weg zur Dekarbonisierung der Welt ist noch ein langer. Da die weltweite Energienachfrage perspektivisch weiter steigen wird, bedeutet die Betonung von Energiesicherheit, Bezahlbarkeit und Dekarbonisierung, dass wir erhebliche Investitionen in alle Energiequellen absolut notwendig sind. Zwei Regionen auf unserem Planeten sind in Bezug auf den Energieverbrauch dabei, besonders „short“, also unterversorgt zu werden: Europa und Asia-Pacific. Daher bräuchten diese Regionen auch die meisten Investitionen, um eine zu starke Abhängigkeit von den globalen Energiemärkten zu verhindern.

Wahrscheinlich deuten die Analysen auf einen spannenden Punkt. Es sind nicht nur die Dekarbonisierungsziele, sondern eben die geringen Kosten und Risiken der Erneuerbaren, die den Trend weitertragen werden. Wie rasch die gewünschten Investitionen in Europa kommen, wird vor allem vom handwerklichen Geschick der Gesetzgeber beeinflusst werden. Es gilt dabei, einen schmalen Grat nicht zu verlassen. Auf der einen Seite gibt es die Gefahr, durch hohe unklare Bürokratie den Ausbau zu bremsen. Auf der anderen Seite muss der Wettbewerb zwischen den fossilen Energieträgern und den Erneuerbaren auf eine gleiche Basis gestellt werden. Die CO2-Kosten je emittierter t CO2 sind da ein guter Ansatz, der jedoch global eingesetzt werden müsste.

Richten wir den Blick wieder zur Gegenwart und nach vorne. An den Fundamentaldaten der europäischen Energiepreise hat sich im Monatsvergleich nicht viel geändert. Europas Strom- und Gaspreise sind in diesem Sommer wesentlich tiefer als 2023. Wirtschaft und Energieverbrauch erfahren nur einen moderaten Anstieg, der durch das anhaltende Wachstum der erneuerbaren Energien überkompensiert wird. Frische Zahlen vom ersten Halbjahr 2024 zeigen ein fortsetzend stagnierendes Bild: Im Vergleich zum ersten Halbjahr 2023 ist sowohl die Stromnachfrage in Deutschland und auch im gesamten EU-Raum um ca. 1% angestiegen. Dazu passt auch der „Euro Area Manufacturing PMI“, dessen Juli-Wert nochmals leicht gesunken ist und ein verschlechtertes Stimmungsbild zeichnet. Während die Wachstumsraten in Frankreich schwach aussehen und in Österreich für 2024 mit Raten um die 0% (nach Angaben des Wifo-Instituts) von Expansion keine Rede sein kann, ist die Lage leicht optimistischer in Deutschland und Großbritannien, das durch Elektrifizierung getrieben ist. Das Aufwärtspotential ist begrenzt und wenn dann politisch geprägt.

Zur Preisentwicklung: Nach dem langfristigen Abwärtstrend im Nachgang an die Preisextreme in 2022 pendeln die Energiepreise seit Beginn 2024 auf und ab. Fundamentale Faktoren sind die spekulativen CO2-Positionen, der konstante Energieverbrauch, die stabile Gasversorgungslage oder der dann doch global gesehen hohe, sommerliche Bedarf an Kühlgeräten insbesondere im asiatischen Raum. Im Juli stiegen die LNG-Importe in allen wichtigen Regionen um 10 % im Vorjahresvergleich – mit Ausnahme von Indien, das einen Anstieg von 50 % verzeichnete. Gerade dieser Aspekt sorgte zusammen mit einem politischen Ereignis für ein abruptes Aufbäumen um 6%-7% zum Juli-Ende. Eine Eskalation zwischen Israel und dem Iran könnte den LNG-Transport durch das Rote Meer und den Suezkanal sowie die Straße von Hormus, das Nadelöhr für den Transport von Öl und LNG, noch länger beeinträchtigen. Doch auch hier gehen viele Expertinnen nur von einem kurzfristigen Säbelrasseln aus. Im Generellen wirken die bearishen Fundamentaldaten stärker. Hohe Speicherfüllstände, eine Normalisierung der norwegischen Lieferungen und reduzierte Nachfrage haben auch im Gas einen gedämpften Preisauftrieb zur Folge. Insbesondere die globalen Rezessionsängste mit dem am 05.08.2024 um 12% gefallenen Nikkei-Index sind Zeichen, die auch die Energierohstoffe beeindrucken und die Rezession in Europa hat Bedeutung für die Preise. Der Ausblick ist unklar, die Volatilität der Energiepreise in Europa jedoch beherrschbar. Zusammen mit den Fundamentaldaten sehen wir das bearishe Potential höher als eine Angebotskrise im Nahen Osten. Damit reüssiert die alte Erkenntnis: Die Energiewirtschaft ist mitnichten entkoppelt, sondern verflochten mit der Politik und der Wirtschaftssituation.

Insbesondere im Strombereich darf ein Faktor nicht vernachlässigt werden: Die Energiekrise in Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine hat einen anhaltenden Boom beim PV-Angebot gebracht. Die Erneuerbaren-Stromerzeugung hat im ersten 2024er-Halbjahr in Deutschland um 8% zugelegt, EU-weit sogar um 13%. Der erwartete Mehrverbrauch aus dem moderaten Nachfrageanstieg der Big6-Länder (DE, UK, FR, PL, SP, IT) beträgt 16 TWh und könnte daher allein durch 16 TWh Solarüberschuss gedeckt werden, was eine rückläufige Entwicklung der Residuallast für die Big6 im Vergleich zum Sommer bedeuten würde. Die Erneuerbaren (über)kompensieren den stagnierenden Energieverbrauch – mit spannenden Folgen für die Strompreisbildung.

Denn der massive Ausbau führt zu mehr Stunden mit niedrigen oder negativen Spotpreisen. Ein Beispiel? In Österreich gab es in den letzten 10 Jahren durchschnittlich 90 negative Day-Ahead-Preise pro Jahr. 2024 sind es nach einem halben Jahr bereits 187 negative Stunden. Damit kannibalisieren PV-Anlagen nicht nur ihren eigenen Erlös, sie haben auch die systematische Abschaltung von Kraftwerken zur Folge. Ein Beispiel: Am tiefsten Punkt um 13 Uhr am 28.07.2024 lag die Laufwasserkrafterzeugung bei 1,9 GW. In der Abendspitze hingegen erreichte die Produktion wieder 4,5 GW. Das sind 2,6 GW, die ungenutzt über die Wehre liefen. Ursachen waren die sehr starke PV-Produktion und die niedrige, sonntägliche Nachfrage.

Die äußerst niedrigen Preise drücken zudem ein unangenehmes Detail der fundamentalen Situation aus: Wir haben zu viel Stromerzeugung insbesondere zur Tagesmitte und es fehlen zusätzliche, flexible Verbrauchseinheiten – am besten welche, die die Dekarbonisierung in anderen Sektoren vorantreiben: Batteriespeicher, Power2Heat-Anlagen, Elektrolyseure und Wärmepumpen. Aber ähnlich die Errichtung der verbrauchsseitigen Anlagen mit technischer Planung, Genehmigungen und Finanzierung braucht viel Zeit. Im Endeffekt läuft es auf ein Rennen hinaus zwischen dem Ausbau weiterer Erneuerbaren Erzeugungsanlagen und dem Ausbau neuer Verbrauchseinheiten. Infolge des starken PV-Ausbaus ist es unwahrscheinlich, dass wir nächsten Frühling weniger Nullstunden als aktuell sehen werden.

Für diesen Sommer erwarten wir rein analytisch niedrige Preise, wobei eine deutliche Preisreduktion nicht zu erwarten ist, ist doch die geopolitische Gefahrenlage zu risikobehaftet und die Preisbildung zu signifikantem Teil psychologischer Natur. Viel Erfolg bei Ihren Entscheidungen mit Energie.


Ihr Felix Diwok, CEO

Für das Team der INERCOMP

 

Market Comment August 2024

With the summer season in full swing, it is worth taking a look back at the world's energy consumption in 2023. Despite the strong growth in renewable energies, fossil fuels remain the dominant source of energy worldwide, accounting for 81.5 % of our total energy consumption, according to the Energy Institute's Statistical Review of World Energy. The global thirst for energy rose by 2.0 % to a record 620 exajoules, and global energy demand has doubled since 1986.

Other exciting figures: The share of fossil fuels remained almost constant, from 81.9% in 2022 to 81.5% in 2023, while the share of PV and wind energy rose from 7.4% to 8.2%. Global power generation increased by 2.5% in 2023, reaching a record level of 29,925 TWh. A growth rate that indicates an increasing electrification of the world. However, this is not uniform: Power consumption increased by around 5% in the Asia-Pacific region and the Middle East and fell by around 1.5% in Europe and North America. A look at the emissions driving the climate crisis is much more problematic. Globally, these rose by 2.1% to a new record high. The road to decarbonizing the world is still a long one. With global energy demand set to rise further in the future, the emphasis on energy security, affordability and decarbonization means that we need to make significant investments in all energy sources. Two regions on our planet are about to become particularly "short" in terms of energy consumption: Europe and Asia-Pacific. These regions would therefore need the most investment to avoid becoming too dependent on the global energy markets.

The analyses probably point to an exciting point. It is not only the decarbonization targets, but also the low costs and risks of renewables that will drive the trend forward. How quickly the desired investments are made in Europe will be influenced above all by the technical skills of the legislators. There is a fine line to tread here. On the one hand, there is a risk of slowing down expansion due to a high level of unclear bureaucracy. On the other hand, competition between fossil fuels and renewables must be put on an equal footing. The CO2 costs per tonne of CO2 emitted are a good approach here, but it would have to be applied globally.

Let's turn our attention back to the present and look ahead. The fundamentals of European energy prices have not changed much month-on-month. Europe's power and gas prices are significantly lower this summer than in 2023, while the economy and energy consumption are only experiencing a moderate increase, which is being more than offset by the continued growth of renewable energies. Fresh figures from the first half of 2024 show a continuing stagnating picture: Compared to the first half of 2023, demand for power has risen by around 1% in both Germany and the EU area as a whole. This is also reflected in the Euro Area Manufacturing PMI, whose July value fell slightly once again and paints a worsening picture of sentiment. While growth rates in France look weak and there can be no talk of expansion in Austria for 2024 with rates of around 0% (according to the Wifo Institute), the situation is slightly more optimistic in Germany and the UK, which is driven by electrification. The upward potential is limited and, if so, politically influenced.

Price trends: After the long-term downward trend following the price extremes in 2022, energy prices have fluctuated up and down since the start of 2024. Fundamental factors are the speculative CO2 positions, constant energy consumption, the stable gas supply situation and the globally high summer demand for cooling appliances, particularly in Asia. In July, LNG imports rose by 10% year-on-year in all major regions - except for India, which recorded an increase of 50%. This aspect in particular, together with a political event, caused an abrupt rebound of 6%-7% at the end of July. An escalation between Israel and Iran could affect LNG transport through the Red Sea and the Suez Canal as well as the Strait of Hormuz, the bottleneck for the transport of oil and LNG, for even longer. But here, too, many experts are only assuming short-term sabre-rattling. In general, the bearish fundamentals are having a stronger impact. High storage levels, a normalization of Norwegian supplies and reduced demand are also resulting in subdued price increases for gas. Global recession fears in particular, with the Nikkei index falling by 12% on 5 August 2020, are signs that are also affecting energy commodities, and the recession in Europe is having a significant impact on prices. The outlook is unclear, but the volatility of energy prices in Europe is manageable. Together with the fundamentals, we believe the bearish potential is higher than a supply crisis in the Middle East. This proves the old realization: The energy industry is by no means decoupled, but rather intertwined with politics and the economic situation.

One factor in particular must not be neglected in the power sector: The energy crisis resulting from the Russian attack on Ukraine has led to a sustained boom in PV supply. Renewable power generation increased by 8% in Germany in the first half of 2024 and by as much as 13% across the EU. The expected additional consumption from the moderate increase in demand in the Big6 countries (DE, UK, FR, PL, SP, IT) amounts to 16 TWh and could therefore be covered by 16 TWh of solar surplus alone, which would mean a decline in the residual load for the Big6 compared to the summer. Renewables (over)compensate for the stagnating energy consumption - with exciting consequences for power pricing.

This is because the massive expansion is leading to more hours with low or negative spot prices. An example? In Austria, there has been an average of 90 negative day-ahead prices per year in the last 10 years. In 2024, there will already be 187 negative hours after six months. This means that PV systems not only cannibalize their own revenue - they also result in the systematic shutdown of power plants. An example: At the lowest point at 1 p.m. on 28.07.2024, run-of-river hydropower generation was 1.9 GW. In the evening peak, however, production reached 4.5 GW again. That is 2.6 GW that ran unused over the weirs. This was due to the very strong PV production and the low demand on Sundays.

The extremely low prices also reflect an unpleasant aspect of the fundamental situation: We have too much power generation, especially in the middle of the day, and there is a lack of additional, flexible consumption units - preferably ones that drive decarbonization in other sectors: Battery storage, Power2Heat plants, electrolyzers and heat pumps. But similarly, the construction of consumption-side systems with technical planning, approvals and financing takes a lot of time. Ultimately, it comes down to a race between the expansion of further renewable generation plants and the expansion of new consumption units. As a result of the strong expansion of PV, it is unlikely that we will see fewer zero hours next spring than at present.

We expect prices to be low this summer in purely analytical terms, although a significant price reduction is not to be expected, as the geopolitical threat situation is too risky and pricing is to a significant extent psychological in nature. Good luck with your energy decisions.

 

Yours, Felix Diwok, CEO

For the INERCOMP team

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